Und so stiegen wir im Januar 1973, zehn Jahre nach unserer Ankunft in Mogadischu, in Nairobi, Kenia, aus dem Flugzeug. Kenia grenzt im Nordosten an Somalia. Wir waren nun eine sechsköpfige Familie und zogen nach Eastleigh, wo viele somalische Muslime lebten. Dort eröffneten wir einen Leseraum. In den darauffolgenden Jahren entstand daraus ein multifunktionales Gemeinschaftszentrum, wodurch heute fast eintausend Menschen pro Woche erreicht werden. Die Dienstleistungen des Zentrums umfassen eine beachtliche Bibliothek, verschiedene Unterrichtsangebote, besonders für Frauen, und ein Sportprogramm mit verschiedenen Fitnessgeräten. Das Basketballteam ist bekannt und heißt „Mennonitische Ritter“.11 Das Zentrum hat sich zu einem Begegnungsort für viele Menschen aus den weiten Regionen des Horns von Afrika entwickelt. Es hat sich auch eine Gemeinschaft von gläubigen Christen gebildet. Zudem nutzen verschiedene Gemeinden mit unterschiedlichen Traditionen das Zentrum als Begegnungsort. Mit einem vor Ort erarbeiteten Bibelleseprogramm werden jedes Jahr Hunderte von Studierenden erreicht.
Durch den Dienst in Eastleigh wurde ich überraschenderweise vom Kenyatta University College eingeladen, in der Abteilung für Religionsstudien über die Weltreligionen zu unterrichten. Dort bildeten wir Lehrer für die kenianischen Highschools im Bereich Religionsstudien aus. Im Rahmen dieser Tätigkeit machte ich die bedeutsame Bekanntschaft mit Professor Badru Kateregga, einem Muslim aus Uganda, der in der gleichen Abteilung unterrichtete. Wir wurden Freunde. Aus unserer Freundschaft heraus entstand das Buch Woran ich glaube – Ein Muslim und ein Christ im Gespräch. In diesem Buch bekennt mein ugandischer Freund seinen Glauben und ich antworte darauf, später schreibe ich über meinen Glauben und er antwortet darauf. Dieses einfache Buch mit 24 Kapiteln wurde in mehrere Sprachen übersetzt und hat gute Dienste geleistet, interreligiöses Verständnis zu fördern.
Freundschaftliche Beziehungen mit Sufis kultivieren
Das Eastleigh Fellowship Center liegt gegenüber einer Sufi-Moschee.12 Wir bauten zu den Sufis freundschaftliche Beziehungen auf und erhofften uns davon, dass sich eine Tür zur muslimischen Gemeinschaft öffnen würde. Eine solche Öffnung würde uns einen Blick auf ihre geistliche Sehnsucht ermöglichen.
Die Sufi-Bewegung ist eine spirituelle Strömung des Islam. Sufis streben danach, sich in Gott zu versenken. Sie sind allgemein als Gemeinschaften des Friedens bekannt. Es gibt vier geistliche Strömungen innerhalb der muslimischen Bewegung, die die Sufis hoffen lassen, sich tatsächlich in Gott verlieren zu können. Die erste ist der Glaube, dass Mohammed eines Nachts von Mekka über Jerusalem in einer mystischen Reise, genannt Mirādsch,13 in die Gegenwart Gottes geführt wurde. Daher wird Mohammed als derjenige angesehen, der den Weg fand und der nun seine Anhänger dazu anführt, sich in Gott zu versenken. Die zweite Strömung basiert auf der Aussage im Koran, dass Abraham ein Freund Gottes (Wali) war.14 Die dritte Strömung gründet in der Hoffnung, dass Gott fromme Heilige aus der Vergangenheit dazu bestimmt hat, als Fürbitter bei Gott einzutreten, damit Gläubige den Weg in die göttliche Versenkung finden.15 Die vierte Strömung ist die mystische Erfahrung, die durch die ständig wiederholte Anrufung des Namens Gottes geschieht.16 Die Sufigemeinschaften bieten dem Einzelnen einen Weg der Versenkung ins Göttliche an. Diese Gemeinschaften waren daher in Kenia als Inseln des übergemeindlichen Friedens inmitten der turbulenten Beziehungen innerhalb der Somali-Stämme bekannt.
Tragischerweise gewann die Drogenkultur in der Sufi-Bewegung in fast ganz Nordostafrika die Oberhand. Das traf leider auch auf Eastleigh zu. Die Gläubigen dachten, dass sie eine authentische Versenkung in Gott erlebten, wenn sie in ihren abendlichen Treffen die Namen Gottes sangen und dabei eine Euphorie hervorrufende Pflanze (Khat) kauten. Diese Praxis führte jedoch vor allem zur Apathie und gelegentlich auch zur Demenz. Ein dermaßen ungesunder Ausdruck von Spiritualität, der von so vielen Menschen in ganz Nordostafrika praktiziert wurde, hat schließlich negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Wirtschaft und Bildung. Natürlich gab es auch Ulama (muslimische religiöse Lehrer), die den Khat-Konsum für den spirituellen Gebrauch anprangerten und dafür plädierten, den Islam in größerer Übereinstimmung mit dem Koran zu leben. Unsere Botschaft an die Sufis war, dass der Messias und das Wirken des Heiligen Geistes ihre Sehnsucht nach Gott erfüllt. Aber mit einem wesentlichen Unterschied! Die Suche der Sufis führt zur Auflösung des Selbst und der eigenen Persönlichkeit, da man ins Universum absorbiert wird. Durch den Messias wird die Person nicht ausgelöscht oder ins Göttliche absorbiert. Stattdessen lädt der Messias Gläubige dazu ein, eine freudige, lebendige und Leben spendende Beziehung mit Gott und untereinander einzugehen.
Häufig traf ich mich mit Sufis in ihren Gebetszentren und begleitete sie auf ihrer Pilgerreise zum Grab eines ihrer Heiligen. Die Treffen öffneten wirklich viele Türen zu wichtigen Gesprächen, die in Jesus und dem Heiligen Geist gegründet waren. Die Sufis wurden auch von Muslimen als Menschen des Friedens angesehen.
In Zusammenarbeit mit anderen christlichen Gemeinschaften entstand in Garissa, im muslimischen Nordosten Kenias, ein ähnliches Zentrum wie das Eastleigh Fellowship Center. Dieses Zentrum gründete auf den Prinzipien der Sufis, Gemeinschaft zu pflegen. Die beiden Zentren, das eine in Garissa, das andere in Eastleigh, brachten den christlichen Glauben innerhalb der sie umgebenden Sufi-Gemeinschaften auf kontextuell angepasste Weise zum Ausdruck. In diesem Kontext schätzten die Muslime die christlichen Gemeinschaften von Eastleigh und Garissa als Gemeinschaften der Frömmigkeit, des Gebetes, Dienstes und Friedenstiftens.
Man kann den Gebetsdienst nicht genug würdigen, der aus dem Zentrum von Garissa heraus entstand. Eine kanadische Christin hatte die Vision für den Gebetsdienst für Somali, und ihr schloss sich ein kleines Team an. Auch inmitten von turbulenten und konfliktreichen Zeiten in ihrer Region hielten sie an ihrem Dienst des heilenden Gebets fest. Sie harrten aus, auch wenn ihr Leben bedroht war. Es gab Märtyrer; es geschahen Wunder. Manchmal berührte Jesus eine gebrochene Flüchtlingsfrau und offenbarte sich ihr als gnädiger Heiler. Dieses Gebetsteam hielt geduldig über zwei Jahrzehnte im Gebet aus.
Eine globale Sicht auf die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen
Sechs Jahre nach unserer Ankunft in Kenia wurde uns klar, dass die Zeit gekommen war, wieder zu gehen, um den Afrikanern die Gelegenheit zu geben, unsere vielen verantwortungsvollen Aufgaben zu übernehmen. Daher zogen wir nach Lancaster County, Pennsylvania, unserer Heimat in den Vereinigten Staaten. In den darauffolgenden Jahren leitete ich die Eastern Mennonite Mission (EMM) sowohl in ihren lokalen als auch globalen Programmen. In diesen Aufgaben war es mir immer besonders wichtig, unter den Muslimen glaubwürdig zu leben und Jesus zu bezeugen.
Als ich 1988 meine administrative Verantwortung bei der EMM niederlegte, machten Grace und ich den Dienst unter Muslimen zu unserem Kernauftrag. Dabei ist das Friedenstiften und Zeugnis von Christus unsere Hauptaufgabe. Wir arbeiten in einem Team zusammen. Wir nennen uns Christian/Muslim Relations Team, Peacemakers Confessing Christ.17 Erste Priorität des Teams ist es, freundschaftliche Beziehungen zu muslimischen Leitern in unserer Umgebung zu fördern. Wir schreiben und veröffentlichen Artikel und Bücher. Meine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Wir sind in Nordamerika tätig, aber auch international sehr engagiert. Vor kurzem war es unserem Team möglich, nach Osteuropa und Südostasien zu reisen und in mehr als einem Dutzend Seminaren zu unterrichten und Dialoge über das Friedenstiften zu führen. Über die Hälfte dieser Begegnungen wurden durch Muslime mitfinanziert. Wichtiges Anliegen unseres Teams ist es zudem, christliche Gemeinden darin anzuleiten, wie sie gemeinsam mit muslimischen Gemeinschaften Frieden stiften können.
Die ersten Gespräche damals in Mogadischu in der Teestube und viele darauf folgende Diskussionen waren für mich eine Art Schule,