Die Lehrkräfte und Theologen der muslimischen Fakultät waren ebenfalls wie wir von der Reaktion der Studierenden betroffen. Integrität ist eine Tugend, die sie durch ihre Lehre des Islam zu verbreiten suchten. Diese Theologen wussten um die ernste Warnung in der islamischen Lehre: Wenn jemand einen anderen fälschlich anklagt, so soll der Ankläger mit der Strafe bestraft werden, zu der der fälschlich Angeklagte verurteilt worden wäre. Innerhalb der muslimischen Gesellschaft, in der wir arbeiteten, war die Ablehnung gegen falsche Zeugenaussagen tief verwurzelt.
In unserer Schule unterstützten sich daher die muslimische und christliche Spiritualität gegenseitig, wenn es darum ging, die Studierenden Integrität zu lehren und die Werte des Wadad im Theaterstück zu kritisieren. Die Gegenwart der Christen schien die Muslime, unter denen wir dienten, zu neuer Verpflichtung und Förderung der Integrität herauszufordern. Deshalb versicherten uns somalische Muslime oft: „Wir vertrauen euch!“
Jesus bezeichnet seine Nachfolger als „Salz“ und „Licht“.23 Die Gegenwart der Christen soll überall, auch in muslimischen Gesellschaften, in Integrität gegründet sein. Ich konnte dieses Salz der Integrität auch bei meinem Besuch eines Christen in Zentralasien beobachten, der bemüht war, in seiner Region eine Hühnerzucht aufzubauen. Er organisierte mit einem Team von anderen Christen eine Verkaufsstelle für Hühnerfutter, um die wachsende Hühnerzucht in der Region zu stärken. Bauern brachten das selbst angebaute Korn zur Verkaufsstelle, wo es nach dem Wägen mit dem anderem Futter gemischt und weiterverarbeitet wurde. Die Gemeinschaft nannte die Waagschalen, mit denen das Futter gewogen wurde, „die Waagschalen der Wahrheit“. Die Verkaufsstelle erarbeitete sich in der ganzen Gegend einen guten Ruf, da sie ihr Geschäft auf ehrliche Weise betrieb.
Das Salz und Licht gelebter Integrität muss alle Lebensbereiche durchdringen. Manche Länder stellen beispielsweise Visa für Geschäftsleute oder Visa für Menschen mit einem gesuchten Beruf, wie z. B. Englischlehrer aus. Diese Visa werden für ein bestimmtes Gewerbe erteilt. Es kommt jedoch auch vor, dass ein Empfänger in Wirklichkeit gar kein Geschäft eröffnet. Die eingetragene Firma ist nur eine Fassade mit einer Visitenkarte und Registriernummer, jedoch ohne eine tatsächliche Handelstätigkeit. Oder ein Englischlehrer unterrichtet nur wenige Stunden pro Woche Englisch, was jedoch nicht ausreicht, um ein entsprechendes Visum zu rechtfertigen. Werden Visa für einen bestimmten Beruf erteilt, so ist es unerlässlich, dass die Person, die ein Visum erhalten hat, sich in dem Beruf über das Mindeste hinaus einbringt. Erfahren Behörden von dem fragwürdigen Gebrauch des Visums und weisen den Mitarbeitenden aus, dürfen wir sie nicht anklagen, dass sie gegen Christen seien, wenn sie eigentlich von dem christlichen Mitarbeitenden nur erwarten, dass er mit Integrität seinem Dienst nachgeht.
Wenn jemand in einem Land als Missionar dienen möchte, ist es meiner Ansicht nach besser, wenn er sich, sofern das möglich ist, bei einer Missionsgesellschaft registriert. So verfuhren wir in Somalia, und auch andere mit der Kirche verbundene Organisationen registrierten sich als „Mission“ oder manchmal auch als „Christlicher Dienst“. In unserer SMM erhielten 40 Mitarbeitende ein Visum für den Dienst in einem Land, das zu 100 Prozent muslimisch war. Jedes Visum war mit einem bestimmten Dienst verbunden, den die Regierung anerkannt hatte. Ich diente als Direktor der SMM-Schulen. Meine Frau erhielt ein Visum als Hausfrau. Alle Unterrichtenden der Bildungsabteilung der SMM bemühten sich, hervorragende Leistung zu erbringen. Entsprechend hatten unsere Schulen den Ruf, die besten des Landes zu sein. Wir bauten in Ergänzung zur Grundschule und zur Middle School24 eine erstklassige Highschool und ein starkes Bildungsprogramm für Erwachsene auf. Man kannte uns als die Mission, die Ausbildung anbietet.
Wir verstanden unsere Verpflichtung zur Erstklassigkeit als ein Zeichen des Reiches Gottes. Unsere Schulen waren so etwas wie ein Erkennungszeichen, und die ganze Nation war von unserer Hingabe an Erstklassigkeit beeindruckt. Unsere Schulen waren keine Fassade. Sie waren keine Tarnung zur Evangelisation. Wir beantworteten Fragen zum christlichen Glauben. Es entstanden kleine christliche Gemeinschaften. Das war kein Geheimnis. Aber die sich entwickelnde Kirche war eher unauffällig. Unsere Präsenz war gezeichnet vom konsequenten Lebensstil einer integren Hingabe. Wir waren nicht die einzige christliche Organisation, die in Somalia diente. Erstklassigkeit jedoch war das Erkennungszeichen jeder dieser vielen christlichen Organisationen, die sich für die Entwicklung des Landes einsetzten. Tatsächlich glaube ich, dass man rund um die Welt die christlichen Organisationen an ihrer Exzellenz und Leidenschaft erkennt und sie dafür schätzt.
Unschuldig wie die Tauben
Natürlich waren wir vorsichtig, wenn wir erklärten, wer wir waren. Manchmal trage ich den Hut des Pastors. In Somalia war ich meist der Lehrer. Zu anderen Zeiten war ich Universitätsprofessor oder Gelehrter. Reise ich in ein Land als Tourist ein, dann bin ich auch Tourist und verhalte mich entsprechend. Manche reisen geschäftlich in ein Land ein und sind dann dort auch als Geschäftsleute tätig. Wir wollen in allem unserem Handeln weise sein. Es ist selten klug, „Flagge zu zeigen“. Unauffälliger Dienst im Namen Christi ist weise, aber wir vermeiden Doppelzüngigkeit. Diese Einstellung führt uns zum nächsten Kapitel: uns unserer Identität bewusst zu sein. Jesus riet: „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“.25 Wie immer ist dieser Rat Jesu ein guter.
Fragen zur weiteren Diskussion
1.Vergleichen Sie die Einschränkungen, die christliche Lehrkräfte in öffentlichen Schulen in westlichen Ländern (beispielsweise Kanada, USA, Frankreich, Deutschland oder der Schweiz) erfahren, mit jenen, die Christen in manchen muslimischen Gesellschaften erleben. Wie sollten sich christliche Lehrkräfte in solch restriktiven Systemen am besten verhalten?
2.Religionsfreiheit ist im Umgang von Christen mit Muslimen ein Schlüsselthema. Welche Vorgehensweise schlagen Sie bei diesem heiklen Thema vor?
3.Wie antworten Sie auf die These in diesem Kapitel, dass Dienst und Zeugnis zusammengehören? Was halten Sie von der Verpflichtung zum integren Dienst und Zeugnis, wie es in diesem Kapitel beschrieben wurde?
18Die Bibel: 2. Korinther 1,17–21.
19Der Koran: Sure 58:14–19.
20Dar al-Islam bedeutet „Haus des Islam“. Umma bedeutet wörtlich übersetzt „Mutter“. Die muslimische Gemeinschaft wird als Umma bezeichnet. Vier Jahrhunderte nach der Formierung der Umma kam der Ausdruck Dar al-Islam in Gebrauch, um die Idee von dem Geltungsbereich des Islam und von politischer Herrschaft auszudrücken. Auch wenn man von Dar al-Islam erst vier Jahrhunderte nach der Hidschra (der Umsiedlung von Mohammed und seinen Nachfolgern nach Medina 622 n. Chr.) sprach, so ist das Konzept des Dar al-Islam doch sehr wichtig, auch schon für den Beginn der muslimischen Bewegung. In diesem Text nutze ich beide Ausdrücke: sowohl Dar al-Islam als auch Umma, um mich auf die Entwicklung der islamischen Gemeinschaft zu beziehen. Dabei betont Dar al-Islam die politische und territoriale Dimension der Bewegung.
21Der Koran: Sure 2:256.
22Die Bibel: Offenbarung 22,17b.
23Der Koran: Sure 2:256.