Jetzt horchte Klaus Meinradt interessiert auf. »Etwas Ähnliches hat mir Dr. Schmoll auch gesagt, daß ich die erste Zeit eine Pflegerin engagieren soll. Ich muß zugeben, daß ich dabei gleich an Sie gedacht habe. Aber Sie sind im Krankenhaus fest angestellt, darum habe ich diesen Gedanken gleich wieder verworfen.«
»Das haben Sie wirklich gedacht?« Über Mandys hübsches Gesicht glitt ein glückliches Strahlen, das er mit Verwunderung beobachtete. »Dann will ich Ihnen die Wahrheit gestehen. Ich halte es in der Klinik nicht mehr aus, seit ich meinem ehemaligen Verlobten Gerd Schönau den Ring zurückgegeben habe. Er macht mich schlecht, wo er nur kann, und wenn wir uns begegnen, dann ist das die Hölle für mich. Darum kam ich auf die Idee, daß ich vielleicht… Und dann könnte doch auch Ulli wieder nach Hause kommen, tagsüber, wenn Sie arbeiten, kann ich für ihn sorgen.«
»Und das würden Sie für mich, für uns tun?« Er beugte sich ein Stück über den Tisch, um ihr besser in die dunklen Augen sehen zu können. »Das wäre wunderbar, Mandy. Ich hätte dann wieder eine Zukunft, wenn mein Sohn bei mir wäre. Wirklich, das wäre wunderbar.«
»Dann… dann ist es also abgemacht? Mir steht noch ein Monat Urlaub zu, den Rest der Kündigungsfrist nehme ich eben unbezahlten. Ich glaube nicht, daß mir Dr. Schmoll Schwierigkeiten machen wird. Er war immer wie ein Vater zu mir.«
»Das glaube ich Ihnen gern, Mandy. Bei Ihnen hat man immer das Gefühl, daß man Sie vor allen Gefahren schützen müßte. Und dabei sind Sie so eine energische und tatkräftige Person.« Ein beinahe zärtliches Lächeln glitt über sein eingefallenes Gesicht und erhellte seine verhärmten Züge.
Mandy räumte hastig den Tisch ab und begann, das Geschirr zu spülen, während sich Klaus wieder ins Wohnzimmer zurückzog. Sein Rücken schmerzte wieder etwas, darum legte er sich eine Weile hin.
Zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf, die er erst einmal sortieren und verarbeiten mußte.
Er liebte Iris noch immer von ganzem Herzen, aber jetzt zeigte sich zum ersten Mal seit ihrem Tod ein kleiner Hoffnungsschimmer am Horizont. Er war nicht ganz allein, wie er zuerst gedacht hatte.
Da war noch Ulli, und auch Mandy, die hübsche Krankenschwester, ließ ihn nicht im Stich.
Müde schloß Klaus die Augen, und wenige Minuten später war er eingeschlafen. Es war ein harter Tag für ihn gewesen, zum ersten Mal seit langer Zeit schlief er ruhig und traumlos ohne eine einzige Schlaftablette.
Inzwischen hatte Mandy die Küche auf Vordermann gebracht. Jetzt wollte sie rasch noch im oberen Stockwerk nachsehen, was es da zu tun gab. Jetzt, da sie sein Einverständnis zu ihrem Vorschlag hatte, steckte sie voller Unternehmungsgeist. Sie wollte aus seinem Haus wieder das Schmuckstück machen, das es früher offensichtlich einmal gewesen war.
Beschwingt stieg sie die Treppen hinauf und öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Die Betten waren ordentlich gemacht, nur eines war aufgeschlagen. Die Delle im Kopfkissen deutete darauf hin, daß vor kurzem noch jemand hier gelegen hatte.
Einen Augenblick lang zog sich Mandys Herz schmerzhaft zusammen.
Hier in diesem Zimmer hatte er geschlafen, neben sich seine Frau Iris. Ob sie sehr glücklich miteinander gewesen waren? Bestimmt, denn sonst würde er nicht so sehr um sie trauern.
Ihr Blick fiel auf die Fotografie auf seinem Nachttisch. Sie zeigte eine lachende junge Frau mit halblangem goldblonden Haar. Die großen Augen waren strahlend blau und von einem dunklen Wimpernkranz umgeben.
Iris Meinradt war eine schöne Frau gewesen, und nun war sie tot. Ein Schauer lief über Mandys Rücken, obwohl sie in ihrem Beruf schon viele Menschen hatte sterben sehen. Trotzdem ging es ihr immer wieder nahe, besonders dann, wenn es sich um einen jungen, blühenden Menschen handelte, der das Leben eigentlich noch größtenteils vor sich hatte.
Rasch wandte sie sich ab und wollte die Bettdecke aufschütteln. Dabei stieß sie mit dem Fuß zufällig an das Tablettenröhrchen, das Klaus vorhin hinuntergefallen war.
Sie bückte sich, um es aufzuheben, da entdeckte sie auch die dazugehörigen Tabletten, die verstreut auf dem Bettvorleger lagen.
Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihr hoch. Hastig sammelte sie die kleinen weißen Pillen ein und füllte sie wieder in das Röhrchen. Sie kannte diese Tabletten, denn sie wurden in der Klinik verwendet.
Es waren Schlaftabletten. Die Menge, die sie gefunden hatte, hätte ausgereicht, um ein Leben zu beenden, nämlich das von Klaus Meinradt.
War sie gerade im letzten Moment gekommen, um ihn von dieser Wahnsinnstat abzuhalten?
*
»Mandy, guck mal, Timo kann ein neues Kunststück.« Atemlos kam Ulli ins Haus hereingelaufen. »Du mußt unbedingt mit hinauskommen.«
Die junge Frau seufzte ergeben. Bereits seit einem Vierteljahr versorgte sie den Meinradtschen Haushalt, und sie war glücklich dabei. Morgens kam sie schon kurz nach sechs Uhr, um das Frühstück zu richten, und abends ging sie erst, wenn Ulli schon schlief.
Seit drei Wochen schon begab sich Klaus Meinradt jeden Morgen wieder in sein Büro, das im Stadtkern von Maibach lag. Er leitete zusammen mit einem Kollegen ein Versicherungsbüro in der Innenstadt, das ziemlich gut florierte.
In der langen Zeit seiner Krankheit hatte sich zwangsläufig eine Menge Arbeit angesammelt, so daß er oft auch abends noch Überstunden machen mußte.
Mandy hatte sich ein kleines Auto gekauft und dafür den größten Teil ihrer Ersparnisse geopfert, aber das war es ihr wert, wenn sie nur für Klaus und seinen Sohn sorgen durfte. Sie bekam ein kleines Gehalt von ihm und dazu volle Verpflegung, so daß sie für sich selbst nicht mehr allzu viel Geld benötigte.
»Komm doch schon, Mandy. Timo kann schließlich nicht ewig im Schnee stehenbleiben.«
Die junge Frau wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Dann vergewisserte sie sich, daß nichts anbrennen und nichts verkochen konnte, bevor sie dem Jungen folgte, der bereits nervös von einem Fuß auf den anderen trippelte.
Mandy war bereits mitten in den Weihnachtsvorbereitungen. Sie hatte Teig vorbereitet, aus dem sie kleine Figuren ausstechen wollte, um sie dann bunt anzumalen. Ulli sollte ein glückliches Weihnachtsfest erleben, das hatte sich Mandy vorgenommen. In der kurzen Zeit war ihr der Junge so ans Herz gewachsen, als ob sie seine richtige Mutter sei.
Nur manchmal dachte sie vage daran, daß es eines Tages vielleicht eine andere Frau in Klaus’ Leben geben könnte.
»Ist das nicht toll?« Ulli schaute erwartungsvoll zu ihr auf.
Zuerst war die Frau verblüfft, aber dann konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Sie mußte einfach lachen.
Timo, der Hund mit dem großen Kopf und den kurzen Beinen, stand auf einem Sockel im Schnee, den Ulli mit viel Fleiß gebaut hatte, und machte Männchen, so gut es ihm bei seiner Leibesfülle eben möglich war.
Als er jedoch merkte, daß über ihn gelacht wurde, sprang er beleidigt herunter und bellte ärgerlich.
»Guter Hund«, lobte Mandy und beugte sich zu ihm hinunter. Dann streichelte sie seinen großen Kopf und wurde mit einem freundlichen Schwanzwedeln belohnt. Timo war ein gutmütiges Tier, das sich geduldig Ullis Schabernacke gefallen ließ.
»Jetzt sollten wir aber alle hineingehen, sonst wird uns kalt. Timo ist schon ganz naß vom Schnee«, schlug sie vor.
Ulli maulte zwar zuerst, fügte sich dann aber. »Dafür darf ich dir beim Plätzchenbacken helfen.«
»Darüber freue ich mich sogar. Dann bin ich um so schneller in der Küche fertig und kann noch eine Weile mit dir spielen.« Mandy strich dem Jungen über das wirre Haar. Er wird seinem Vater immer ähnlicher, stellte sie beglückt für sich fest.
Als es draußen bereits dämmerte, holte sie das letzte Blech mit leckeren Plätzchen aus dem Ofen. Ulli