Im Schellenhemd. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711487327
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geächtet Haupt hob sich frei und keck auf den stämmigen Schultern, sein Blick haftete zwinkernd auf dem grauenvollen Dreieck schwarzer Balken, welches jählings aus der Dunkelheit tauchte und ihm, feuerumloht als Schreckbild gleichsam in den Wolken zu schweben schien!“ — Und Goykos spitzte die Lippen und pfiff leise ein Spottliedlein auf Henkersknecht und Hochgericht, und dann überlegte er, ob nicht von jenem Balken droben vielleicht ein Strick zu holen sei —; derjenige, welchen Hinde im Maul trug, war mürb und dünn geworden. „Der Regen lässt nach!“ — sprach sein Weib neben ihm, „wenn wir die Zeit wahrnehmen, können wir noch zur Abendstunde, da die Leute in der Halle beim Humpen sitzen, in der Burg Einkehr halten. — Schlecht Wetter ist der Freibrief des armen Volks, — man verlangt nach Kurzweil im Palas.“ —

      „Und mich hungert!“ klang ein leises Stimmchen unter dem Regentuch hervor. —

      „Sollst hungern! ein voller Bauch kann keine Sprünge machen, und vor der Burgfrau musst du deine Arme und Beinlein verrenken können, auf dass du sie erbarmest — Huhho, Hinde, — schab ab!“ — Goykos der Zigeuner riss am Strick und Hinde zog an. Zinkra aber schlang im Dunkel des Wagens den Arm um ihr Bübchen und tastete in ihrem Fürtuch nach der Wasserrübe, welche sie vor den Augen des hartherzigen Vaters daselbst verborgen, um ihrem darbenden Gauchlein heimlich einen Bissen zustecken zu können. Der Kleine aber schmiegte sich zärtlich an die Mutter und vergass für Augenblicke all sein Herzeleid, und während er voll Heisshunger das karge Mahl verzehrte, starrte er mit seinen dunklen, schwermütigen Augen in die wildjagenden Wolkengebilde hinauf. — Die Hände gegen sein knurrend Mäglein gedrückt, ersann er sich ein neues Lied — voll lauter Spass und Schalkheit, damit die Leute in der Burg lachen möchten. — Er selber lachte so selten, fast nie, er war ein griesgrämiger, unlustiger Bursch, wie sein Vater oft zürnend sagte, und darum bekam er gar viele Peitschenschläge, bis er es lernte, vor fremden Leuten den Narren zu machen. Eine gar absonderliche Gabe aber besass er, das war die Kunst, Verslein zu ersinnen. Am liebsten erdachte er sie voll trüben, wehmutsvollen Inhalts, aber sein Vater herrschte ihn zornig an: ob er etwan ein Totengräber anstatt eines Hanswursts sein wolle? — und Jung Irregang senkte gehorsam das Köpfchen, kratzte eine übermütige Weise auf der Geige und sang zwischen Purzelbaum und Grimasse die ergötzlichsten Schwänk’! — Da lachten die Leute und schrieen: „Jû narro! Du fröhlich Kasperlein!“ und zwickten und neckten ihn und sprachen: „So lustig wie dieser kleine Plippenplapp hat noch kein ander Ganklerkind das spitze Hütlein auf dem Ohr getragen!“ —

      Und wenn die Bauern und Bürger ihre Söhne und Mägdlein bei der Hand fassten und wieder mit ihnen heimgingen in die festgebauten Häuser, vor denen die Kleinen ihre Spiele trieben, dann hockte Irregang bei seiner Karre, neben Hinde, und schaute mit langem, sehnsuchtsvollem Blick auf solch ein ewig verschlossen Paradies. — Die Peitsche knallte, und es ging weiter hinein in die Welt, und so jung der Knabe auch noch war, so wusste er doch, dass er keinen Augenblick seines Lebens sicher war, dass beim nächsten Spiel wieder wüste Männer seinen Vater fassen und fortschleppen können, dass man mit Steinen nach ihnen wirft und sie Teufelsbrut und Hexenmeister nennt! — Und wenn sie dem Menschenhass glücklich entronnen und in den tiefen Wald kommen, dann sind sie nicht sicher vor den Wölfen, welche aus dem Dickicht brechen und schon einmal der armen Hinde tiefe Wunden gerissen haben. Nun musste bei Nacht im Walde immer der Kien brennen, der Vater trug die blanke Axt im Ledergurt und auch Zinkra musste eines der langen Dolchmesser, damit sie sonst ihr Kunststücklein trieb, zur ernsten Wehre führen.

      O, es war ein hartes, trauriges Los, durch Schnee und Winterkälte, Sturm und Sonnenglut von Dorf zu Dorf zu ziehen, geächtet und verachtet, ohne Heimat und Freunde; — landfahrend Volk. Goykos war ein wildes, echtes Zigeunerblut, ruhelos und friedlos bis in das Mark hinein; das Wandern, Wagen und Stehlen war sein Lebenselement, das leichtsinnige Spiel um Gut und Blut, der waghalsige Kampf gegen Strick und Rad der Nervenreiz, welcher ihm zum Dasein ebenso notwendig schien, wie Wasser und Brot.

      Sein Weib hingegen hatte seit jeher einen schweren, träumerischen Sinn gehabt, denn sie war nicht von echter Art, sondern die Tochter einer sesshaften Jüdin, so man wegen des bösen Blicks hatte richten wollen. Mit ihr zu gleicher Zeit aber hatte ein listig Kesselflickerlein, ein brauner Bursch aus den Karpathenlanden im Turm gelegen, und da die Nacht vor dem Halsgericht gekommen, hatte er mit dem Schliesser ein gar pfiffig Spiel getrieben. Selbiger stellte den armen Sündern ihr letztes Roggenmehlsüpplein zum Henkersmahle auf und führte höhnische Reden, dass sie die Magen nicht allzu schwer beladen möchten, sonst reisse am Ende der Strick, daran sie morgen ihr Höllen-Tänzlein ausführen sollten! — Da reichte der Zigeuner ihm eine blanke Kugel dar und sprach: „So du unverwandt auf diesen Knopf schauen willst, bis ich das Häflein ausgelöffelt, will ich dir sagen, wo des Gildmeister Enzerle güldener Schatz vergraben liegt!“ — Sprach’s und schöpfte gelassen seinen Brei. Der Schliesser aber liess sich’s schwören, sass nieder und stierte auf die blanke Kugel. Bald danach verblieb er mit gläsernen Augen wie tot, und der schwarze Bursch schrieb wunderliche Zeichen mit der Hand und strich ihm Stirn und Arme; da ward der Alte steif wie ein Stück Holz. — Solchen Augenblick zur Flucht aber ergriff das arme Gesindel, und alle, die gefangen sassen, brachen aus und liefen an dem schnarchenden Landsknecht an der Pforte vorüber und waren frei. —

      Da ist die Jüdin mit dem Zigeuner gezogen, ward eine Gauklerin und schenkte Zinkra das Leben. Aber sie war ein unglücklich Weib und vererbte ihrem schwarzbraunen, heimatlosen Mädel all ihre heisse Sehnsucht nach dem eigenen, festen Herd, davon man sie vertrieben. — Zinkra freite einen Zigeuner, den schönen Goykos, und alles, was auch sie ihrem Knäblein in das Leben mitgeben konnte, war jener Tropfen Blut, welches ein unauslöschlich Heimweh nach der eigenen Scholle, nach Ehr’ und Sessbarkeit nährte. — So war Irregang ein stiller, träumerischer Knabe geworden, den der wilde Sinn des Vaters ängstigte, und der nur ein einzig Glück kannte: seinem traurigen Mütterchen die Lieder zu singen, welche er auf einsamer Fahrt schier erstaunlich zu dichten wusste. —

      Zinkra aber fasste die Hand ihres eigenartigen Söhnleins und las die Schicksalslinien, welche hineingegraben, und jauchzte hell auf und sprach: „Wirst einst sesshaft werden und ein ehrlicher Mann sein, Irregang, und wirst über deiner Mutter Leichnam ins Glück springen!„

      Der Mond aber brach durch die Wolken, und der Wald zu Seiten des Weges verlief in niederem Knieholz; da sah man eine Burg auf klüftigem Bergfels ragen.

      Tief inmitten der wilden Gebirgseinsamkeit lag sie düster und weltvergessen zwischen den endlosen Wäldern, eine trotzige, strenge Gebieterin, davon zeugten die Balken des Hochgerichts auf dem Nachbarberge.

      Waren notwendig zu jener unsichern Zeit, da die Buschklepper und Wegelagerer in dem Odenwald ihr Wesen trieben, und manch verwildeter Landsknecht der Friedenszeit vergass und auf eigene Faust seinen Krieg führte, gegen Bauer und Handelsmann, so ihre Packesel hinab gen Frankfurt leiteten.

      Goykos wandte sich und wies zu der Burg empor. „Streif dem Bub die Schellen an! Bis der Mond über dem Turm steht, sind wir droben!“ —

      Bleiche Strahlen brachen durch die Wolken, und im Weggras zur Seiten raschelte es. Ein Hase lief aufgeschreckt über den Weg. Hinde stutzte und prallte zurück, ein Hieb mit dem Strick brachte sie wieder voran. —

      „Der Has’ bringt Unglück, lass uns nicht zur Burg!“ — murmelte Zinkra. —

      „Narretei!“

      „Im Tal wehen Totenhemden über der Wiese, halt’s Ross und bleib’!“

      „Bah! Herbstnebel sind’s! Hühho, Hinde! greif’ aus!“

      Goykos pfiff ein übel Schelmenlied, und sein Weib griff hinter sich in den Kasten, nahm das Narrenkleid heraus und streifte es über das nackte, regenfeuchte Körperchen ihres Kindes. — Und dieweil sie den Knaben an die Brust drückte und ihm zusprach, gar übermütig und spasshaft, artig und demütig zu sein, — liefen ihr die Tränen über die Wangen und sie dachte im Herzen: „Es ist an der Zeit, dass sich das Schicksal erfülle, — hat schon manche brave Mutter ihr Kindlein mit Herzblut gesäugt.“ —

      Hinde senkte den Kopf; langsam, ganz langsam und zögernd ging’s den Burgberg hinan. —

      II.