Das Pferd duckt den mähnigen Kopf, der Strick, welcher ihm als Zügel durch das Maul gelegt ist, hängt schlaff hernieder. Hier bedarfs keiner Vorsicht; Hinde ist kein Pferd wie andere Pferde, sie hat Menschenverstand. — Vor acht Jahren hat Goykos sie dem Jud’ gestohlen, als die Feuerlohe aus Dach und Fugen schlug, als Leut und Vieh wie irrsinnig durch die Strassen rannten und der Sturm wie heute daher pfiff und den Brand über die halbe Stadt hinjagte. — Hinde war damals noch ein gar jung Rösslein und mochte ungern den Trödelkram von Burg zu Burg ziehen, sie wieherte hell auf, da der schlanke, schwarzäugige Gesell sich auf ihren Rücken schwang, da er sich festkrallte in ihre Mähne und seine Lippen leis in ihr Ohr zischten: „Jetzt gilts die wilde Jagd! Fangen sie uns, dann hangen sie uns!“ — und er zwang sie wie mit eisernen Klammern, und hui gings dahin durch Nacht und Nebel!
Fern im Wald, vor den überhangenden Felsen sprang der Goykos von ihrem Rücken und trat an das armselige Lager von Moos und Binsen und lachte, dass seine Zähne blinkten. „Sollst nicht mehr zu Fuss gehen, junge Mutter, sollst mit des Irrgangs Söhnlein daherfahren wie eine Königin!“
Das schwarzäugige Weib hob das Haupt und schaute nach dem Ross und dann traf ihr düsterer, tief umschatteter Blick den Sprecher: „Ich hab die Sturmglocke gehört und den roten Himmel gesehen, — hast um des Pferdes willen Brand gelegt, Goykos? —“
Er wandte sich ab, hob sein neugeboren Knäblein auf die Arme und schwang es in wilder, ungestümer Freude — Jû nârro! Jung Irregang! Haben die Glöcklein zu deiner Geburt geklungen, so sollst du dereinst in dem Schellenhemd einherspringen und ein Spassvogel und Lustigmacher werden! — Dessenthalb wird dir keiner mit Galgen und Rad drohen, denn Schalksliedlein sind keine Teufelskünste, und das grosse Volk der Narren wird seines Gleichen besser verstehen, denn den armen Gaukler, der Steine kaut und Feuer schlingt!“ — Und er warf sich neben dem braunen Weibe nieder, sah ihr mit flackerndem Blick ins Angesicht und sprach durch die Zähne: „Musst auf! Um des Rosses willen. — Spüren sie den Hufen nach und finden sie uns, so ist’s aus. — Nur wenige Stunden über das Stadthege hinaus, dann sind wir sicher und haben das Pferd.“ —
Ein tiefer, schwerer Seufzer ist die Antwort. Hinaus in die Nacht, ruhelos — krank und todesmüd. —
Hinde trägt die Zigeunerin und ihr Kind, und so wild sie zuvor daher gestürmt, so sacht und sorglich schreitet sie jetzt, als wüsste sie, welch eine Last man ihrem Rücken anvertraut. Durch Gebüsch und dornige Wildnis entfliehen sie. Oftmals wirft sich Goykos auf die Erde und neigt lauschend das Ohr. Dann geht’s weiter auf entlegenen Pfaden. Spät erst, als die Sonne wieder am Himmel steht, hebt er sein Weib zur Erde, schüttelt mit keckem Triumphgeschrei die lockigen Haare und streicht ungestüm mit der Hand um den nackten Hals, als fühle er ihn erst jetzt wieder frei vom hanfenen Strick. —
Und dann stieg er auf die Bäume und stahl den Vögeln die Eier, oder legte Schlingen ins Gras und grub die Pfifferlinge aus dem Waldmoos; viel, möglichst viel Nahrung um das Lager seines Weibes zu legen, denn bei Dunkelheit wollte er sich hinab schleichen ins Dorf ... und ob er stets von solchem Gange heimkehrt? — Bah! — Der Goykos ist ein listiger Teufel, der schon manches Bäuerlein hat raten lassen, wo sein Brot und Speck geblieben. Diesmal brachte er eine Karre heim, welche während der Nacht bei der Schäferhütte verblieben, und er sprach abermals hastig flüsternd zu seinem Weibe: „Musst auf! um der Karre willen.“
Wohl war’s besser daher zu fahren als zu gehen, und Zinkras Rock war schon oftmals zerfetzt von verfolgenden Hunden, darum nahm sie ihr Kind in die Arme und entwich abermals hinaus in Nacht und Finsternis. — So stahl Goykos nach und nach alles zusammen, was er noch brauchte, um aus der Schäferkarre ein rollend Häuslein für sich und die Seinen zu bauen, und er zog querfeldein durch Wald und Haide, durch Sommerglut und Winterkälte, ein Mann, der dem Schicksal ein Schnippchen schlägt, lustig mit den Schellen rasselt und zu seiner Narretei singt:
Dieweil ich heut noch pfeif und tanz’
Fault morgen mein Gebeine,
Jûhû! Bei Kann’ und Ridewanz
Und nächtens unter’m Steine!
Spring heute noch durch Laub und Klee,
Jûhû rings um die Linde,
Und morgen tanzt Freund Klapperbein
Mit mir im Abendwinde!“
Goykos konnte mit gar vortrefflichen Kunststücken Rittersmann und Bäuerlein eine Kurzweil schaffen, er schlang wirklich und wahrhaftig brennend Feuer ein, zermalmte feste Steine mit den Zähnen, dass die Zuschauer ein starres Staunen überkam, und er liess buntfarbene Kugeln auf spitzem Stabe tanzen, stand kerzengrad auf dem Kopf und konnte sich auf einem Fasse überschlagen, dass er nicht herniederfiel und zu Schaden kam. — Sein schwarzbraun Weib aber, mit dem Fluch- und Höllenbrand im Blick, wusste gar seltsam zwischen Eiern zu tanzen, schlug das Glockenbrett und die Maultrommel in tobend wilder Weise und sang mit ihrem kleinen Büblein die lustigsten Schalkslieder. Irregang war angetan mit possierlicher Kleidung, wie sie die Narren tragen, rollte sich in ergötzlicher Weise auf der Erde umher und bettelte fürnehmlich die Weibsleute um ein Almosen an. —
Und wenn der Rittersmann just satt und behaglicher Laune war, und der Bürger gut gehandelt und der Bauer siebenfach geerntet hatte, dann nahm man die fahrenden Leute wohl auf und lachte ihrer Gaukelkünste und beschenkte sie, oder beschenkte sie auch nicht, sondern hiess sie in des Satans Namen „ohne die wohlverdiente Straf’ für solche Teufelei“ weiter ziehen! Wenn aber böse Laune herrschte und der Finger des Gauklers zur unrechten Zeit anklopfte, dann musste er sich wohl hüten, den misstrauisch scheelen Mienen gar zu unerklärliche Künste zu zeigen, wenn er nicht der Roheit und Dummheit auf dem Richtplatz als Hexenmeister zum Opfer fallen wollte.
Seit Hinde den Karren mit des Goykos Familie zog, schien das Glück an seinen plumpen Walzrädern zu haften, denn nur zweimal hatte man den Zigeuner mit Not und Tod bedroht, und die Lande, da hinein das Ross seinen Weg nahm, gestalteten sich stets schöner und lieblicher und verringerten die Kälte und das Winterleid, welches dem heimatlosen Volk im Norden gar grausam zugesetzt hatte.
Des Goykos Knäblein und Hinde waren dem Zigeuner gleichsam an einem Tage geworden, und sie gewannen sich auch lieb wie Bruder und Schwester. Dieweil Vater und Mutter ihre Schaustellung gaben, hütete das Ross des nackten Knäbleins im Grase, und als der Kleine heran wuchs, gab’s keinen lieberen Spielkamerad für ihn, wie das kluge, verständige Ross mit der schwarzzottigen Mähne. Ja, die Hinde hatte Menschenverstand, sie lief schneller wie der Wind, wenn die Gefahr auf den Fersen sass, und sie stand stundenlang regungslos in Sturm und Sonnenglut, wenn der Knabe ihr den Hals klopfte und mit seiner leisen, wehmutsvollen Stimme sprach: „Verweil hier, Hinde! ich zieh mein Schellenhemdlein an und treib Spässe, auf dass die Burgfrau mir eine Hand voll Hirse schenkt und der böse Vogt den Vater nicht peitschen lässt!“ —
Goykos nannte seinen Knaben „Purzelmännchen“, weil solch ein Name die Leute ergötzte, und seine Mutter rief ihn zärtlich mit mancherlei Dingen: „kleine Mauskatz“ — oder „Faul Dächslein“ oder auch „Blankguckel!“ — da aber der Kleine ernsthaft fragte, wie denn wohl sein richtiger Namen laute, da nahm ihn der Zigeuner vor sich aufs Knie, fasste sein langes Haar in derber Liebkosung mit der Faust und sang ihm mit Lachen solch ein Lied:
Irregang hais ich,
Mang land wais ich,
Min Vatter Irrgang was genannt!“
und seit jener Stunde rief er ihn „Irregang“.
Huiho! wie der Regen stürzt, — wie der Donner in den Bergen dröhnt. —
Hinde stand mit geneigtem Kopfe und hängenden Ohren und liess die kühlen Bächlein durch die Mähne hernieder fliessen; Goykos