Sie blickte sich flüchtig um, fiel ihm um den Hals. Der nur mit einer Silberschließe zusammengehaltene Umhang fiel weit auseinander.
Mallentin, der Lucie noch ein paar impulsive Worte hatte nachrufen wollen, sah von der Tür aus etwas, das wie ein großer, blausamtner Fächer war, über dem ein lockiger Bubikopf saß, der sich fest gegen das Gesicht Gastons de Vernon drückte.
Er trat schnell zurück, aber er beneidete den Jüngeren ein wenig um den Kuß der zierlichen Tänzerin.
Gaston schob Lucie von sich.
„Geh nun, Kleine, ich darf meinen Begleiter nicht so lange allein lassen. Uebrigens, morgen vormittag gegen elf Uhr werde ich Yvette Brosse aufsuchen.“
Lucie nickte. „Nun weiß ich auch, wozu du eine Renomierwohnung brauchst. Genierst dich mit deiner Bude vor dem Deutschen, nicht wahr?
„Stimmt!“ gab er zu.
Sie raffte ihren Umhang zusammen.
„Vor allem ist so eine Spiegelfechterei gar nicht nötig, das ist kein Talmimensch, der seine Mitmenschen nach dem einschätzt, was sie besitzen.“
Gaston war ein wenig ungeduldig.
Das zu beurteilen, überlaß mir, Lucie. Es ist so peinlich, als Habenichts vor einem so reichen Menschen dazustehen.“
„Ist er so sehr reich?“ fragte sie neugierig.
„Wenigstens reicher als ich“, erwiderte er leichthin. „Und nun allons, allons, dein Agent wartet.“
Er eilte zurück, Mallentin winkte ihm entgegen.
Auf der Bühne stand jetzt eine Sängerin. Sie war dick und hatte ein paar Bänder als Kostüm gewählt. Ihre Stimme war heiser und unangenehm.
Mallentin sagte leise: „Wollen hier fortgehen. Nach der hübschen Mademoiselle Lucie mag man so was gar nicht sehen und hören. Wenn es Ihnen recht ist, Monsieur de Vernon, setzen wir uns in irgendein gemütliches Kaffee und plaudern ein bißchen.“
Gaston war damit einverstanden.
Ein elegantes Kaffee an der Opera war ihr Ziel.
Hier taute Mallentin auf, erzählte ein wenig von dem Zweck seiner Reise nach Paris. Es stimmte mit dem überein, was Gaston in den Zeitungen gelesen.
Beim Abschied sagte dieser, daß er morgen eine Einladung nach außerhalb hätte, sich aber freuen würde, wenn er übermorgen nachmittag Monsieur Mallentin zum Tee abholen dürfe, in seine Junggesellenbude.
Mallentin nahm an, und nachdem Gaston am nächsten Tage mit Yvette Brosse gesprochen, stand ihm die elegante Etage für den kommenden Nachmittag bis zum Abend zur Verfügung.
Er verkaufte das goldene Zigarrenetui mit den Brillanten und Perlen für einige tausend Franken, ein Lohndiener servierte den Tee, und Gaston entschuldigte sich bei seinem Gast, daß er immer außer dem Haus speise und deshalb alles zu sehr den Stempel Junggesellenheim trage.
Eberhard Mallentin fand, sein Lebensretter wohnte sehr elegant, aber ein bißchen weibisch, doch so ein Pariser Lebemann liebt das wohl. Er ahnte nicht, daß er den Tee in den Räumen trank, die von der eleganten Kabarettistin Yvette Brosse bewohnt wurden, deren Freund sie ihr eingerichtet hatte.
III
In Lucies Zimmer saß Gaston de Vernon auf dem kleinen, roten Plüschsofa, und vor ihm stand Lucie in eitel Freude.
„Du bist ein Bär, Liebster“, lachte sie. „Schon mindestens zwei Minuten bist du bei mir und hast mich noch nicht einmal gefragt, was der Agent Duran eigentlich neulich abend von mir gewollt hat. Du verdienst gar nicht, daß ich es dir mitteile, du ganz schlechter Mensch. Aber ich kann es ja nicht für mich behalten, so wunderschön ist’s, und doch fürchte ich mich auch davor.“
„Ja, aber, Lucie, ich weiß immer noch nicht, was eigentlich los ist“, hielt ihr Gaston vor.
„Wirklich nicht?“ staunte sie. Aber ich spreche doch schon die ganze Zeit davon, daß ich in den Folies bergères auftreten soll, und bereits am nächsten Montag. Eine Tänzerin, die ab Montag dort auftreten sollte, ist plötzlich krank geworden. Eine Spanierin. Sie hat abtelegraphiert. Du, eine große Berühmtheit soll die sein — und nun, bitte, denke, so eine Berühmtheit darf ich ersetzen, ich! Aber Duran behauptet, ich packe es, ich brauchte mir gar keine Gedanken zu machen. Am Montag, wenn ich zum ersten Male in dem großen Arragement auftreten werde, mußt du natürlich hinkommen und mir nachher ehrlich sagen, wie ich gewirkt habe. Und viel Beifall mußt du mir klatschen. Und —.“
Gaston legte ihr die eine Hand auf den Mund.
„Du kannst nicht nur mit den Beinen, du kannst auch mit dem Mund tanzen, Lucie, mach’ mal eine kleine Pause, sonst strengst du deine Lunge zu sehr an.“
Sie saß plötzlich auf seinem Schoß, legte ihre beiden Hände fest an seine Wangen, bog seinen Kopf nahe zu sich. „Gaston! Nicht allein meinetwegen freue ich mich darüber, nun aus dem Weichbild der kleinen Singspielhallen herauszukommen, sondern auch deinetwegen.“ Ihre Stimme ward weicher und wärmer. „Du weißt ja, welche Träume ich hege. Berühmt will ich werden, die ganze Welt bereisen, und allen Menschen zeigen, wie Lucie Manin tanzen kann. Mit dir die ganze Welt durchreisen. Du sollst mein Mann sein, mein Impresario — und später, wenn wir in die Heimat zurückkommen, fängst du dann irgendwas an.“
Er küßte sie heiß und lange. Er hatte sie ja auf seine Art lieb, aber die Liebe saß nicht tief, er dachte nicht daran, seine Zukunft damit zu belasten.
Wenn der kleine Sprühteufel ahnte, wie nahe ihr der Abschied mit ihm war. Uebermorgen früh würde er mit Eberhard Mallentin abreisen, um wahrscheinlich nie mehr nach Paris zurückzukehren.
Wenn Lucie am Montag in den Folies bergères tanzte, ließ er sich schon auf Groß-Rampe in der Mark Brandenburg als Lebensretter feiern.
Er streichelte über ihr Haar.
„Also nochmals, Lucie, versichere ich dir, ich freue mich sehr mit dir, und nun möchte ich dir das geliehene Geld wiedergeben.“ Er zog aus seiner Brieftasche ein paar Scheine. „Hier die geliehenen zweihundert Franks und hier —“ er steckte ihr einen Ring an die Rechte — „hier die Zinsen.“
Sie hätte nicht die kleine Lucie Manin sein müssen, die sich gar zu gern schmückte, wenn sie über die Gabe nicht in lautem Jubel ausgebrochen wäre. Es war ein Marquisring aus Smaragden und kleinen, aber klaren Brillanten.
Lucie Manin umhalste den Geliebten, riß ihn hoch, tanzte mit ihm einen selbsterfundenen Tanz vor Freude, der dem Kriegstanz irgendeines wilden Völkerstammes glich.
Er faßte sie bei den Schultern.
„Nun höre mal auf, chérie, heute abend, sobald du frei bist, wollen wir zusammen sein. Wollen die Folies bergères feiern.“
Er hielt sie fest.
„Ich muß jetzt fort, Lucie, also auf Wiedersehen im Corbeille de bonheur.“
Sie dankte ihm noch einmal überschwenglich für den Ring.
„Hast Glück im Spiel gehabt, nicht wahr?“ fragte sie.
Er nickte nur, eilte dann fort. Er hatte noch allerlei für die Reise vorzubereiten.
Am Abend saß er dann in der Corbeille de bonheur. Wahrhaftig, Lucie tanzte wirklich sehr graziös und geschmeidig. Zum ersten Male glaubte er an eine Zukunft Lucies. Gönnte sie ihr. Ihm gegenüber war die Tänzerin stets lieb und uneigennützig gewesen.
Es tat ihm flüchtig fast leid, so plötzlich zu verschwinden, ohne daß sie ahnte, wohin er sich gewandt. Aber es war besser, er verschwand sang- und klanglos. Sie würde erst weinen, sich dann damit abfinden und ihn allmählich vergessen.
Mit einem innigen Kuß nahm sie von dem Geliebten Abschied. „Wenn wir uns nicht mehr vorher sehen sollten“, sagte sie, „bist