Ich bleib dir treu. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726629422
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gerührt und doch ungeduldig: „Natürlich! Es werden so viele Dummheiten in der Welt gemacht, da kommt es auf eine mehr gar nicht an. Aber jetzt muß ich fort, ich will heute abend mein Glück versuchen. Uebrigens, morgen abend komme ich wahrscheinlich in Begleitung des Herrn, dessen Bekanntschaft ich heute machte und der mich als seinen Lebensretter in allen Tonlagen feiert, zu dir in eure Neppbude. Laß dann bitte nicht sehr merken, wie wir beide miteinander stehen.“

      „Warum?“ fragte sie, und ihr hübscher Mund blieb fragend ein wenig offen stehen.

      „Weil das unvornehm ist. Kennst du niemand, der mir ein paar Stunden seine Wohnung leiht?“

      „Natürlich, mein Zimmer steht dir gerne zur Verfügung, wenn ich auch nicht begreife, was du vorhast.“

      „Unsinn, Lucie! Was ich brauche, ist eine elegante Etage oder ein eigenes Haus. Es handelt sich um eine Wette.“

      „Eine Wette?“ wiederholte sie.

      Er betonte: „Es handelt sich um eine Wette. Am liebsten wäre mir etwas, das außerhalb läge.“

      Lucie sah ihn groß und nachdenklich an.

      „Vielleicht leiht dir Yvette Brosse ihre Etage. Sie wohnt in Vincennes sehr elegant, und ich bin gut mit ihr befreundet. Natürlich müßte ich mich dafür verbürgen, daß sie für ihre Freundlichkeit nicht noch Unannehmlichkeiten hätte.“

      Der junge Mann fiel ihr hastig ins Wort: „Es handelt sich ja nur um eine Wette. Ich kenne ja Yvette durch dich, und sie tut mir vielleicht den Gefallen.

      Lucie versprach, sich zu bemühen. Gaston verließ sie und dachte ärgerlich, wie dumm, daß man sich nicht allein helfen konnte. Denn es war doch gar nicht zu umgehen, den Gutsbesitzer einmal zu sich einzuladen. Und wenn er ihn in dem Stübchen im dritten Stock des Hotelchens empfing, würde der so überaus dankbare Gerettete doch wohl ein bißchen die Augen aufreißen und vielleicht vorsichtig seine impulsive Einladung zurückziehen.

      Und das durfte nicht sein.

      Irgendwie mußte ihm dort auf Groß-Rampe der Schachzug gelingen, seiner schwankenden Zukunft Festigkeit zu geben.

      *

      Unweit der weltberühmten Kathedrale Notre Dame de Paris beginnt ein Gewinkel von Gäßchen. Ein Stück Alt-Paris, schmutzig und pittoresk, scheint hier von der Vergangenheit zu träumen. Und doch pulst das Gegenwartsleben warm und unruhevoll hier, aber es verbirgt sich auch vieles, was sich nicht auf die hellen, weiten Straßen wagt, im Dämmerdunkel der alten Häuser.

      Unter düsterem, niedrigem Dach hatte der Spielklub „Les Messieurs“ sein derzeitiges Heim gefunden. Alle zwei Monate wechselte der Klub sein Domizil, weil es ihm klug und ratsam schien.

      Gaston de Vernon hatte anfangs flüchtig überlegt, ob er Eberhard Mallentin in den Klub einführen sollte, aber er sagte sich sofort, damit hätte er alles verdorben.

      Er traf dort heute ein paar seiner Bekannten, gescheiterte Existenzen, Abenteurernaturen wie er. Sie hatten ein paar Fremde eingefangen.

      Gaston spielte mit wenig Glück. Er überlegte, ob er Fortuna ein wenig „korrigieren“ sollte. Die Fremden schienen ihm ausgemachte Dummköpfe.

      Allmählich hatte sich das große, niedrige Zimmer ziemlich gefüllt. In dem kleinen Nebenraum schenkte die Frau eines notorischen Spielers, die schöne Madelon, Getränke aus.

      Gaston war wütend. Was konnte man auch mit zwei lumpigen Hundertern anfangen! Noch ein paar lächerlich kleine Sätze durfte er wagen, dann war seine Tasche leer, und Lucie konnte lange warten, bis er ihr das Geld wiederzugeben vermochte. Und für die Reise hatte er auch nichts.

      Wenn er jetzt nicht durch eine ganz besondere Schicksalsfügung zu Geld kam, konnte er sich die Gelegenheit, seine Verhältnisse einmal endgültig zu ordnen, gar nicht zunutze machen.

      Mißtrauisch verließ er den Klub, kehrte heim und ging zu Bett.

      Er sann und grübelte. Bilder aus der Verganhenheit stiegen auf, wollten zum Alpdruck werden. Endlich schlief er ein.

      Am nächsten Morgen ging Gaston de Vernon früh aus, weil er sich nach frischer Luft sehnte. Er bummelte durch den Tuileriengarten, in dem der Frühling sein Standquartier aufgeschlagen zu haben schien.

      Im Gehen überlegte er allerlei Pläne und verwarf sie wieder. Er mußte sich Geld verschaffen, gleichviel auf welche Art, um Eberhard Mallentin begleiten zu können.

      Mißmutig kehrte er um. Ihn ärgerten hier die netten, koketten Kindermädchen, die ihre fröhlichen Schutzbefohlenen spazieren führten.

      Er ging am Continental-Hotel vorbei. Dort hatte er gewohnt, als er zuerst nach Paris kam, als er ―.

      Ach, nicht zu sehr an Vergangenes denken, damit verbaut man sich den Weg zur Zukunft.

      Er ging wieder nach Hause, unlustig und müde.

      Lucie Manin stand vor der Tür des Hotels, sie hatte eben drinnen nach ihm gefragt. So gingen sie zusammen in ein nahes Kaffee.

      Lucie sah entzückend aus in einem neuen, grauen Frühjahrskostüm und dazu passendem Hütchen. Ihr regelmäßiges Gesicht war wie verklärt.

      „Sieh nicht so brummig aus, Gaston, ich habe dir Gutes zu berichten.“ Sie trank einen Schluck Schokolade. „Du, höre nur, ich bin entdeckt worden! Der Duran, du weißt, der schon so viele Größen entdeckt und lanciert hat, war gestern abend bei uns und sah mich tanzen. Er hat nachher mit mir eine Flasche Sekt getrunken und mir gesagt, ich hätte großes Talent, aber ich müsse aus dem Milieu der kleinen Singspielhallen heraus. Er will mir dazu verhelfen.“

      Gaston brummte: „Ich wünsche dir viel Glück dazu, aber meinen Rat wegen der Untreue hättest du gar nicht so überschnell zu befolgen brauchen. Genützt hat es doch nichts, denn ich hatte gestern größeres Pech im Spiel als je.“

      Die Tänzerin sah ihn traurig an.

      „Du solltest so etwas doch nicht sagen. Ich bin dir nicht untreu gewesen und will es auch nicht sein. Seit ich dich kenne, kann ich gar nicht anders als dir treu bleiben.“ Sie lachte. „Und den stadtbekannten Agenten Duran kennst du doch, der alte Herr hat nur so viel Interesse für unsereins, als es ihm geschäftlich Vorteil bringt.“ Sie sah ihn glücklich an. „Ich freute mich so sehr auf das Versprechen Durans, daß ich nicht schlafen konnte, und da bin ich dann in aller Herrgottsfrühe gleich zu Yvette Brosse gefahren. Sie lag noch im Bett und fand es sehr drollig, daß sie dir ihre Wohnung für einige Stunden leihen soll. Sie hat nichts dagegen und erwartet deinen Besuch.“

      „Nett, daß du dich bemüht hast“, nickte er. „Morgen gehe ich zu ihr.“

      Lucie fragte noch, ob er heute abend in die Singspielhalle „La corbeille de bonheur“ käme.

      Gaston zuckte die Achseln.

      „Wenn mein neuer Freund mag.“

      Das Mädchen sah ihn bittend an.

      „Ich werde mich so vornehm benehmen, wie du nur wünschen kannst, und gar nicht merken lassen, wie lieb ich dich habe. Ich spiele die flüchtige Bekanntschaft, sogar die Unbekannte, wenn du willst, aber komm ein Weilchen.“

      Er versprach es, und sie trennten sich.

      Am Abend erschien Gaston de Vernon im Hotel Moderne. Er ließ sich hinauffahren zum zweiten Stock, klopfte an die bezeichnete Tür.

      Mallentin stand schon im Abenddreß bereit. Sein gerötetes Gesicht war voll eitel Wohlwollen.

      „Heute abend soll es ein bißchen lustig werden, nicht wahr, Monsieur de Vernon?“ rief er dem Eintretenden entgegen, ihm beide Hände schüttelnd.

      Nach einer kleinen Pause begann er etwas verlegen: „Herr de Vernon, ich habe gestern abend und heute früh immer nachgegrübelt, ob ich Ihnen nicht irgendeine besondere Freude bereiten könnte.“ Er drückte den Jüngeren in einen mit Gobelinstoff bezogenen Sessel, nahm unweit von ihm Platz. „Nun ist das natürlich sehr schwer, jemand eine Freude zu bereiten,