Ich bleib dir treu. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726629422
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Madame Germaine Mallentin, war nun vor einem halben Jahre gestorben, und bis jetzt hatte sich ihr Enkel mühen müssen, die Erbschaft frei zu bekommen, denn die patriotische Presse verlangte, daß namentlich die überaus wertvollen Juwelen von Madame Germaine, die doch im Herzen niemals ihre Nationalität gewechselt, dem Lande erhalten bleiben müßten. Perlen sollten bei dem Schmuck sein, wie sie manche Fürstin nicht einmal in ihren Glanztagen besessen, und der Stirnreif einer ermordeten Balkanfürstin, mit dem kein zweiter sich messen könne.

      Eberhard Mallentin schwärmte dem Jüngeren von seinem Zuhause vor.

      „Wissen Sie, Monsieur de Vernon, ich freue mich auf daheim. Unser Gut ist ein kleines Paradies. Es gibt keine himmelhohen Häuser, keine Boulevards, das ist klar; dafür aber Eichenwald, wie aus einem alten deutschen Märchen aufgestiegen, und einen tiefen, dunklen See, in dem sich märkische Buchen spiegeln.“

      Der andere sagte lebhaft: „Sie schildern das alles so lebendig. Sie reizen mich fast, Ihre engere Heimat kennenzulernen.“

      Eberhard Mallentin riß an seinem grauen, dichten Schnurrbart herum.

      „Besuchen Sie mich doch, Monsieur de Vernon, ich lade Sie herzlich ein. Dann kann ich meinen Kindern meinen Lebensretter vorstellen.“

      Eberhard Mallentin lachte fast laut.

      „Groß-Rampe hat Platz für hundert Gäste. Also die Sache ist abgemacht, Sie reisen mit mir.“

      Der Jüngere nickte. „Ich nehme mit vielem Dank an, ich habe doch nichts anderes vor und bin völlig Herr meiner Zeit. Uebrigens, etwas Deutsch kann ich auch, wenn auch nicht viel.“ Er dachte, diese Bekanntschaft heute war vielleicht die Gelegenheit zum größten Coup seines Lebens. Einmal mußte er reich werden, um sich aus der Unsicherheit seiner Existenz zu retten. Er zählte zweiunddreißig Jahre, und es war somit die höchste Zeit für ihn.

      Ein Boy mit einem Brief in der Hand wollte eben die Treppe ersteigen, erblickte dann Eberhard Mallentin, kam mit devoter Geschmeidigkeit auf ihn zu, überreichte den Brief und verschwand wieder.

      Mallentin strahlte seinen Gast an.

      „Von meinem Mädel daheim.“

      Er wollte den Brief in seine Rocktasche versenken.

      „Bitte, lesen Sie nur“, sagte Gaston de Vernon höflich.

      Der Gutsbesitzer nickte. „Schön. Ich bin auch gespannt, was meine Kleine schreibt.“

      Während Mallentin las, beobachtete der Jüngere ihn ein wenig, sah, wie der Lesende mehrmals schmunzelte.

      Jetzt betrachtete er eine Photographie, reichte sie ihm.

      „Das ist ein Bild meines Mädels. Franziska heißt sie, aber wir nennen sie ,Fränze‘.“

      Das Wörtchen „Fränze“ sprach er natürlich deutsch.

      Gaston de Vernon betrachtete die Liebhaberaufnahme ebenfalls.

      Er sah ein schlankes Mädchen im einfachsten Kleid der Welt, mit zwei Riesenzöpfen, die nach vorn über die Schultern fielen. Große Augen und ein lachender Mund schienen voll Uebermut.

      Landpomeranze, ländlicher, lebensfroher Backfisch! war das Ergebnis von Gastons Betrachtung.

      Er reichte das Bildchen zurück, sagte aus Höflichkeit: „Ihre Tochter ist sehr hübsch!“

      „So?“ sagte Mallentin, ganz gedehnt. „Wirklich? Ich muß bekennen, das ist mir noch nicht aufgefallen. Aber ein sonniges Geschöpf ist sie, das weiß ich. Sie hat die liebenswerte Natur ihrer Mutter, die leider schon vor Jahren starb.“

      „Oh!“ machte Gaston de Vernon und deutete dadurch Mitgefühl an.

      Er überlegte, daß es gut sei, wenn es auf Groß-Rampe keine scharfsichtige Hausfrau gebe.

      Eberhard Mallentin faltete den Brief zusammen, warf noch einen zärtlichen Blick auf das Bildchen und sagte: „Würden Sie mir das Vergnügen bereiten, morgen abend mit mir zusammen zu sein?“ Er sah den Jüngeren treuherzig an. „Damit wir uns noch ein bißchen bessern kennenlernen und uns über Ihren Besuch bei mir unterhalten können.“ Er setzte zögernd hinzu: „Ich habe hier viel mit einem Anwalt zu verhandeln und mit dem deutschen Konsulat. Ich habe dadurch ein paar Bekanntschaften, aber unter uns: amüsieren kann man sich dabei nicht besonders. Ich möchte mich gern einmal mit einem Kundigen da umschauen, wo Paris sich amüsiert. Natürlich in allen Ehren, und wenn Sie da die Führung übernehmen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“

      Vernon hätte beinahe laut aufgelacht. Es war doch immer dasselbe: die älteren Herren suchten begehrlicher als die jüngeren die Stätten, wo die Becher der Lebensfreude überschäumen.

      Nun, ein bißchen konnte er seinem neuen Freunde ja entgegenkommen. Wenn er weiter nichts von ihm verlangte, als dorthin geführt zu werden, wo man sich amüsierte, konnte er ihm dienen, hatte er doch selbst eine große Vorliebe für alles was leicht und lustig war. Sonst — — wie ein bleierner Reif legte es sich plötzlich um seine Stirn — — sonst wäre er niemals Gaston de Vernon geworden.

      Er reckte sich in seinem Ledersessel auf.

      „Ich werde mich jetzt empfehlen, Monsieur Mallentin. Wann darf ich Sie morgen abend zur Bummelfahrt durch das nächtliche Paris abholen?“

      Sie verabredeten sich, und dann ging Gaston de Vernon.

      Er fuhr mit dem Metro zum Ostbahnhof. Sein derzeitiges Domizil war das Hotel zur Eisenbahn. Ein schmales, hohes Haus, darin er im dritten Stock wohnte.

      II

      Gaston de Vernon schob seine schlanke Gestalt durch das abendliche Leben und Treiben der Straße links vom Ostbahnhof, betrat ein Haus, in dem es aus einer Fischhalle abscheulich roch, stieg zum zweiten Stock hinauf. Eine schlampige Frau öffnete auf sein Klingeln. Puder hatte ihr welkes und aufgeschwemmtes Gesicht zu einer hellila Maske gemacht.

      Sie zog ein wenig die Lippen hoch, zeigte ein paar falsche Zähne und ein paar Zahnlücken.

      „Ah, Monsieur de Vernon. Mademoiselle Lucie ist zu Hause.“

      Sie ließ ihn eintreten. Es roch nach nasser Wäsche auf dem Korridor. Er klopfte an eine Tür. Ein Lachen, klar wie die Tonleiter hinauf und hinunter, sprang hinter der Tür auf, und dann ward es auf dem halbdunklen Korridor hell. Die zierlichste Pariserin, auf hohen Hakkenschuhen, mit extravaganter Bubikopffrisur, stand auf der Schwelle.

      „Gaston, dein Klopfen kenne ich sofort!“

      Sie zog ihn in ein großes Zimmer, in dem schwerer Parfümduft wie ein Nebel lag und allen Gegenständen zu entströmen schien, die es hier gab.

      „Ich habe dich lange nicht gesehen, Gaston. Weshalb hast du dich so rar gemacht?“

      „Heute mittag wollte ich kommen“, antwortete er, „da riß ich im letzten Augenblick einen Herrn, der beinahe aus der Untergrundbahn gestürzt wäre, zurück, er lud mich aus Dankbarkeit zu Tisch.“ Er setzte sich. „Lucie, ich habe wieder mein Geld bis auf eine unbedeutende Summe verspielt. Leihe mir, wenn du kannst, ein wenig, du weißt, du erhältst es wieder.“

      „Natürlich leihe ich dir etwas. Gestern habe ich ja meine Monatsgage bekommen.“ Sie ging an einen kleinen Schreibtisch, schloß ein Fach auf. „Wieviel willst du, Liebster?“

      Sie hielt ihm mehrere Hunderfrankenscheine entgegen.

      Er nahm zwei, sagte fast befangen: „Ich hoffe, im Spiel Glück zu haben. Sei mir mal ein bißchen untreu, bitte, du weißt, Lucie, Unglück in der Liebe, Glück im Spiel.“

      Sie stand vor ihm, legte die schmalen Arme auf seine Schultern.

      „Ich dich betrügen? Du, Gaston, nicht einmal im Scherz darfst du so etwas zu mir sagen. Hast auch schon Glück im Spiel gehabt, Liebster. Versuch es nochmals. Aber tausendmal besser wäre es, du würdest dich nach einer Stellung umtun. Bist doch so klug und gebildet. Sprichst alle möglichen Sprachen, siehst vorzüglich aus. Und wenn du eine