Die Eidgenossenschaft
Am Tage der Ungarschlacht im Jahre 955 erhoben sich die verschiedenen Abteilungen des königlichen Heeres bei Morgengrauen, alle gaben sich gegenseitig den Friedenskuss, schwuren erst ihrem Führer, darauf einer dem anderen treuen Beistand und zogen dann aus dem Lager dem Feind entgegen. Als die Vasallen des Königs Hettel von Hegelingen sich anschickten, übers Meer nach Irland zu fahren, um die Tochter Hagens für ihren Herren zu freien, schwuren sie einander mit gestabten Eiden treuen Beistand. Im Angesicht einer großen Gefahr pflegten germanische Männer ihr Zusammenwirken durch einen Schwur zu heiligen und nannten das eine Schwurgenossenschaft oder Eidgenossenschaft. Das taten auch einige Männer aus den kleinen Ländern Schwyz, Uri und Unterwalden an einem durch die Reuß gebildeten See im oberen Schwaben, als sie ihre Freiheit bedroht glaubten. Es war ein altgermanischer Brauch, den sie übten, und mit den alten Germanen hatte dies Bergvolk mehr Verwandtschaft als mit den kirchentreuen Christen ihrer Tage. Es ist bei ihnen nicht viel die Rede von Gebet, von Stiftung und Heiligtümern, und wenn sie sich beugen, tun sie es mit dem Vorbehalt trotzigen und ungestümen Widerstandes sowie die Gelegenheit es ermöglicht. Dass spätere Geschichtschreiber sie von den Schweden oder Sachsen ableiteten, mögen sie zum Teil im Gefühl für das Nordisch-Heidnische getan haben, das diesen bäuerlichen Heroen eigen war. Söhne des Gotthard waren sie, der selbst wie ein alter Gott über Bergen und Tälern lagert, das Haupt von Wolken und Winden umkreist, wohltätige Ströme den Menschen, die ihm dienen, herablassend. Wie mit einem Gott müssen die, die an seinem Fuße wohnen, mit ihm ringen, bevor er sie segnet; wenn sie sich verwegen und furchtlos erweisen, sind sie sein Volk und haben teil an seinem elementaren Wesen. Sie sind ein Geschlecht von Riesen, die der Lawinen und Blöcke, die ihr wilder alter Gott ins Tal rollt, nicht achtend über zackigen Granit schreiten und Feinde, die sich in ihren heimischen Bezirk wagen, mit geschleuderten Felsen vertreiben. Aber wenn sie Riesen waren, so waren sie doch nicht einfältigen oder plumpen Geistes; sie konnten ihre politische Lage mit jedem Vorteil und Nachteil beurteilen und die Umstände des Geschehens in Nähe und Ferne berechnen und benützen.
Die beiden Länder Schwyz und Uri waren überwiegend von Adligen und freien Leuten bewohnt, die sich nach altgermanischer Auffassung kaum vom Adel unterschieden. Das Ländchen Uri war ein Teil der Ausstattung, mit der im Jahre 853 König Ludwig der Deutsche seine Tochter Hildegard beschenkt hatte, als er in der Nähe der königlichen Pfalz auf dem Lindenhofe beim Orte Zürich ein Kloster gründete und sie zur Äbtissin desselben machte. Wie für alle Klöster wurde auch für die Abtei Fraumünster ein Vogt bestellt, der die hohe Gerichtsbarkeit über das klösterliche Gebiet führte; mit dem Ende des 11. Jahrhunderts kam die Schirmvogtei an die Herzöge von Zähringen. Der Umstand, dass die durch die Immunität aus dem Gesamtverbande gelösten Länder unter derselben Gerichtsbarkeit standen, dass die Bewohner Markgenossen an derselben Allmende waren, das Zusammengedrängtsein namentlich im selben Tale, das Umschlossensein von denselben Bergen nährte in den Leuten von Uri das Gefühl, ein Ganzes, eine Gemeinde auszumachen: im Beginn des 13. Jahrhunderts nannten sie sich die Universitas hominum vallis Uroniae. Das Aussterben der Zähringer im Jahre 1218 befreite die Gemeinde Uri von der Gefahr, Untertanen dieses Hauses zu werden; aber eine neue erhob sich, als Friedrich II. die Vogtei dem Grafen Rudolf dem Älteren von Habsburg verpfändete. Wenn schon die Vögte fast immer danach trachteten, das Land, dem sie als Richter vorstanden, in ihren erblichen Besitz zu bringen, so gab sich die Gelegenheit zu solcher Vergewaltigung vollends bei Verpfändungen. Die Urner suchten sofort sich der Schlinge zu entziehen, die ihrer Freiheit gelegt war, und sie hatten Glück: Heinrich VII., des Kaisers junger Sohn, den er zu seinem Stellvertreter in Deutschland ernannt hatte, erklärte ihren Boten zu Hagenau im Elsaß, dass er die Vogtei zurückgekauft habe und dass er die Männer des Tales Uri niemals dem Reich entfremden werde. Mit diesem Brief des unglücklichen jungen Königs erhielten die Urner die Beglaubigung ihrer Reichsfreiheit, die ihnen nie bestritten wurde. Die Vogtei wurde künftig von Amtmännern aus ihrer Mitte ausgeübt, die nach einiger Zeit Landammänner hießen. Seit dem Jahre 1243 gab das Land seiner Selbstständigkeit dadurch Ausdruck, dass es ein eigenes Siegel führte.
Auch Schwyz, das damals aus dem Flecken Schwyz und dem Dorf Steinen bestand, wurde hauptsächlich von Freien bewohnt; doch gab es dazwischen auch eigene Leute verschiedener Dynasten und Klöster. Die Gerichtshoheit über Schwyz hatten als Landgrafen vom Zürichgau die Grafen von Lenzburg und, nachdem diese ausgestorben waren, die Grafen von Habsburg. Von dieser Familie, die zu ihrem Eigenbesitz an der Aare verschiedene Güter des Grafen von Lenzburg hinzugeerbt hatte, war vorauszusetzen, dass sie versuchen würde, das landgräfliche Amt in eine Herrschaft umzuwandeln, die freien Schwyzer zu Untertanen zu machen. Das Beispiel von Uri wies den Schwyzern den Ausweg aus der sich bildenden Klammer: einzig die Reichsfreiheit gab Sicherheit vor der Unterwerfung unter eine Dynastie. Aus der anschwellenden Flut der Feudalität ragte der Kaiser als ein Fels der alten Volksfreiheit, er handhabte sein Zepter wie einen Zauberstab, mit dem er die Überschwemmung vor denen zum Stehen bringen konnte, die sich ihm ergaben, und die er annahm. Würde er die Männer von Schwyz begnaden, Friedrich II., der Rätselhafte, der Schreckliche, der eben seine ganze Kraft aufbot, um den Papst zu vernichten? In diesem Kampf, der das Abendland erschütterte, erspähten die aufmerksam beobachtenden Männer von Schwyz einen Anlass. Graf Rudolf von Habsburg-Laufenburg nämlich, der die Landgrafschaft innehatte, stellte sich auf die Seite des Papstes, wurde somit Feind des Kaisers, der gern dazu beitragen würde, den Abtrünnigen zu schwächen. Man weiß nicht, wie die Männer hießen, die den schicksalvollen Weg über das Gebirge antraten, um dem Kaiser ihr Anliegen vorzutragen. Es ist anzunehmen, dass sie vorher sich mit denen von Uri besprachen; dann stiegen sie mit festen langen Schritten die Schöllenen hinauf, an der tobenden Reuß entlang, über die stiebende Brücke, die seit einer Reihe von Jahren den Felsen umging, den jetzt das Urner Loch durchbohrt, und über den wilden Gotthard zum Süden hinunter. Vor Faenza fanden sie den Kaiser. Staunend betrachteten sie wohl die Mauern, die der Gewaltige hatte aufrichten lassen, um die tapfer sich wehrende Stadt abzusperren, die nie gesehenen