Deutsche Geschichte. Ricarda Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Серия: Sachbücher bei Null Papier
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783962817725
Скачать книгу
um­brach­te, und die auch ihn be­sit­zen woll­te, führt ihn als zau­ber­kun­dig, aber als un­ver­führ­bar ein. Doch war er ein Freund der Frau­en und der Frau­en­bil­dung. Im Ge­gen­satz zur Bi­bel for­der­te er, dass im Fal­le des Ehe­bruchs nicht nur der Mann die Frau, son­dern auch die Frau den Mann ent­las­sen dür­fe. Das Recht, die ehe­bre­che­ri­sche Frau zu tö­ten, sprach er dem Man­ne ab.

      In al­len sei­nen An­schau­un­gen hielt er die Mit­te ein, nicht im Sin­ne des Mit­tel­mä­ßi­gen, Ver­wa­sche­nen, Ver­plat­te­ten, son­dern so, dass er das Ent­ge­gen­ge­setz­te zu ver­bin­den such­te, wie es wirk­lich im We­sen der Men­schen ver­bun­den ist. Er war ein Geg­ner der Gü­ter­ge­mein­schaft, wie sie Pla­to lehr­te; aber wenn er den Pri­vat­be­sitz für zu­läs­sig und so­gar löb­lich er­klär­te, so sag­te er doch, dass der Mensch nicht un­be­dingt Herr sei­ner Gü­ter sei. Pri­vat­be­sitz, der über das hin­aus­ge­he, was man zur Be­frie­di­gung der Le­bens­be­dürf­nis­se be­nö­ti­ge, müs­se den Är­me­ren zu­gu­te kom­men. Der Be­sit­zer über­flüs­si­ger Gü­ter sei ei­gent­lich nur Ver­wal­ter des Ar­men­gu­tes. Im Fal­le der Not wer­de Pri­vat­be­sitz Ge­mein­be­sitz, weil nach dem Na­tur­recht im Not­fal­le al­les ge­mein­sam sei. Das fol­ge aus der Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit al­ler im Staa­te. Im All­ge­mei­nen lehn­te er sich in al­len den Staat be­tref­fen­den Fra­gen an Ari­sto­te­les, zu­wei­len an Au­gus­ti­nus. Das Fun­da­ment des Staa­tes ist ihm die Ge­rech­tig­keit; er er­in­nert an das Wort des Au­gus­ti­nus: »Ohne Ge­rech­tig­keit sind die Staa­ten wei­ter nichts als große Räu­ber­ban­den.« Wenn der Zweck des Staa­tes ist, die Bür­ger zu ver­sitt­li­chen, so bil­det da­bei doch die Wirk­lich­keit des Le­bens eine Gren­ze. So hielt er z. B. das Zins­neh­men für ge­stat­tet. Den Krieg sah er als ein Übel an, nicht aber den Sol­da­ten­stand für un­sitt­lich oder un­er­laubt; denn im In­ter­es­se sei­ner Sou­ve­rä­ni­tät müs­se der Staat ge­rüs­tet sein und dür­fe zur Ver­tei­di­gung auch Krie­ge füh­ren; Krie­ge ge­gen heid­nische Völ­ker zum Zwe­cke der Be­keh­rung da­ge­gen ver­warf er, ganz ab­wei­chend von den herr­schen­den An­sich­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten. Wi­der­stand ge­gen Ty­ran­nen hielt er für er­laubt. Der Staat war ihm nicht Macht­staat, son­dern in ers­ter Li­nie Kul­tur­staat.

      Das Um­fas­sen al­ler Ge­bie­te des Glau­bens, des Den­kens und des Le­bens macht Al­bert so groß. In al­les, was er tat oder be­ar­bei­te­te, ver­tief­te er sich gründ­lich, mit Lei­den­schaft. Die Men­ge sei­ner Schrif­ten ist so groß, dass man meint, er müs­se sein Le­ben mit der Fe­der in der Hand zu­ge­bracht ha­ben. Doch schätz­te ihn der Or­den nicht nur als Pre­di­ger und als Uni­ver­si­täts­leh­rer, son­dern auch als Ver­wal­ter. In der Freund­schaft war er treu und in der Aner­ken­nung frem­den Ver­diens­tes so selbst­los und hin­ge­bend, dass er, als die Leh­re des Tho­mas von Aqui­no in Pa­ris an­ge­grif­fen wur­de, trotz sei­nes ho­hen Al­ters, denn er war in der Mit­te der acht­zi­ger Jah­re, dort­hin reis­te, um sei­nen ver­stor­be­nen Schü­ler und Freund zu ver­tei­di­gen. Es war ihm eine lan­ge Le­bens­zeit be­schie­den, da­mit er alle Stu­fen des Le­bens durch­schrei­ten und ihre ver­schie­de­nen Auf­ga­ben er­fül­len kön­ne. Er starb neun­zig­jäh­rig im Jah­re 1280.

      Man hat die Zeit, die dem Un­ter­gang der Ho­hen­stau­fen folg­te, wäh­rend der aus­län­di­sche Fürs­ten zu Kö­ni­gen ge­wählt wur­den, die Deutsch­land teils gar nicht, teils nur flüch­tig be­tra­ten, das In­ter­reg­num, das Zwi­schen­reich, ge­nannt und pflegt sie als eine Zeit des Nie­der­gangs, des all­ge­mei­nen Ver­der­bens zu be­trach­ten. Wie rich­tig das auch ist, so ist doch kein Nie­der­gang so durch­grei­fend, dass sich nicht Kei­me reg­ten, in de­nen ein herr­li­cher Flor für die Zu­kunft sich vor­be­rei­tet; denn die Ket­te des Le­bens reißt nie­mals ganz ab. Schwä­chun­gen der Zen­tral­ge­walt ha­ben nicht sel­ten den großen Vor­teil, dass das Ein­zel­ne sich kräf­ti­ger rüh­ren kann, dass aus der Tie­fe des Vol­kes schöp­fe­risch em­por­treibt, was der An­re­gung durch die Not be­durf­te, dem die man­geln­de Auf­sicht Raum gibt. Das ist ge­ra­de bei den Deut­schen mit ih­rer Nei­gung zu in­di­vi­du­el­len Bil­dun­gen der Fall, de­ren Reich­tum wohl zu­wei­len das Gan­ze zu über­wu­chern droht, aber doch der Kul­tur zu­gu­te kommt. Zwi­schen der Ver­tre­tung des Gan­zen – der Zen­tral­ge­walt – und dem Ein­zel­nen muss stets ein Kampf und ein Aus­gleich statt­fin­den; dar­in, dass je­des Ein­zel­ne strebt, ein Gan­zes zu wer­den, und dass das Gan­ze je­des Ein­zel­ne ein­schrän­ken muss, ohne es zu ver­ge­wal­ti­gen, dar­in be­ste­hen die schwie­ri­gen Ver­wick­lun­gen des Le­bens, dar­in be­steht aber auch das Le­ben.

      Schon wäh­rend der Re­gie­rungs­zeit Fried­richs II., der sel­ten im Lan­de war und eine schwa­che Ver­tre­tung hat­te, ver­fie­len die Städ­te auf das Mit­tel der Ei­nung, um sich der durch den Kö­nig ge­stärk­ten Fürs­ten zu er­weh­ren. Nach­dem die­se ge­setz­lich die vol­le Lan­des­ho­heit er­hal­ten hat­ten, die kö­nig­li­che Ober­ho­heit für ihr Ge­biet so gut wie ganz aus­ge­schal­tet war, trach­te­ten sie da­nach, ihre zer­streu­ten Gü­ter und Rech­te zu ei­ner zu­sam­men­hän­gen­den Lan­des­herr­schaft aus­zu­ge­stal­ten, in­ner­halb wel­cher die un­ab­hän­gi­gen Städ­te sie stör­ten, de­ren Reich­tum oh­ne­hin zur Erobe­rung reiz­te. Von An­fang an stütz­ten die Städ­te ihre Frei­heit auf die Kö­nigs­ge­walt, de­ren Stär­ke ihr In­ter­es­se war. Bei dem fast gänz­li­chen Er­lö­schen der­sel­ben grif­fen sie zur Selbst­hil­fe, um nicht der um sich grei­fen­den Fürs­ten­macht zur Beu­te zu fal­len. Lei­se und un­schein­bar war der Be­ginn ei­ner Ein­rich­tung, die sich be­deu­tend aus­wir­ken soll­te: im Jah­re 1220 ver­bün­de­ten sich die be­nach­bar­ten Städ­te Mainz und Worms, in­dem sie ih­ren Bür­gern ge­gen­sei­tig Rechts­gleich­heit zu­ge­stan­den. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter er­klär­te Hein­rich, der Sohn Fried­richs II., den er zum Re­gen­ten Deutsch­lands be­stimmt hat­te, alle Ver­brü­de­run­gen oder Eide, wo­durch sich Mainz, Bin­gen, Worms, Spei­er, Frank­furt, Geln­hau­sen und Fried­berg ver­bun­den hät­ten, für auf­ge­löst und nich­tig. Be­reits also er­reg­te die be­schei­de­ne Kraftent­fal­tung ei­ni­ger Städ­te Är­ger­nis. Im Jah­re 1231 leg­te Hein­rich den ver­sam­mel­ten Fürs­ten die Fra­ge vor, ob Städ­te un­ter­ein­an­der Bünd­nis­se ab­schlie­ßen dürf­ten und er­hielt, wie zu er­war­ten war, eine ver­nei­nen­de Ant­wort. Selbst­ver­ständ­lich wi­der­spra­chen Ver­bin­dun­gen zwi­schen gleich­ar­ti­gen Reichs­glie­dern dem Reichs­recht, denn sie lös­ten eine Grup­pe aus dem Ge­samt­ver­ban­de und ver­la­ger­ten das Gleich­ge­wicht; auch wenn sie nicht aus­drück­lich ge­gen an­de­re ge­rich­tet wa­ren, so be­deu­te­ten sie doch eine Her­aus­for­de­rung oder Ge­fahr. An­de­rer­seits schlos­sen die Fürs­ten nach Be­lie­ben Bünd­nis­se un­ter­ein­an­der und war ihre Über­macht ge­gen­über ein­zel­nen Städ­ten so ent­schie­den, dass die­se auf Ver­brü­de­rung an­ge­wie­sen wa­ren, und Städ­te­bün­de wie durch Na­tur­ge­walt sich im­mer wie­der bil­de­ten. Zwei Jah­re nach dem Tode Kai­ser Fried­richs ver­ban­den sich Köln und Boppard, ein Jahr spä­ter Müns­ter, Dort­mund, Soest und Lipp­stadt. Im To­des­jahr Kon­rads IV., 1254, er­neu­er­ten Mainz und Worms ihr al­tes Schutz- und Trutz­bünd­nis. Der Ge­dan­ke, mög­lichst vie­le Städ­te im Reich zu ei­nem großen Bun­de zu­sam­men­zu­schlie­ßen, ging von Mainz aus, des­sen Blü­te da­mals fast die Kölns über­traf, und die lei­ten­de Per­sön­lich­keit scheint Ar­nold aus dem Ge­schlecht