Den strengen, von der Kirche festgesetzten Standpunkt durchzuführen war möglich, solange die Christen eine kleine, abseits im Dunkel lebende Sekte waren; es wurde schwieriger im Maße, als das Christentum die herrschende Religion geworden war, als in den Städten Handel und Gewerbe zu blühen anfingen und sich nicht nur mehr Reiche und Arme im privaten Verhältnis gegenüberstanden, sondern Menschen verschiedenster Lebensbedingungen, die um ihre Nahrung kämpften. Trotzdem blieb die Kirche dabei, alles als Wucher zu bezeichnen, was der Gläubiger außer der geliehenen Sache oder dem geliehenen Kapital vom Schuldner empfange. Papst Urban III. erklärte sogar Kaufhandel und Wucher für gleichbedeutend, weil der Kaufmann teurer verkauft, als er eingekauft hat, überhaupt auf Gewinn hofft. Die Strenge der Wuchergesetze wurde nur durch einige Ausnahmen ein wenig gemildert: der Kaufmann sollte die Transportkosten in Anwendung bringen dürfen, und der Gläubiger konnte durch eine Vergütung entschädigt werden, wenn der Termin der Rückgabe des geliehenen Geldes versäumt wurde. Man unterschied das dammum emergens, den entstehenden Schaden, und das lukrum cessans, den entgangenen Gewinn, als Bedingungen einer Entschädigung. Bei vorhergehender Verständigung zwischen Gläubiger und Schuldner ließ sich auf diese Weise das Gesetz bis zu einem gewissen Grade umgehen. Übrigens aber bestand das Zinsverbot, von Friedrich I. und Friedrich II. übernommen, in aller Strenge fort. Laien wurden wegen Wuchers exkommuniziert, ebenso Fürsten, die Wucherer in ihrem Gebiet duldeten, Kleriker, die Wucherer bestatteten, streng bestraft. Da am Ende des 13. Jahrhunderts die päpstlichen Dekretalen in Deutschland Eingang fanden, und da auf den Universitäten zuerst mehr das kanonische als das römische Recht studiert wurde, verbreitete sich die kirchliche Auffassung eher mehr als weniger. Der Sachsenspiegel allerdings, nach dem sich das nördliche Deutschland richtete, kannte das Zinsverbot nicht. Nach altgermanischem Recht musste der Schuldner dem Gläubiger seine Schuld abdienen; er verfiel entweder auf Zeit oder lebenslänglich in Schuldknechtschaft. Allein die sächsische Rechtsmeinung wurde in den später dem Sachsenspiegel beigefügten Glossen zugunsten der kirchlichen zurückgestellt; auch drang der Schwabenspiegel, der von vornherein das kanonische Recht vertrat, allmählich nach dem Norden vor.
Dem kirchlichen Gesetz standen die Gesetze des wirtschaftlichen Verkehrs mit solcher Gewaltsamkeit entgegen, den Klerus selbst in den Strom hineinreißend, dass, wenn nicht eine Lösung des Widerspruchs, doch ein Ausweg gefunden werden musste; er fand sich darin, dass die Handhabung der Geldgeschäfte den Juden übertragen wurde, die dem christlichen Gesetz nicht unterstanden. Eine gewisse Neigung und Begabung der Juden für das Geldgeschäft kam dieser Regelung entgegen, die aber, wenn nicht hervorgebracht, doch dadurch unterstützt wurde, dass sie auf das Wohnen in den Städten und Erwerb durch Handel angewiesen waren. Im vermehrten Sachsenspiegel heißt es, von Gottes Recht solle kein Jude Wucher nehmen, doch sei ihre Ordnung anders als bei den Christen, weil sie hierzulande nichts Eigenes haben könnten, darum seien sie von Kaisern und Königen begnadet, dass sie sonderliches Recht hätten. Sie müssten wuchern, weil sie erblich Land und Boden nicht haben dürften und weil die Handwerker sie nicht in ihre Zünfte einließen. Man sagte auch geradezu, Juden müssten wuchern, weil die Christen es nicht dürften.
Die Übernahme der Geldgeschäfte durch die Juden hatte für Juden und Christen verhängnisvolle Folgen. Indem die Juden zu Gläubigern, die Christen zu Schuldnern wurden, entstand ein gespanntes Verhältnis mit der Neigung zu gewaltsamen Entladungen. Während der Glaubenshass eigentlich nur von der Kirche ausging, betraf der Schuldnerhass fast alle Kreise des Volkes, und der letztere war viel grimmiger, weil er auf der Not des Ausgepressten zu seinem Dränger beruhte. Die Klage der Christen, dass die Juden hohe Wucherzinsen forderten und sie dadurch erdrückten, war nicht unberechtigt. Es war üblich, Geld auf kurze Frist und zu erstaunlich hohen Zinsen auszuleihen. Die Höhe des Zinsfußes betrug im Jahre sechzig und siebzig Prozent; in Österreich stieg der Zins infolge besonderer Verhältnisse auf 174, sogar auf 304 Prozent im Jahr. Wenn nun aber die Juden gelegentlich auch über den gesetzlich erlaubten Zins hinaus ihre Schuldner auspressten, so waren sie dazu fast gezwungen durch die Forderungen, die an sie selbst gestellt wurden. Je spärlicher die regelmäßigen Einkünfte der Kaiser wurden, desto mehr nützten sie die Quellen aus, die ihnen zur Verfügung standen, und das waren außer den Abgaben der Reichsstädte die der Juden, die für die Gewährung des kaiserlichen Schutzes gewisse Zahlungen zu leisten hatten. Zu den regelmäßigen Leistungen kamen außergewöhnliche, wenn sich eine Gelegenheit bot. Waren die Judenerträgnisse vom Kaiser den Fürsten oder Städten übertragen, die Ansprüche an sie hatten, so wurden sie von diesen ausgesogen. Je mehr die Juden zu zahlen hatten, je mehr sie selbst ausgebeutet wurden, desto mehr mussten sie ihre Schuldner ausbeuten: es war ein hässlicher, unheilvoller Kreislauf. Bei dem ungeheuren Geldbedürfnis und Geldmangel des Mittelalters, hervorgerufen durch die steigenden Ansprüche auf der einen und den noch unentwickelten Verkehr auf der anderen Seite, waren alle Stände den Juden verschuldet: die Kaiser, die Päpste, der hohe und niedere Adel, die Handwerker. Wenn die Verschuldung einen bestimmten Grad erreicht hatte, so suchten die Schuldner sich aus der Schlinge, die sie erwürgte, gewaltsam zu befreien.
Es leuchtet ein, dass Hochgestellte eher die Möglichkeit hatten, sich Einnahmequellen zu verschaffen oder den Ansprüchen der Gläubiger sich zu entziehen, als das niedere Volk. Daraus erklärt es sich, dass dies die gerechte Handhabung des Judenschutzes durch Kaiser, Fürsten und Stadträte so beurteilte, als wären sie von den Juden bestochen. Sie waren es, insofern sie auf die hohen Gebühren, die sie von den Juden erzielten, nicht verzichten wollten; trotzdem geschah es auch aus Bildung, Einsicht und Pflichtgefühl, dass sie bei Judenverfolgungen durch den Pöbel hindernd und strafend einschritten. In dieser erhitzten Stimmung verschärfte sich teils der Glaubenshass, teils wurde er Vorwand. Ohnehin nahm im 13. Jahrhundert der Fanatismus der Kurie zu, sowohl in Bezug auf die Ketzer als auf die Juden. Innocenz III. erließ ein Gesetz, das den Juden eine bestimmte Tracht vorschrieb, die sie kenntlich und zugleich lächerlich machte. Die spitzen gelben Hüte gaben sie dem Hohn der Gasse preis.
Die Judenverfolgungen des 14. Jahrhunderts wühlten auf, was an bestialischen Trieben in den Untiefen des deutschen Volkes sich verbarg, und offenbarten den Heroismus, dessen die Juden fähig