Deutsche Geschichte. Ricarda Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Серия: Sachbücher bei Null Papier
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783962817725
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Men­schen er­wor­ben hät­te. Dies Mo­tiv trat aber in je­ner Zeit noch nicht sehr her­vor, teil­wei­se des­halb nicht, weil die­je­ni­gen Krei­se, die den Kre­dit der Ju­den be­nütz­ten, sie eher zu schüt­zen such­ten als mor­de­ten, haupt­säch­lich aber, weil die Hal­tung ei­nes Vol­kes im­mer von den­je­ni­gen be­stimmt wird, die an der Spit­ze ste­hen. Ob es sich um eine Schu­le, eine Stadt­ge­mein­de, eine Kir­chen­ge­mein­de oder ein Land han­delt, die Groß­mut oder Nied­rig­keit, die Über­le­gen­heit oder Be­schränkt­heit des Füh­rers wird den Cha­rak­ter der Grup­pe, des Lan­des be­stim­men. Die Päps­te des zwölf­ten Jahr­hun­derts hiel­ten im­mer noch, trotz ih­rer ver­än­der­ten Stel­lung zum Kai­ser­tum, an den Be­stim­mun­gen Gre­gors I. über das Ver­hal­ten ge­gen die Ju­den fest, ja sie über­tra­fen ih­ren großen Vor­gän­ger zu­wei­len noch an Mil­de. Sie blie­ben da­bei, dass die Ju­den nicht zwangs­wei­se ge­tauft, nicht ver­wun­det oder be­raubt wer­den, kei­ne Ver­än­de­rung ih­rer gu­ten Ge­wohn­hei­ten er­lei­den soll­ten. Man sol­le sie, ver­ord­ne­ten sie, bei ih­ren Fes­ten nicht stö­ren, ihre Be­gräb­nisplät­ze nicht be­schä­di­gen. Es ver­steht sich, dass die Päps­te von den Ju­den stets mit schar­fer Ab­nei­gung als von den Fein­den des christ­li­chen Glau­bens spra­chen, aber das hin­der­te sie nicht, bei Ver­fol­gun­gen sich nach­drück­lich für sie ein­zu­set­zen, wie sie es auch nicht, so­we­nig wie alle an­de­ren Kir­chen­fürs­ten, hin­der­te, sich in Geld­ge­schäf­te mit ih­nen ein­zu­las­sen. Von Gre­gor VII., dem großen Geg­ner Hein­richs IV., ist be­haup­tet wor­den, ohne dass es im Ge­rings­ten be­wie­sen wer­den könn­te, er stam­me von Ju­den ab; je­den­falls hat er sich von der jü­di­schen Fa­mi­lie Pier­leo­ne in Geldan­ge­le­gen­hei­ten bei­ste­hen las­sen, der­sel­ben Fa­mi­lie, aus wel­cher der Papst Ana­klet her­vor­ging. Der Ge­tauf­te durf­te Papst sein, ohne dass je­mand dar­an An­stoß ge­nom­men hät­te; nicht das Blut, nur der Glau­be wur­de be­kämpft. Eben­so wie die Päps­te und noch ein­deu­ti­ger ga­ben die Ho­hen­stau­fen­kai­ser das Bei­spiel der Dul­dung. Fried­rich I. er­neu­er­te das Pri­vi­leg Hein­richs IV. für die Ju­den in Worms, wo­durch sie reichs­un­mit­tel­bar wur­den, und Fried­rich II. dehn­te es auf alle Ju­den im Reich aus; doch ist an­zu­neh­men, dass schon sein Groß­va­ter es in die­sem Sin­ne auf­fass­te. Als der alte Kai­ser den Kreuz­zug be­schloss, fürch­te­ten die Ju­den, in Erin­ne­rung an die frü­he­ren Kreuz­zü­ge, An­grif­fe auf Frei­heit und Le­ben; al­lein auf dem großen Reichs­ta­ge zu Mainz, wo die Ju­den­fra­ge be­spro­chen wur­de, tra­fen Fried­rich I. und sein Sohn Hein­rich, der spä­te­re Kai­ser, An­ord­nun­gen zu ih­rem Schut­ze. Mit stren­gen Stra­fen wur­den alle be­droht, die sich an ei­nem Ju­den ver­grei­fen soll­ten; wer einen ver­wun­de, dem soll­te die Hand ab­ge­hau­en wer­den, wer einen um­brin­ge, soll­te um­ge­bracht wer­den. In ei­nem Pri­vi­leg Fried­richs für die Re­gens­bur­ger Ju­den ste­hen die schö­nen Wor­te: »Es ist die Pf­licht der kai­ser­li­chen Ma­je­stät, vom Recht wird es ge­bil­ligt und von der Ver­nunft ge­for­dert, dass sie je­dem un­se­rer Ge­treu­en, nicht nur den Ver­tre­tern der christ­li­chen Re­li­gi­on, son­dern auch de­nen, die, von un­se­rem Glau­ben ab­wei­chend, nach den von ih­ren Vä­tern über­lie­fer­ten Ge­bräu­chen le­ben, das, was ih­nen zu­kommt, nach Maß­ga­be der Bil­lig­keit er­hal­ten, ih­ren Ge­wohn­hei­ten Dau­er, ih­ren Per­so­nen und Gü­tern Frie­den ge­wäh­ren.« Dem Vor­wurf, der in die­ser Zeit zu­wei­len ge­gen die Ju­den er­ho­ben wur­de, als tö­te­ten sie christ­li­che Kin­der, um sich ih­res Blu­tes bei ge­wis­sen re­li­gi­ösen Ri­ten zu be­die­nen, stan­den so­wohl Päps­te wie Kai­ser miss­trau­isch ge­gen­über. Sie durch­schau­ten den Vor­wand blut­gie­ri­gen oder leicht­gläu­bi­gen Pö­bels, und es ist be­mer­kens­wert, dass der Papst sich nicht be­we­gen ließ, den klei­nen Wer­ner von Ba­cha­rach, der in die­ser Wei­se ums Le­ben ge­kom­men sein soll­te, und des­sen Ge­dächt­nis eine in ih­ren Res­ten noch im­mer den Be­schau­er ent­zücken­de Kir­che ge­wid­met wur­de, hei­lig­zu­spre­chen. Fried­rich II. ließ es sich nicht neh­men, einen Ri­tual­mord, der in Ful­da vor­ge­kom­men sein soll­te, gründ­lich zu un­ter­su­chen. Der Leich­nam des an­geb­lich von Ju­den ge­tö­te­ten Kin­des wur­de nach Ha­genau ge­bracht, wo der Kai­ser sich eben auf­hielt. Um die Fra­ge grund­sätz­lich zu lö­sen, bat er die Kö­ni­ge West­eu­ro­pas, ihm ge­tauf­te Ju­den zu schi­cken, die des Ge­set­zes kun­dig wä­ren, von de­nen er an­nahm, dass sie ihn ohne Vor­ur­teil un­ter­rich­ten wür­den. Sie wie­sen auf die Vor­schrif­ten des Tal­mud hin, wo­nach den Ju­den so­gar die Be­fle­ckung mit Tier­blut ver­bo­ten sei, und lehn­ten da­mit die Be­schul­di­gung ab. Da­rauf­hin spra­chen die Reichs­fürs­ten auf ei­nem Reichs­ta­ge zu Augs­burg im Jah­re 1236 die Ju­den von Ful­da und an­de­re Ju­den völ­lig frei; die Ur­kun­de über das Ur­teil wur­de den Ju­den zu­ge­stellt. Ein Jahr­zehnt spä­ter er­klär­te Papst In­no­cenz IV. in ei­nem Send­schrei­ben die Be­schul­di­gung des Ri­tual­mor­des für ver­leum­de­risch, für einen Vor­wand zu Gel­der­pres­sun­gen, und wies die deut­schen Bi­schö­fe an, un­ge­rech­te Be­hand­lung der Ju­den nicht zu dul­den. Der kla­re Äther, der das Ho­hen­st­auf­en­tum um­flamm­te, zehr­te die Düns­te, die sich im Schlam­me nied­ri­ger, ver­wil­der­ter Be­gier­den bil­de­ten, auf, so­dass sie sich nicht ver­der­bend aus­brei­ten konn­ten. Mit sei­nem Un­ter­gang er­losch auch die­se Klar­heit.

      Im zwei­ten Buch Mo­sis heißt es: »Wenn du Geld leihst mei­nem Vol­ke, das arm ist bei dir, sollst du ihm nicht zu Scha­den brin­gen und kei­nen Wu­cher auf ihm trei­ben.« Und im drit­ten Bu­che: »Wenn dein Bru­der ver­armt und ne­ben dir ab­nimmt, so sollst du ihn auf­neh­men als einen Fremd­ling oder Gast, dass er lebe ne­ben dir. Und sollst nicht Wu­cher von ihm neh­men noch Über­satz, son­dern sollst dich vor dei­nem Gott fürch­ten, auf dass dein Bru­der ne­ben dir le­ben kön­ne. Denn du sollst ihm dein Geld nicht auf Wu­cher tun noch dei­ne Spei­se auf Über­satz.« Schließ­lich im fünf­ten Bu­che Mo­sis: »Du sollst an dei­nem Bru­der nicht wu­chern, we­der mit Geld noch mit Spei­se noch mit al­lem, da­mit man wu­chern kann.« Mehr aber noch als auf die Stel­len im mo­sa­i­schen Ge­setz be­rie­fen sich die Päps­te beim Zins­ver­bot auf den 15. Psalm, der auf die Fra­ge: »Herr, wer wird woh­nen in dei­ner Hüt­te, und wer wird blei­ben auf dei­nem hei­li­gen Ber­ge?« im letz­ten Ver­se ant­wor­tet: »Wer sein Geld nicht auf Wu­cher gibt und nimmt nicht Ge­schen­ke über dem Un­schul­di­gen.«

      Man weiß, dass alle Völ­ker auf frü­her Stu­fe, wel­che sich noch als eine ein­zi­ge Fa­mi­lie be­trach­ten, de­ren Glie­der eins für das an­de­re auf Tod und Le­ben ein­ste­hen müs­sen, den Zins ver­bie­ten. Was die Wu­cher­ver­bo­te der Bi­bel aus­zeich­net ge­gen­über de­nen an­de­rer Stäm­me und Völ­ker ist die ste­te Be­zie­hung auf die Er­ha­ben­heit Got­tes, der sei­nem Vol­ke die Lie­be des Bru­ders als vor­nehms­tes Ge­bot emp­fiehlt. Wie alle Leh­ren und Vor­schrif­ten des Bu­ches der Bü­cher sind auch die­se nicht aus der Er­fah­rung oder der Be­trach­tung des Nut­zens, son­dern aus ei­ner über­mensch­li­chen Quel­le ab­ge­lei­tet, die alle in den Zu­sam­men­hang ei­ner über­mensch­li­chen Idee bringt und ih­nen das Ge­prä­ge der Ewig­keit und All­gül­tig­keit ver­leiht. Es war nur na­tür­lich, dass die ers­ten Chris­ten­ge­mein­den das Wu­cher­ver­bot des Al­ten Te­sta­men­tes über­nah­men und dass sie es in ih­rem klei­nen Krei­se und ih­ren ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen durch­füh­ren konn­ten. Man sah in dem Ent­leh­ner einen Be­dürf­ti­gen, des­sen Not­la­ge