Jetzt kam es zur eigentlichen Verhandlung. Dichand hatte meinem Kommentar den Titel gegeben: »Wird Wien Berlin?« Diesen Titel wertete die Staatsanwaltschaft als Volksverhetzung, denn er wäre ein Aufruf zu Angst und Panik. Das Fragezeichen nütze da gar nichts. Ich versuchte nun klarzumachen, dass ja der Inhalt dieses Artikels genau das Gegenteil aussage und zu dem Schluss führe, dass es in Wien keine Blockade geben werde. Widerspruch des Staatsanwalts: »Was vorn steht, zählt, nicht was hinten steht.«
Ich versuchte nun, in einer Beweiskette darzulegen, dass ich recht hätte, was einige Zeit in Anspruch nahm. Währenddessen wurde dem Staatsanwalt ein Blatt Papier überbracht. Als ich am Ende meiner Ausführungen war und bei dieser Stimmung mit keinerlei Verständnis des Gerichts rechnete, wandte sich der Richter an den Staatsanwalt: »Herr Staatsanwalt, Ihr Antrag?« Der Staatsanwalt erhob sich: »Freispruch.« Der Richter war sichtlich erstaunt. Aber dann wird er sich wohl den richtigen Reim gemacht haben, den ich mir erst später machen konnte: Kronhubers Verbindungen hatten es geschafft, den Justizminister Josef Gerö davon zu überzeugen, dass er sich im Irrtum befand. Denn es war der Justizminister selbst, wie Kronhuber erfuhr, den irgendein Zensor (die Zeitungen wurden damals noch auf Gesetzesverletzungen überprüft) auf den Titel des Artikels »Wird Wien Berlin?« aufmerksam gemacht hatte. Darauf hätte der Minister ausgerufen: »Den Journalisten muss man’s endlich einmal zeigen, immer diese Spekulationen!« So kam es jetzt auf den Minister an, den Staatsanwalt zurückzurufen. Das hatte er getan.
Weshalb diese Geschichte? Das Weisungsrecht des Ministers an den Staatsanwalt gibt es heute noch immer. Gegen den Willen der Richter und Staatsanwälte. Dem Justizminister wurde lediglich ein Beirat zur Seite gestellt, der ihn bei der Ausübung des Weisungsrechts beraten soll. Das letzte Wort aber hat der Minister, also doch die Politik.
Traudi Ich finde die Frau fürs Leben
Jetzt habe ich Traudi schon erwähnt, nun muss ich auch berichten, wie ich sie kennengelernt habe. Knapp bevor ich zur »Tageszeitung« kam. Da war ich noch in dem Verlagshaus der niederösterreichischen Zeitungen tätig, in der Wiener Beatrixgasse. Der Verlag bekam gerade einen weiteren Kunden. Eine neue Zeitung wurde gegründet, ein Montagsblatt, in dem von sämtlichen Sportereignissen des vorangegangenen Wochenendes berichtet werden sollte. Gründer und Chefredakteur war Maximilian Reich, vor dem Krieg einer der bekanntesten und populärsten Sportberichterstatter Wiens. Gleich nach dem Einmarsch der Nazitruppen 1938 wurde er verhaftet und im ersten Transport der Gestapo in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Nach Dachau folgte Buchenwald, dann seine Entlassung unter der Bedingung, Deutschland sofort zu verlassen. Seine Frau ging mit ihm, sie hatten Visa nach Großbritannien erhalten. Ihre beiden Töchter Gertraude und Henriette schafften es bald danach, mit dem berühmt gewordenen Kindertransport nach England nachzukommen. Dort blieben sie bis Kriegsende.
Nun waren sie alle nach Wien zurückgekehrt. Maximilian Reich leitete die Sportredaktion der von den Briten herausgegebenen »Weltpresse«, gründete aber jetzt sein eigenes Sportblatt, den »Wiener Montag«. Was Reich auszeichnete, war sein großartiger Humor. Trotz des Altersunterschieds verstanden wir einander sofort, wir lachten viel gemeinsam. Da ich allein war, lud er mich zu einem Abendessen bei sich zu Hause ein. Als ich dort wegging, war ich tief beeindruckt. Was für eine fabelhafte Familie. Nach allem, was sie durchgemacht hatten, waren sie humorvoll, freundlich und weltoffen geblieben. Solche Freunde sollte man haben, dachte ich.
Einige Wochen später bestieg ich in der Mariahilferstraße die damals dort noch verkehrende Straßenbahn. Und kam auf der offenen Plattform vor der Tochter Reichs zu stehen, der Gertraude, die sie Traudi riefen. Erfreutes Wiedersehen. Und was sie jetzt so täte. Heute Abend ginge sie in den Musikverein – Haydns Oratorium »Die Jahreszeiten«. Ob ich Lust hätte mitzukommen, sie hätte noch eine Karte. Nach dem Konzert lud ich sie zu einem Abendessen ein, bescheiden in ein kleines Gasthaus.
Ja, das war der Anfang. Ein Jahr später heirateten wir. Und fuhren nach Italien – auf Hochzeitsreise. Traudi hatte 120 Dollar bei sich, ich nur 200 Schilling von meinem Monatsgehalt von 360 Schilling. An der Grenze fragte der Zöllner, ob wir Valuten bei uns hätten. Ja, 120 Dollar. »Aber Sie wissen, dass Sie nur 20 Dollar pro Person ausführen dürfen.« – »Oh weh! Unsere Hochzeitsreise!« – »Hochzeitsreise?« – »Aber ja.« Wir hatten den Trauschein dabei, denn unsere Pässe lauteten auf verschiedene Namen. Der Grenzer sah sich den Trauschein und dessen Datum an und gab ihn uns lachend zurück: » Da wünsche ich viel Glück!«
Das Geld reichte bis nach Neapel. Wir sahen den Vesuv und Pompeji und gönnten uns leichtsinnigerweise auch einen Ausflug nach Capri. Die Rückfahrt im Zug war bezahlt, aber in Rom hätten wir gerne noch einen Tag verbracht, auch hatten wir einen Riesenhunger, aber kein Geld mehr. So ging ich in Rom in das nächste Fotogeschäft und bot die alte Kamera, die mir mein Vater mit auf die Reise gegeben hatte, zum Kauf an. Sie wurde gekauft, für wenig Geld. Doch es reichte für zwei große Pizzas und eine Übernachtung. So begann unsere Ehe.
Die sollte auch noch richtig gefeiert werden, und zwar in Trins am Brenner. Dort sollten wir auf dem Rückweg von Italien vorbeikommen. Dort hatte eine Schwester von Traudis Mutter ein schönes Tiroler Haus. Als wir ankamen, wurden wir mit einer wunderschönen Hochzeitstafel empfangen – eine wirkliche Augenweide: Das weiße Tischtuch kunstvoll verziert mit Almrausch und Enzian, die die beiden Schwestern in den Bergen gepflückt hatten, damals durfte man das noch.
Nach Wien zurückgekehrt, begann der Ernst des Lebens. Wir hatten keine Wohnung, lebten in Untermiete und hatten wenig Geld. Als Jüngster in der Redaktion der Wiener »Tageszeitung« war ich fast täglich für den »Schlussdienst« eingeteilt. Das hieß, bis Mitternacht in der Redaktion auszuharren, um noch die letzten Nachrichten im Blatt unterzubringen. Also Heimkehr erst danach. Ohne Straßenbahn zu Fuß und ein Stück des Weges durch die sowjetische Zone. Da war es nie sicher, ob man gut nach Hause kam. Traudi harrte da tapfer aus, Nacht für Nacht. Erstaunlich, wie sehr wir harmonisierten. Alles um uns interessierte uns, wir führten lebhafte Debatten über Gott und die Welt, vor allem auch über unser eigenes Leben. Wir hatten viel Freude aneinander und lernten die Fehler des anderen zu lieben.
Traudi nahm verschiedene Jobs an. Sie arbeitete auch für Fritz Molden und seine »Presse«, war Korrespondentin für ein amerikanisches Reisemagazin. Und hatte eine gute Idee für ein Kinderbuch. Denn im Gegensatz zu Großbritannien und den USA gab es im deutschsprachigen Raum damals keine Sammlung von Kinderreimen und Kinderliedern. Diesen ging sie nun nach, forschte nach ihrem Ursprung und ihrer Urfassung. Sie stellte die Reime zusammen und gewann den bekannten Zeichner und Karikaturisten Rudi Angerer, das Projekt großartig zu illustrieren. Im Verlag Herder fand es begeisterte Aufnahme. Aber als Autorin wollte Traudi nicht Portisch heißen und blieb bei ihrem Mädchennamen Traudi Reich. Das Buch mit dem Titel »Ich und Du« wurde ein Bestseller und brachte es zu 19 Auflagen, die letzte im Residenzverlag.
Welch eine Ermunterung. Traudi schrieb weiter – und brachte es bislang auf zwölf weitere Kinder- und Jugendbücher. In den beiden letzten nahm sie sich der Naturgeschichte an. In einem schildert sie die Reise, die die Krähen Jahr für Jahr auf sich nehmen, um dem Winter in Sibirien zu entgehen und nach Wien zu kommen. Und welche Beziehungen sie in der Lage sind, zu den Menschen aufzunehmen. In ihrem letzten Kinderbuch begibt sie sich auf den Meeresgrund, wo sie Geschöpfe entdeckt, denen sie merkwürdige Namen gibt: Tozzelpozzeln und Molopotonis. Das klingt wie Spaß, ist aber eine wunderbar nacherzählte Geschichte der Evolution.
Es blieb nicht bei den Kinderbüchern. In zwei großen von Alfonso Madden illustrierten Bänden schrieb sie Gedichte in Deutsch und Englisch. In England hatte Traudi als Flüchtling in einer Klosterschule eine Stelle als Turnlehrerin angenommen, musste sich aber den strengen Regeln des Klosters unterwerfen. Als einzige Laiin unter Nonnen! Über die damaligen Erfahrungen schrieb sie, diesmal als Gertraude Portisch, ein Buch unter dem Titel »Der liebe Gott und die Großmama«. Das fand große Beachtung. Traudi setzte sich da ganz hart mit