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schlug mir vor, nicht mit dem Zug über die Zonengrenze zu fahren, ich könnte eines der kleinen Kurierflugzeuge benützen, die vom amerikanischen Airstrip am Donaukanal nach Linz und Salzburg flogen.

      Ich nahm das Angebot an und das führte zu einer komischen Situation: Als ich bei dem Airstrip am Donaukanal ankam, stand dort ein kleiner Trupp amerikanischer Soldaten bereit, um mich mit präsentierten Gewehren zu empfangen. Entsprechend verwirrt ging ich die »Ehrenkompanie« entlang. Der Irrtum klärte sich sofort danach auf. Aus dem USFA-Hauptquartier wurde mein Flug von Wien nach Linz telefonisch angemeldet mit den Worten: »There is a journalist to travel to Linz.« Der diensthabende Offizier verstand routinemäßig nicht »journalist«, sondern »general« – in Englisch ähnlich klingend – General. Und wie bei so einem üblich, ließ er die Soldaten zum Salut antreten.

      Das ist noch nicht das Ende der Geschichte über diesen Flug. Ich nahm also in dem kleinen Kurierflugzeug neben dem Piloten Platz und wir starteten in Richtung Linz. Kaum aber waren wir über St. Pölten, tauchte rechts vor meinem Fenster ein kleines Flugzeug mit Sowjetsternen an den Tragflächen auf, kam nahe heran und begleitete uns bis zur Zonengrenze. Dazu der Pilot: »They always like to know who is travelling – Sie wollen immer wissen, wer da mitfliegt.« Wir landeten auf dem Flugplatz Hörsching bei Linz und man brachte mich zum Bahnhof, wo bald darauf der Zug eintraf mit den Kollegen aus Wien und Graz, während mit mir in Linz die Kollegen aus Innsbruck, Salzburg und Linz einstiegen.

      Da wir in den nächsten Monaten als Gruppe vieles gemeinsam erlebten, will ich die Kollegen namentlich anführen: Otto Schönherr, damals von der »Kleinen Zeitung« in Graz, später Chefredakteur der APA, Robert Stern von der »Arbeiter-Zeitung«, Ulrich Baumgartner, damals »Neue Zeit« Graz, später Festwochenintendant in Wien, Werner Sonvico von den »Oberösterreichischen Nachrichten«, Ludwig Stricker, Chefredakteur der »Tiroler Tageszeitung«, Kurt Paupié vom Publizistikinstitut der Universität Wien, Kurt Hampe, österreichischer Chef der Associated Press, Jochen Fiehn, österreichischer Chef von International News Service, Harry Maltschek, Außenpolitiker der APA.

      Am Abend des gleichen Tages erreichten wir Bremerhaven, und noch immer war das amerikanische Militär für uns zuständig. So kamen wir in einem großen Militärcamp an. Wie wir tags darauf mit großem Schock sahen, wäre in Bremerhaven selbst für uns kaum ein Quartier zu finden gewesen, die Stadt war noch ein einziges Ruinenfeld, fast alle Häuser durch Bomben im Krieg zerstört. Eine derartige Verwüstung habe ich später nur noch in Filmen gesehen, die in Hannover und Berlin gedreht wurden.

      Aber es gab auch eine andere Überraschung. In einem Camp neben unserem befanden sich so an die hundert junge Frauen, einige mit Babys am Arm. »Kriegsbräute«, wurden wir aufgeklärt, »Frauen aus Deutschland und Österreich, die amerikanische Soldaten geheiratet haben und jetzt in ihre neue Heimat reisen werden.« Wir sollten sie nicht zum letzten Mal gesehen haben: Am nächsten Tag bestiegen sie vor uns das Schiff »General Maurice Rose«, mit dem auch wir nach New York reisen sollten. Es war ein wunderschönes, weiß gestrichenes Passagierschiff, aber im Dienst der US Navy, benannt nach einem amerikanischen General, gefallen bei Kriegsende in Deutschland.

      Die für diesen Transport Verantwortlichen wachten über die Moral an Bord. Die Kriegsbräute waren auf den für sie reservierten Decks für Soldaten und Unteroffiziere untergebracht. Uns zehn Journalisten hatte man die schön eingerichteten Kabinen hoch über diesen Decks zugeteilt, normal reserviert für Offiziere vom Major aufwärts und ohne Zugang zu den unteren Decks. Dafür kamen wir in den Genuss der besonderen Bedienung, die auf unserem Deck normalerweise den hohen Offizieren zustand. Fast auf jeden von uns kam ein Steward, der sich um unsere Verpflegung, aber auch um unsere Wäsche und Schuhe kümmerte. Das erfreute uns aber nicht sehr, denn nicht nur sahen wir uns unnötig privilegiert, auch jeder unserer Helfer war ein Afroamerikaner. Wie das damals halt noch so war in der US Navy.

      Die Abreise aus Bremerhaven machte auf mich einen unvergesslichen Eindruck. Am Pier standen Hunderte Mütter, Väter und Freundinnen der Kriegsbräute, sie schrien, sie winkten und sie weinten. Und dasselbe taten die Kriegsbräute an der Reling des Schiffes. Da nahmen viele Menschen für lange Zeit Abschied voneinander, und ich dachte mir: »Weiß Gott, wie’s mit denen weitergeht.«

      Es war meine erste Seereise und der Atlantik war freundlich zu uns, nicht friedlich, sogar tageweise stürmisch, aber gerade deshalb ein großes Erlebnis. Und was wir zu sehen bekamen! Wale, fliegende Fische und in der Nacht überraschend ein kräftiges Seeleuchten. Die Überfahrt dauerte acht Tage, länger als mit den großen Reiseschiffen jener Zeit. Als wir am achten Tag aufwachten und aus den Kabinenfenstern blickten, begrüßte uns die Skyline von Manhattan. Doch mehr noch als diese imposante Wolkenkratzerlandschaft faszinierte uns die Straße, die am Ufer entlang führte: Wie Ameisen fuhren da Hunderte Autos in mehreren Reihen dicht an dicht. Wir alle aber kamen aus einem Land, wo Autos Luxus und sehr selten waren.

      Der Eindruck wurde noch übertroffen, als wir am Abend über den Broadway und den Times Square spazierten. Eine Lichterflut von für uns bislang unvorstellbarem Ausmaß. Entlang der Wand eines der Hochhäuser am Times Square liefen – wie auch noch heute – in Leuchtschrift die neuesten Nachrichten und aus einer der großen Reklametafeln stiegen Rauchringe auf, aus dem Mund eines Cowboys, der für Marlboro-Zigaretten Reklame machte.

      Am nächsten Tag besuchten wir die Redaktion der »New York Times«, wo uns der Herausgeber persönlich durch die Redaktionsräume führte und uns den Kollegen vorstellte. Einige von ihnen sah ich später in der Welt immer mal wieder. Nach dem kurzen Besuch in New York ging es weiter per Zug nach Washington. Hier besuchten wir die »Washington Post«, aber die Attraktion des Tages war eine Pressekonferenz des Außenministers Dean Acheson, an der wir teilnehmen durften.

      Acheson war kurz zuvor von einer Reise in Japan zurückgekehrt. Wie schicksalhaft gerade diese Reise war, wurde mir erst später bewusst. Denn in Tokio hatte Acheson verkündet, wie entschlossen die USA seien, ihren Freunden in Asien militärisch beizustehen. Und Acheson nannte diese Freunde beim Namen. Das reichte von Japan bis zu den Philippinen. Aber ein Land nannte er nicht: Südkorea. Das war im Mai 1950, im Juni überfielen die kommunistischen Nordkoreaner Südkorea. Ein Krieg, der bald die Welt erschüttern sollte. Bei dieser Pressekonferenz hatte das noch niemand geahnt.

      Danach zogen wir vom Außenministerium die paar Schritte weiter zum Weißen Haus und konnten dort das Domizil des amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman besichtigen – wie alle anderen Touristen auch.

      Mit einem Nachtzug, der allerdings tagsüber noch weiterfuhr, ging es dann von Washington nach St. Louis, Missouri, und danach in die kleine Universitätsstadt Columbia. In den nächsten zehn Tagen waren wir hier zu Hause. Erst im Nachhinein lernten wir und wussten es zu schätzen, dass uns der Dekan der School of Journalism, der damals und bis heute berühmte Dean Mott, persönlich mit den Grundsätzen und Praktiken des amerikanischen Journalismus vertraut machte. Das tat er mit großem Nachdruck, als ob er wüsste, dass uns manches davon nicht so geläufig war.

      »Nummer eins: Das Wichtigste für jeden von euch muss die persönliche Unabhängigkeit sein, keine Verbrüderung mit Politikern! Nummer zwei: Ihr habt immer der Wahrheit verpflichtet zu sein, check, re-check, double-check – also überprüfen, nochmals überprüfen und selbst dann nochmals überprüfen – nämlich auf den Wahrheitsgehalt dessen, was ihr berichtet und kommentiert. Zusatz: Und wenn ihr euch irrt oder falsch informiert wurdet, dann habt ihr dies so rasch wie möglich im gleichen Medium richtigzustellen, in der Zeitung, im Radio wie im Fernsehen (das nämlich gab es schon in Amerika). Zur Wahrheitsfindung aber habt ihr zwei weitere Grundsätze zu beachten«, sagte Dean Mott und zitierte diese Grundsätze lateinisch, denn sie stammen aus dem römischen Recht: »Audiatur et altera pars«, immer auch die andere Seite anhören, und »In dubio pro reo«, im Zweifel für den Angeklagten.

      Das war in wenigen Minuten gesagt, aber das saß tief. Bei allen von uns, wie wir später feststellten, denn offenbar war keiner von uns jungen Journalisten bisher so unabhängig und so frei, wie es uns Dean Mott vorgab. Mich jedenfalls begleiteten diese Sätze in meinem ganzen journalistischen Leben und ich machte sie zu Grundsätzen in den von mir geleiteten Redaktionen. Ich weiß daher auch, wie sehr sie da und dort in unserem damaligen und heutigen Journalismus verletzt wurden und werden. Aber ebenso weiß