Die Fintech-Startups positionieren sich weltweit vor allen Dingen an der Schnittstelle zwischen Endkunden und Handel bei der Abwicklung von Zahlungsprozessen. Je stärker beispielsweise eCommerce wächst, wovon wir fest ausgehen, umso stärker wachsen Unternehmen wie Klarna.
Auch Wirecard hatte sich in diesem Bereich positioniert. Durch möglicherweise kriminelle Machenschaften seines Managements geriet das Unternehmen in die Insolvenz. Davon abgesehen hatte Wirecard die Deutsche Bank im Bereich der Abwicklung des Online-Zahlungsverkehrs weltweit überholt. Auch wenn bei Wirecard durch möglicherweise betrügerische Aktivitäten eine Profitabilität vorgetäuscht werden sollte, die es operativ so nicht gab, heißt dies natürlich nicht, dass nun alle FinTech-Startups „kriminell“ sind oder nicht wirtschaftlich operieren. Diesen offensichtlich typisch deutschen Reflex, das Kind mit dem Bade auszuschütten, der wie schon beschrieben auch nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes einsetzte, konnten wir unmittelbar nach der Insolvenz von Wirecard wieder einmal feststellen. Um diese offensichtlich eingeschliffene Sichtweise zu relativieren, greifen wir auf einen aktuellen Fall aus der Automobilindustrie, der Königsdisziplin der deutschen Wirtschaft, zurück: Auch wenn korrupte (Spitzen?-)Manager des VW-Konzerns mit illegalen Abschaltvorrichtungen bei Dieselfahrzeugen weltweit Käufer betrogen und einen Schaden von über 40 Milliarden Euro (!) verursacht haben, sind nicht alle Manager der Automobilindustrie kriminell.
Das Versagen der Führungsspitze von Wirecard bedeutet nicht, dass die Digitalisierung des Bankensektors hinfällig oder ein Trugschluss wäre. Interessant ist für uns, dass die Politik zwar nach dem Wirecard-Skandal umgehend mit Gesetzesinitiativen reagierte, diese Reaktion aber nach dem ungleich viel größeren Dieselskandal ausblieb. So funktioniert das System der Verstrickungen zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen in unserem Land.
Während innovative FinTech-Unternehmen wie Klarna, Raisin oder N26 durch die Effizienz ihrer digitalen Geschäftsmodelle enorme Wettbewerbsvorteile und attraktive Margen generieren können, verliert das klassische Bankgeschäft kontinuierlich an Ertragskraft und Bedeutung.
Zu Beginn des verlorenen Jahrzehnts, als andere Banken sich nach dem Crash des Neuen Marktes komplett aus dem Internet zurückzogen, nutzten PayPal oder Alipay mit einer klaren Strategie zielstrebig und konsequent die Chancen, die sich aus der Digitalisierung für den Bankensektor ergaben. Heute zählen diese Unternehmen zu den Pionieren des Geschäfts mit digitalen Zahlungsabwicklungen weltweit.
Abbildung 6 verdeutlicht das Wachstum, das gerade im Bereich des Mobile-Payment in China erzielt wird, wo es heute schon das Online-Banking und die Zahlung per Kreditkarte bei der Anzahl der Transaktionen deutlich überholt hat. Fachleute gehen davon aus, dass sich eine ähnliche Entwicklung in Deutschland vollziehen wird und Mobile Payment in Kürze das Onlinebanking via Laptop oder PC ablösen wird.
Abbildung 6: Meist genutzte Zahlungsmethoden in China (Mai 2016)8.
„Mit einem Transaktionsvolumen von 179.507 Millionen Euro in 2018 wird in China der weltweit höchste Wert im Segment Mobile POS Payments erzielt. Alipay hat mehr als die Hälfte Marktanteil der in China geleisteten mobilen Zahlungen, die für 2017 auf knapp 100 Billionen Yuan (13 Billionen Euro) geschätzt werden – Tendenz weiter stark wachsend.
Mit über 600 Millionen aktiven Nutzern weltweit ist Alipay die bisher erfolgreichste kontaktlose und mobile Bezahlmethode. Eine halbe Milliarde Menschen in China nutzt ihr Smartphone zum Bezahlen. Acht Billionen Transaktionen liefen in China in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres über mobile elektronische Zahldienste. Hinter Alipay selbst steht die Ant Financial Services Group, die zwar unabhängig von Alibaba agiert, aber Teil des Unternehmenssystems ist.
Sie deckt etwa die Hälfte des Markts ab, den es sich mit seinem Konkurrenten WeChat des Tencent-Konzerns teilt. Das amerikanische PayPal kam im gesamten vergangenen Jahr gerade einmal auf rund eine halbe Billion Zahlungsbewegungen. Somit ist Alipay zum Portemonnaie der jungen chinesischen Generation geworden.9
Ein eindrucksvolles Beispiel ist in diesem Zusammenhang der „Singles Day“ in China bei Alibaba (11. November jedes Jahr), – der zum größten Shopping-Tag der Welt wurde. Die Umsätze über Alibaba, die überwiegend über Alipay abgewickelt werden, sind mehr als nur beeindruckend. Alibaba erzielte einen Umsatz von 38 Milliarden US-Dollar. Die erste Milliarde wurde am 11. November 2019 nach nur 68 Sekunden generiert und die 10-Milliarden-Grenze nach einer halben Stunde überschritten.
Die Deutsche Bank hingegen hat die Digitalisierung im klassischen Bankgeschäft während des verlorenen Jahrzehnts komplett verschlafen. Ehemalige Mitarbeiter der Bank berichten – für Kenner wenig überraschend –, die IT-Systeme seien veraltet und undurchschaubar. Wir fragen uns: Welche Strategie und welche Digitalisierungsmaßnahmen verfolgte die Bank in den Jahren zwischen 2000 und 2010? Vielleicht sollten wir aber auch anders fragen: Mit welcher Kraft konnte das Management angesichts der Verstrickungen in internationale Skandale und dem Fokus auf das Investmentbanking überhaupt konsequent eine Digitalisierungsstrategie verfolgen? Es ist aus unserer Sicht beschämend, dass die Deutsche Bank die Hilfe von Google benötigt, um ihre IT-Infrastruktur modern auszustatten, wenn man den Pressemitteilungen vom 09. Juli 2020 Glauben schenkt.
Eine Umfrage des IT-Verbands Bitkom belegt, dass bereits 20 Prozent der Deutschen für die Erledigung ihrer Finanztransaktionen keine Bankfiliale mehr besuchen. Diese Zahlen dürften sich post-Corona nochmals deutlich zu Lasten der klassischen Banken steigern. Darüber hinaus geben 40 Prozent der Befragten an, dass sie bereit seien, ihre Finanztransaktionen über Apple, Google, Amazon oder Facebook zu tätigen. Während diese neuen potenziellen Wettbewerber der Deutschen Bank hohe Wachstumsraten aufweisen, über mehr Liquidität verfügen und eine um ein Vielfaches größere Marktkapitalisierung besitzen, schrumpft das Kerngeschäft der Deutschen Bank ebenso wie ihr Ranking im internationalen Wettbewerb.
Die Deutsche Bank erlitt – ebenso wie andere deutsche Geschäftsbanken – in den zurückliegenden Jahren einen hohen Wertverlust. Das Geld von Investoren fließt verständlicherweise in Wachstumsgeschäfte und dorthin, wo sie das notwendige Vertrauen in ein überzeugendes, digitales und skalierbares Geschäftsmodell und das dafür erforderliche Management haben. Investoren glauben an die Zukunft der FinTech-Branche, sie glauben an Fortschritt und Innovation ihrer Kunden und Investoren.
Wenn die deutschen Banken nicht schnell reagieren, werden sie große Teile des Privatkundengeschäfts an Online-Banken der neuen Generation oder an Facebook, Amazon, Apple oder Tencent verlieren. Denken wir an das Beispiel des Monopoly-Spiels: Diese neuen Player könnten schon bald stark genug sein, sich die „Schlossallee“ in Form des Postbank-Geschäfts der Deutschen Bank einzuverleiben. Dies sind globale Entwicklungen, die wir in allen Teilen der Welt beobachten.
Was für das Bankensystem gilt, trifft im Grundsatz natürlich genauso auf die Versicherungsbranche zu. Bereits heute deutlich erkennbar werden sich Versicherungsunternehmen in nur wenigen Jahren in einer ähnlichen Situation befinden wie die Banken heute. Der Vertrieb der Policen erfolgt ebenso online wie die Schadensregulierung, und die Berechnung der Schadensquoten erfolgt auf Basis von Computermodellen. Die Aufgaben eines klassischen Sachbearbeiters in einem Versicherungskonzern werden durch diese Entwicklung hinfällig. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Prozessen ist nicht nachzuvollziehen, warum das verantwortliche Management nicht bereits vor vielen Jahren das damit verbundene Einsparungspotenzial erkannte.
Im Bankensektor ergibt sich für uns ein ähnliches Bild wie im Medienbereich, wenn es um die Frage geht, ob eine deutsche Bank zukünftig den internationalen Bankenmarkt konsolidieren wird.
Zusammengefasst müssen wir feststellen: Die größte Volkswirtschaft Europas arbeitet vergleichsweise