Der englische Premier gab seinem Sekretär gemessenen Auftrag. »Ich erwarte den Vierten Lord der Admiralität. Jeder andere Besuch hat zu warten.«
Der Sekretär wunderte sich nicht über den Befehl. Die Stellung des Lords Maitland im englischen Kabinett hatte sich in den letzten Wochen beträchtlich gehoben. Seine genauen Kenntnisse der amerikanischen Verhältnisse machten ihn zu einem wichtigen Mitglied des Kabinetts. Darüber hinaus fand der alternde Lord Gashford in ihm eine wertvolle Hilfe. Eine Persönlichkeit, die Entschlußkraft mit der abgeklärten Ruhe des gereiften Mannes verband. Einen Mitarbeiter, der für sich selbst gar nichts erstrebte … wenigstens nichts zu erstreben schien und ganz in den Fragen der großen Politik aufging.
Lord Gashford hatte über die Ausführungen Lord Maitlands in der letzten Kabinettssitzung nachgedacht. Als Lord Horace in sein Arbeitzimmer eintrat, ging er ihm entgegen. »Ihre Ansichten über die Beweggründe des amerikanischen Diktators sind richtig. Wenn seine Handlungen überhaupt logischen Gründen entspringen, können sie nur so erklärt werden, wie Sie es neulich taten. Ich möchte in Ihrer Gegenwart einen Besuch empfangen, dessen Absichten mir nicht klar sind. Dr. Glossin hat sich bei mir melden lassen.«
Lord Horace konnte sein Erstaunen nicht verbergen.
»Dr. Glossin hier? Sollte das ein Friedensfühler sein?«
Dr. Glossin wurde von dem Sekretär in das Gemach geführt. Er kam mit der Unbefangenheit des vielgereisten Weltmannes. Begrüßte Lord Horace herzlich als einen alten Bekannten, ohne sich durch die Gegenwart des Premierministers geniert zu fühlen. Er erkundigte sich eingehend nach dem Befinden der Lady Diana und führte die Konversation mit einer Leichtigkeit, als befände er sich auf einem Fünfuhrtee und nicht bei den leitenden Ministern eines Weltreiches. Die beiden Engländer gingen auf die Tonart ein, obwohl sie innerlich vor Begierde brannten, dem Zwecke der Unterredung näherzukommen. Lord Horace schob dem Doktor Zigarren und Feuerzeug hin. Glossin bediente sich mit einer Gemächlichkeit, die den englischen Staatsmännern hart an die Nerven ging.
Dr. Glossin hatte zweifellos viel Zeit. Aber schließlich hatten die Engländer noch mehr. Sie warteten ruhig, bis er das Schweigen brach.
»Meine Herren, ich halte diesen Krieg für einen Wahnsinn. Nur der maßlose Ehrgeiz eines Mannes treibt zwei sprach- und stammgleiche Völker in den Kampf.«
Die Engländer sprachen kein Wort. Nur ein leichtes Nicken verriet ihre Zustimmung. Der Doktor fuhr fort: »Ich möchte die Lage durch einen Vergleich erklären. Die Welt gehört einer großen Firma, den Englishspeakers. Die Firma hat zwei Geschäftsinhaber. Es sind heute zwei feindliche Brüder, die zum Schaden des Hauses gegeneinander arbeiten. Die Firma kann nur gedeihen, wenn ihre Leiter einig sind und einig handeln. Müßte nicht der eine der Inhaber die Führung haben?«
Dr. Glossin schwieg und wandte dem Brande seiner Zigarre sehr eingehende Aufmerksamkeit zu.
»Die feindlichen Brüder sind wohl in diesem Gleichnis England und Amerika?«
Dr. Glossin bejahte die Frage Lord Gashfords durch ein leichtes Nicken.
Der Premier sprach weiter: »Welcher von den beiden wird dem anderen weichen?«
Glossin hatte wieder mit der Zigarre zu tun, bevor er die Antwort formulierte. Langsam, sorgfältig Wort für Wort wägend.
»Im Geschäftsleben würde es der sein, der die geringere Erfahrung hat … der weniger tüchtige … meistens wohl der jüngere.«
Lord Horace unterbrach ihn.
»Glauben Sie, daß Cyrus Stonard jemals freiwillig weichen würde?«
»Wenn nicht freiwillig, dann gezwungen!«
»Das hieße Stonard stürzen! Freiwillig wird er nie nachgeben.«
»Deswegen bin ich hier!«
Das Wort war heraus. Seine Wirkung auf den Premier war unverkennbar. Lord Horace blieb äußerlich unverändert. Nur sein Gehirn arbeitete fieberhaft und schmiedete lange Schlußketten … Er weiß, daß die geheimnisvolle Macht wirkt. Daß es vielleicht schon in nächster Zeit, vielleicht in wenigen Tagen nur noch eines leisen Anstoßes bedürfen wird, um den Diktator zu stürzen. Er wechselt beizeiten die Fahne … Immerhin, seine Arbeit kann England nützlich sein …
Lord Gashford fragte mit leicht vibrierender Stimme: »Wie sollte es geschehen?«
»Das wird meine Sache sein!«
»Sie wollen das vollbringen? Und wenn es Ihnen gelänge, was hat England dafür zu zahlen?«
»Nichts!«
»Und was verlangen Sie dafür?«
»Englands Freundschaft!«
Lord Gashford reichte dem Doktor die Hand.
»Deren können Sie versichert sein. Für die Ausführung stehen Ihnen unsere Mittel zur Verfügung. Lord Maitland wird die Einzelheiten mit Ihnen besprechen.«
Sie hatten diese Besprechung im Stadthause von Lord Horace. Dr. Glossin verlangte von der englischen Regierung für sein Unternehmen keine materiellen Mittel. Nur ein paar Einführungsschreiben an einige amerikanische Vereinigungen. Das war alles. Lord Horace geriet in Zweifel, ob es dem Doktor jemals gelingen könne, mit solchen bescheidenen, fast kindlich anmutenden Hilfsmitteln einem Manne wie Cyrus Stonard gefährlich zu werden. »Das wäre alles, Herr Doktor?«
»Alles, mein Lord.«
»So wünsche ich Ihnen um der anglosächsischen Welt willen den besten Erfolg.«
»Ich danke Ihnen. Noch eine persönliche Bitte. In meiner Begleitung befindet sich hier in London meine Nichte, Miß Jane Harte. Mein Aufenthalt in den Staaten könnte längere Zeit dauern. In der Voraussicht kommender Umwälzungen und Unruhen habe ich sie hierhergebracht. Ich bin ihr einziger Verwandter. Sie hängt an mir, ist meine einzige Freude, hat außer mir niemand in der Welt. Wenn ich wüßte, daß sie in Ihrem Hause … bei Ihnen … bei Lady Diana einen Anhalt findet, wäre ich Ihnen mehr zu Dank verpflichtet, als ich es Ihnen in Worten ausdrücken kann.«
»Ich werde die junge Dame als Gast in mein Haus nehmen. Sie soll in sicherer Hut bei uns bleiben, bis Sie, Herr Doktor, aus den Staaten zurück sind.«
Der Doktor ergriff die Hand Lord Maitlands.
»Ich danke Ihnen, mein Lord. Ich bedauere es, Lady Diana nicht persönlich meine Empfehlung übermitteln zu können …«
Dr. Glossin ging, den Mann zu verraten, durch den er zwanzig Jahre mächtig und reich gewesen war.
Seit jener Stunde, in der Diana die Todesnachricht Erik Truwors empfing, in der sie in der Fülle überströmender Gefühle ihre ganze Vergangenheit vor Lord Horace bloßlegte, war das Verhältnis der Gatten ein anderes geworden. Lady Diana zog sich nach Maitland Castle zurück. Lord Horace blieb in London, um sich mit verdoppeltem Eifer den Regierungsgeschäften zu widmen. Nicht nur die Sorge um das Land trieb ihn dazu, sondern wohl ebenso stark das Verlangen, sich durch angestrengte Arbeit zu betäuben, durch rastlose Tätigkeit der quälenden Gedanken ledig zu werden, die ihn seit jener Unterredung nicht loslassen wollten.
Mit dem Toten hatte er bald abgeschlossen. Was Diana getan, um dem Jugendgespielen, dem Manne, dessen Gattin sie werden sollte und fast war, den Abschied vom Leben leicht zu machen, das hatte er mit der abgeklärten Ruhe des gereiften Mannes verstehen und verzeihen gelernt.
Die Unruhe und Qual schuf ihm der andere. Der Lebende – den Diana noch für tot hielt. Und zu dessen Vernichtung sie doch ihre Hand geboten hatte.
War dieser Haß echt? Konnte solcher Haß echt sein?
War es nicht nur in Haß verkehrte Liebe, die wieder Liebe werden konnte?
Erik