»Jane?«
»Ja, deine Jane … für das ganze Leben!«
»Jane! … Jane!« … Er wiederholte den Namen, als gewähre ihm das Aussprechen höchste Seligkeit. Er hob die Arme und legte sie um Janes Hals. Er zog ihr Haupt zu sich und lehnte seine Wange an die ihre.
»Meine Jane«, sagte er so leise, daß sie wohl bemerken konnte, wie die körperliche Schwäche ihn zu übermannen drohte.
»Vor Gott schon lange und jetzt auch vor den Menschen.«
Seine Augen schlossen sich wieder, aber das selige Lächeln blieb auf seinen Lippen. Schnell und sanft schlummerte er ein.
Mit unhörbaren Schritten trat Atma neben Jane.
»Dein Geliebter schläft. Die Gefahr ist vorüber. Du armes Kind mußt auch ruhen. Komm und laß mich allein mit Silvester. Zur rechten Zeit will ich dich rufen.«
»Er schläft, er ist gerettet!« wiederholte Jane. Sie sprach es leise. Einen langen Blick warf sie auf den ruhig Schlummernden und folgte dem Inder.
Nachdem die Krisis überstanden, die Kraft des Fiebers gebrochen war, machte die Genesung Silvesters schnelle Fortschritte. Schon am dritten Tage ging er an Janes Arm über die Wege des parkartigen Gartens, der das Herrenhaus umschloß, und jede Stunde des Tages war eine Stunde des Glücks für die Liebenden. Nach einer Woche wagten sie es, den Pfad zum Ufer des Torneaelf zu wandern, berückt und entzückt von der romantischen Schönheit dieser wunderbaren Landschaft. Ein unendliches Glücksgefühl durchflutete ihre Herzen. In dem dichten Grase am Flußufer ließen sie sich nieder. Silvester lehnte seinen Kopf in Janes Schoß und schloß tief atmend die Augen.
»Wenn ich deine liebe Gestalt nicht fühlte, möchte ich glauben, es wäre nur ein schöner Traum, und würde den Himmel bitten, daß er mir ein Ende fände. Jane, du bist bei mir«, er zog ihre Hände an seine Lippen und küßte sie. »Die guten Feenhände, ihnen verdanke ich mein Leben.«
»O Silvester, wie gern wäre ich für dich gestorben, hätte mein Tod dir Rettung bringen können. Du hast so vieles, wofür du leben mußt. Ich habe nichts als dich. Was sollte aus mir werden, wenn ich dich nicht hätte.«
Ihre Arme umschlossen den Geliebten. Ihre Augen versenkten sich ineinander … ihre Lippen fanden sich in einem langen, langen Kuß.
Teil III
»Auf die Postille gebückt zur Seite des wärmenden Ofens …«
Es war Geburtstag im Hause Termölen. Das Geburtstagskind Andreas Termölen trug seine acht Jahrzehnte, so gut ein Mensch sie zu tragen vermag. Schon am Vormittag hatte er den Festrock aus feinem schwarzen Tuch angelegt. Die Kriegskreuze aus dem großen Kampfe von Anno 14 bis 18 schimmerten auf der linken Brustseite.
Das volle, weiße Haar, der starke Schnurrbart gaben dem Gesicht einen energischen Zug. Doch die Jahre machten sich fühlbar. An der Seite seiner Luise, der fünf Jahre jüngeren Gattin, hatte der Jubilar in den Vormittagsstunden die Schar der Gratulanten empfangen. Die Wirtz, die Schmitz, die Raths und wie sie alle hießen. Der Duft von Blumenspenden erfüllte das Wohnzimmer. Der Alte hatte sich aufrechtgehalten. Mit alten Freunden und Kriegskameraden geplaudert und ein Gläschen getrunken.
Danach das Mittagsmahl. Nur zu zweit mit seinem Luischen, die mit ihm jung gewesen und alt geworden war. Da spürte er die Anstrengungen des Tages. Die Hände zitterten mehr als gewöhnlich. Der Rücken schmerzte ein wenig.
Besorgt betrachtete ihn die Gattin.
»Es is also, als et Bismarck schon gesacht hat. Die ersten Siebenzig sind alleweil die besten. Da is nichts dran zu ändern, Luische.« So suchte er die Sorge der Gattin fortzuscherzen. Und war doch froh, als er sich nach geschehener Mahlzeit behaglich in dem alten Ledersessel ausstrecken konnte. Da konnten sich die alten Glieder wohlig ruhen und lösen.
Die Termölensche Ehe war kinderlos. Die Liebe der alten Leute betätigte sich an Neffen und Nichten. Auch an der dritten Generation, die zum größten Teil schon erwerbstätig im Leben stand.
Der alte Mann wollte sein Schläfchen machen. Aber die Anregungen und Ungewohnheiten des Tages wirkten nach. Er war zu aufgeregt dazu.
»Wat meinst du, Luischen, ob de Jong, de Willem, hüt von Essen röwerkütt?«
»Ich mein, er wird schon komme, wenn er Zeit hat.«
Die Zwiesprach galt dem Oberingenieur Wilhelm Lüssenkamp von den Essener Stahlwerken. Der stand nun auch schon im fünfzigsten Lebensjahre. Aber für die beiden Alten blieb er nach wie vor »de Jong, de Willem«.
Der Alte sann einige Zeit über die Antwort nach.
»Wenn er Zeit hat. Et jibt jetzt mächtig zu don. Et jibt bald Krieg. Engländer und Amerikaner. Et soll mich freuen, wenn dat Volk sich ordentlich de Köpp zerschlägt.«
Dann sprangen seine Gedanken zu einem anderen Gegenstand über.
»Wer hätt dat jedacht, Luische, dat aus unserer Reisebekanntschaft auf dem Schiff … damals hinter Bonn … dat daraus wat Ernstlichet werden wird. Ich han mir nachher jedacht, die jungen Leut' müßten mich für 'nen alten Schwefelkopf halten. Und da kütt dann en Brief aus Amerika. Un dann noch einer aus Schweden. Dat muß ich nochmal lesen.«
Frau Luise Termölen brachte die Briefe. Der alte Mann versuchte zu lesen. Die Hand war zu zitterig, und die Schrift verschwamm ihm vor den Augen.
»Lis du es jet, Luische. Du hast jüngere Augen.«
Frau Luise setzte sich zurecht und las die fünfzigmal gelesenen Briefe zum einundfünfzigstenmal.
Trenton, den 14. Dezember 1953.
Geehrter Herr Termölen!
Ein wunderbarer Zufall hat es gefügt, daß die Hinweise, die Sie mir vor Jahresfrist gaben, mir wirklich ziemlich vollkommene Klarheit über meine Herkunft gebracht haben. Ich bin, wie Sie aus dem Poststempel ersehen können, in Trenton. In denselben Staatswerken, in denen auch Frederic Harte bis vor zwei Jahren seine Stellung bekleidete. Er verlor sein Leben bei einem Unfall. Aber seine Witwe weiß über die Schicksale der einzelnen Familienmitglieder gut Bescheid. Ich habe Frau Harte und ihre Tochter Jane kennen und schätzen gelernt. Nach den langen Unterhaltungen, die ich mit Frau Harte hatte, ist es für mich Gewißheit, daß ich der Sohn von Gerhard Bursfeld bin, der im Herbst 1922 in Mesopotamien verschollen ist. Zeit und Ort stimmen genau mit den Angaben, die mir von anderer Seite her über das Verschwinden meines Vaters bekannt wurden. Die Wahrscheinlichkeit, daß zwei Deutsche an derselben Stelle zur selben Zeit in dieser Weise verschwinden sollten, ist praktisch gleich Null. Auch Frau Harte bestätigte die Ähnlichkeit mit Gerhard Bursfeld, von dem sie gute Bilder besitzt. Ich darf Sie danach auch als meinen Verwandten betrachten und begrüße Sie als
Ihr dankbarer
Silvester Bursfeld.
Der Brief war an den Kniffstellen mehrfach eingerissen und trug die Spuren häufiger Lektüre.
»Wer hätte dat jedacht, Luische, dat die Menschen sich auf Jottes weiter Welt so zusammenfinden. Laß mich och den zweiten Brief hören.«
Frau Luische rückte die Brille zurecht und las weiter. Der andere Brief war neuesten Datums.
Linnais, den 5. Juli 1955.
Mein lieber Herr Termölen!
Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt und verdanke Ihnen, daß ich es bin. Hätten Sie mir damals nicht die Nachweise gegeben, wär ich nie zu Mrs. Harte gekommen. Dann wäre Jane Harte auch nicht meine liebe Braut und in zwei Stunden mein angetrautes Weib. Es treibt mich, Ihnen von meinem Glück Kenntnis zu geben. Heute nachmittag gehen wir auf die Hochzeitsreise. Italien, Griechenland, Ägypten bis zu den Pyramiden. Jane kennt die Alte Welt noch nicht. Sie hat immer in Amerika gelebt. Auf der Rückreise