Erik Truwor hoch gereckt. Jede Muskel verhaltene Kraft. Glücklich beim Glücke des Freundes. Doch schon weitere Pläne erwägend. Ungeduldig über jede Verzögerung, die seine Lebensaufgabe erfuhr.
Der Priester wechselte die Ringe. Leicht schob sich der goldene Reif auf den schlanken Finger der Braut. Hart und schwer legte er sich an Silvesters Hand neben den Ring von Pankong Tzo.
Atma sah es, und seine Gedanken nahmen einen anderen Lauf.
»Wer schon gebunden ist, soll sich nicht nochmals binden. Zwei Pflichten kann niemand erfüllen, zwei Herren niemand dienen.«
Der christliche Priester sprach milde Worte. Daß sie nun eins seien. Daß jedes dem anderen gehöre, bis einst der Tod sie scheiden würde.
Atma sah nur die beiden Ringe an Silvesters Hand.
Auch Erik Truwors Gedanken wanderten. Fort aus dem grünen Tale, nordwärts über brandendes Meer und weite Eisflächen zu verschneiten Felsen. Nur undeutlich drangen die Worte des Priesters an sein Ohr. Im Geiste baute er dort nordwärts in eisigen Fernen bereits eine neue Zufluchtsstätte. Ein neues Heim, unentdeckbar und unangreifbar.
Der Geistliche hatte geendet. Segnend legte er die Hände auf die Häupter der Neuvermählten. Ein voller Sonnenstrahl fand seinen Weg bis zum Altar und wob aus goldenem Licht eine Krone auf dem Scheitel der Braut. Die Orgel fiel wieder ein. Die Feier ging dem Ende zu.
Kraftwagen brachten die Teilnehmer zum Hause Truwor zurück, wo das Mahl gerichtet war. Gäste aus dem Ort: Der Vogt von Linnais mit seiner Gattin. Der Königliche Richter. Besitzer freier Bauernhöfe aus der Umgebung von Linnais mit ihren Frauen.
Eine schwedische Hochzeit mit den alten Sitten und Gebräuchen. Seit einem Menschenalter hatte die hohe Halle des Hauses so zahlreiche Gesellschaft nicht mehr beherbergt. Seitdem Erik Truwors Mutter starb und der Vater nur noch seiner Wissenschaft und seinen Reisen lebte.
Jetzt dröhnte der Dielenboden unter den Schritten kräftiger hoher Gestalten. Scherzen und Lachen erklangen und verjagten die Geister der Einsamkeit.
Amtmann Bjerkegrön führte als Respektsperson den Vorsitz und das Wort an der Tafel. Richter Kongsholm sekundierte ihm vom anderen Ende her. Es wurde geschmaust und getrunken. Der Amtmann brachte den Toast auf das junge Paar aus. Der Richter wollte nicht nachstehen und sprach auf künftige Paare, die in dieser Halle noch Hochzeit halten würden. Der nächste Bräutigam müsse Erik sein. Seit tausend Jahren stünde Haus Truwor und sei stets vom Vater auf den Sohn vererbt worden. Also …
Er schloß in nicht mißzuverstehender Weise und leerte sein Glas auf die noch unbekannte Braut.
Um drei Uhr hatte das Mahl begonnen. Um sechs Uhr saß man noch. Viele Toaste waren ausgebracht, viele Gläser geleert worden. Die Köpfe waren rot, und die Stimmung ging hoch. Allgemeines Stimmengebraus erfüllte den Raum. Mancher sprach, um zu sprechen, und achtete nicht sonderlich mehr darauf, ob er Zuhörer fand.
Erik Truwor hatte in der allgemeinen Lebhaftigkeit unbemerkt seinen Platz verlassen und sich halb rückwärts hinter Atma einen Stuhl hingezogen. Der Inder war ruhig und schweigsam wie gewöhnlich. Während der Richter von künftigen Hochzeiten sprach, ruhte sein Blick auf den altersbraunen Deckenbalken der Halle. Wieder kam ihm in jener Sekunde die unheimliche Gabe des Fernsehens, und er glaubte verzehrende Flammen um das Gebälk lecken zu sehen.
»Dein brauner Kumpan ist schweigsam, Erik. Wir wollen ihm zeigen, was eine Hochzeit in Schweden ist. Ein Brautführer darf nicht nüchtern bleiben, wenn er der Braut Ehre machen soll.« Der dicke Vogt rief es lachend und kam dem Inder mit einem vollen Pokal vor. Atma tat Bescheid. Dem Vogt und vielen anderen. Nur war der Trunk, der bald goldglänzend, bald funkelnd wie Rubin in seinem Glase schimmerte, kein Wein.
Erik Truwor beugte sich vor.
»In dreißig Minuten muß Silvester aufbrechen, wenn er den Anschluß an die Regierungslinie nach Deutschland erreichen soll.«
»So laß ihn gehen.«
Atma sagte es ruhig und leidenschaftslos.
»Du kennst meine Landsleute nicht. Sie wollen den Brauttanz. Sie wollen den Schleier der Braut vertanzen, wollen zuletzt aus dem Brautschuh trinken. Ich bedauere es jetzt, daß ich die alten Freunde und Nachbarn eingeladen habe. Es gibt Anstoß, wenn das Paar jetzt aufsteht.«
Atma überblickte die Tafel. Sie waren alle in ihrem Element. Der Richter hielt dem Beisitzer einen Vortrag über einen besonders interessanten Fall aus der letzten Sitzung. Der Vogt machte der Frau Amtmann Komplimente. Der Amtmann begann auf die Regierung zu schimpfen.
»Ich muß mit Silvester noch sprechen. Wir haben ihm eine Woche für seine Hochzeitsreise zugestanden. Ich habe mich besonnen, er mag vierzehn Tage reisen.«
Atma wandte sich aufmerksam um.
»Warum das? Du wolltest ihn zuerst nur drei Tage entbehren. Er hat dir die Woche abgerungen. Warum jetzt zwei Wochen?«
»Weil … ich habe meine Gründe, die ich dir später sagen werde. Ich muß das Paar jetzt aus dem Saal herausbekommen.«
Atma ließ seinen Blick von neuem über die Tafel gehen. Er erhob sich und trat an die schmale Wand der Halle. Es sah aus, als ob er dort irgend etwas erklären oder zeigen wolle.
Schon hoben einige aus der Gesellschaft die Köpfe und blickten angespannt auf das dunkle Getäfel der Wand. Die Frau Amtmann fiel dem Vogt ins Wort.
»Sehen Sie … das herrliche Bild … ein indisches Schloß, wie es scheint. Wie wundervoll! Die bunten Kuppeln im stahlblauen Himmel … unser Erik ist ein scharmanter Gastgeber. Er bietet uns einen Extragenuß … Wohl Bilder von seinen exotischen Reisen …«
Der dicke Vogt hob neugierig den Kopf und folgte der weisenden Hand seiner Nachbarin. Eben noch schien ihm weißer Nebel über die Wand zu wallen. Jetzt sah er in strahlender Schönheit den Kaiserpalast von Agrabad.
Und machte den Nachbarn darauf aufmerksam. Und der den nächsten. Wie ein Lauffeuer ging es um die Tafel. Die mit dem Rücken gegen die Schmalwand saßen, drehten sich um. Wo Silvester und Jane nur das dunkle Getäfel erblickten, schimmerte den andern das wunderbare Bauwerk altindischer Kunst in strahlender Schöne. Aus dem stehenden wurde ein bewegtes Bild. Der Palast zog näher heran. Die staubige, sonnenbeschienene Straße dehnte sich bis in den Saal. Längst hatte der Richter seinen Prozeß, der Amtmann seinen Zorn auf die Regierung vergessen. Fasziniert starrten die Gäste auf das Schauspiel an der Wand. Die Elefanten des Königs kamen. Mit vergoldeten Stoßzähnen und purpurnen Schabracken.
Es schien ein bunter Film zu sein, wie man ihn in allen Theatern hatte. Aber ein Film von unerhörter Farbenpracht. Und er blieb nicht an der Wand. Einzelne Figuren liefen bis weit in den Saal hinein.
Lobbe Lobsen zog seinen Stuhl zurück, weil ein staubiger Pilger ihm direkt über die Füße lief. Immer wunderbarer wurde es. Atma, der eben noch in europäischer Kleidung da war, stand plötzlich im exotischen Gewand unter den Gestalten, begrüßte hier einen, nickte dort einer Figur zu, wurde gekannt und wieder gegrüßt.
Derweil stand Erik Truwor draußen vor dem Hause am Schlage des Kraftwagens und tauschte den letzten Händedruck mit dem jungen Paar.
»Reist glücklich! Genießt euren Honigmond! Die letzten drei Tage seid ihr Gäste im Hause Termölen. Am 19. hole ich dich von der Station der Regierungslinie ab. Farewell!« Der Motor sprang an. Der Führer mußte sich eilen, um das Regierungsschiff nach Deutschland noch im Flughafen zu fassen.
Erik Truwor kehrte langsam in die Halle zurück. Er fand Atma ruhig auf einem Sessel an der Schmalwand der Halle sitzend. Die Hochzeitsgesellschaft starrte mit aufgerissenen Augen auf diese Wand, als ob dort ein besonderes Schauspiel zu erblicken wäre. So ähnlich mußten wohl die Studenten in Auerbachs Keller ausgesehen haben, als Mephisto ihnen edle Weine aus dem trockenen Holz des Tisches fließen ließ. Erik