»Was ist Ihnen, was haben Sie, Modeste?« Mette Harder stellte die Frage. »Ihr Orakel, nehmen Sie es so ernst? Es scheint ja fast, als ob der Alte richtig orakelt hat. Sieh da!«
Modeste wandte die Augen von Mette zur Seite. Da traf ihr Blick den Iversens, der wie in stummer Frage auf ihren Zügen haftete. Eine dunkle Röte schoß ihr ins Gesicht.
»Ach, es ist ja alles Scherz, Mette! Lassen wir das alles!«
Während sie so sprach, war Harder mit schnelleren Schritten vorgegangen. Seine Gedanken gingen von dem Schäfer nach Warnum, hin und her. Wie ein Zwang lag es auf ihm. Vergeblich suchte er sich davon freizumachen. Nur Warnum konnte mit der brennenden Insel gemeint sein.
Er erbebte bei dem Gedanken, daß die dort, folgend seinem Gebot, mit allen Mitteln zum Ziele strebend… die Feldstärken steigernd… zur Katastrophe?… zweihundert Menschenleben verloren…
Ein eisiger Schauer durchrann ihn. Fernsteuerung… dieses Wort? Immer wieder kam es von seinen Lippen… Fernsteuerung! Dann wenigstens kein Menschenleben gefährdet. Noch heute sollte der Befehl abgehen.
Der Weg führte jetzt über ein fast ebenes Gelände. In der Nähe wurde die kleine Kapelle sichtbar, die das Ziel dieses Ausfluges bildete. Ein schmächtiger, altersgrauer Bau. Iversen suchte die gedrückte Stimmung zu verscheuchen, die der Besuch bei Arriava wenigstens bei zwei Mitgliedern der kleinen Gesellschaft hervorgerufen hatte. Er begann von der Geschichte der Kapelle zu erzählen.
»Die Überlieferung berichtet, daß schon römische Baumeister der Provinz Gallien die Grundmauern dazu errichtet hätten. In den Stürmen der Völkerwanderung, in den jahrhundertelangen Kämpfen zwischen Goten, Franken und Mauren waren öfter als einmal Brand und Zerstörung darüber gekommen. Doch immer wieder hatten fromme Hände den kleinen Bau hier dicht an der Grenze zwischen Spanien und Frankreich von neuem errichtet. Ein uraltes Marienbild sollten die Mauern bergen, das wie durch ein Wunder alle Zerstörungen der ewigen Grenzkriege überstanden hatte. Ein Gnadenbild, zu dem jetzt noch die Bevölkerung aus Frankreich und auch von der spanischen Seite her wallfahren ging.«
Er sprach, erzählte, wurde warm bei seiner Erzählung und merkte, daß auch die Stimmung seiner Zuhörer sich wieder zu heben begann.
Da plötzlich!… Rauhe Rufe… der barsche Befehl stehen zu bleiben. Im Augenblicke strömte es hinter Klippen und Bäumen der Umgebung hervor. Sechs Männer, der Tracht nach Basken… baskische Räuber!
Harder stand still… wie dumm! Wie unvorsichtig dumm von uns. Unablässig ging ihm dieser Gedanke durchs Gehirn. Hatte man nicht in den Zeitungen in Biarritz genug von der Unsicherheit an der französisch-maurischen Grenze gelesen. Wurde da nicht ständig von Räubereien und Überfällen berichtet? Wie konnte er sich nur zu einem Ausflug in diese unsichere Gegend verleiten lassen. Schwer fiel es ihm jetzt auf die Seele.
Doch es blieb nicht lange Zeit zum Nachdenken. Die Basken hatten die kleine Gruppe jetzt umzingelt. Ihr Anführer forderte sie auf, ihnen ohne Widerstand in die Berge zu folgen.
Was tun? Die Banditen bis an die Zähne bewaffnet, die Touristen ohne jede Waffe. Jeder Widerstand gegen die Übermacht zwecklos.
Der Anführer trat vor Harder hin.
»Sie sind der Generaldirektor Harder aus Deutschland?«
»Jawohl! Der bin ich! Und wer sind Sie? Was wollen Sie von uns?«
»Nun! Das wird sich finden. Vorläufig sind Sie unsere Gefangenen.«
Harder wollte aufbegehren. Der Anführer ließ ihn nicht zu Worte kommen.
»Keine unnützen Fragen! Sie werden nicht beantwortet werden. Folgen Sie uns! Nichts weiter.«
Der Trupp setzte sich in Bewegung. Die beiden Frauen bestürzt und verwirrt. Harder seinen Leichtsinn verwünschend, Iversen zähneknirschend.
Jetzt sah der, wie einer der Banditen Modeste von Karsküll am Arm packte, um sie schneller vorwärtszuziehen. Hörte, wie die grobe Berührung ihr einen Schmerzensschrei erpreßte…
Wie ein Tiger sprang er den Banditen an, hob ihn hoch und schleuderte ihn auf den Felsboden.
Im nächsten Augenblick fielen die anderen über ihn her. Der Anführer setzte schon die Mündung seiner Waffe auf seine Brust. Da warf sich Modeste mit einem Schrei dazwischen.
»Schont ihn! Gnade!«
Der Anführer sah Modeste einen Augenblick prüfend an.
»Es ist gut!« Zu seinen Genossen gewandt, »führt ihn weiter.«
Dichter schloß sich der Trupp um die vier Gefangenen.
So schnell wie möglich ging der Marsch weiter einen Pfad hinauf in das Gebirge. Immer enger und düsterer wurde die schmale Kluft. Kein Sonnenstrahl verirrte sich hierhin. Zur Linken in der Tiefe ein tosender Bergbach, zur Rechten wie Kulissen hintereinandergeschoben Felsklippen. Feucht und schlüpfrig der Pfad in kühler Dämmerung.
Je weiter der Marsch, desto langsamer der Schritt der Frauen. Stundenlang schon waren sie unterwegs. Mette am Arm ihres Vaters, Modeste an den Iversens gehängt. Der Führer merkte, daß es bald nicht mehr weiterging. An einem Seitenpfad blieb er stehen, überlegte einen Augenblick.
Er sah die beiden Frauen, bleich, zitternd, völlig erschöpft.
»Zur Hütte Joses! Hier den Pfad hinauf! Nur noch ein kurzer Weg, meine Damen. Eine knappe Viertelstunde, dann werden Sie Gelegenheit haben, sich auszuruhen.«
Endlich war die Hütte erreicht. Sie war leer. Es war anscheinend ein altes Zollhaus, das aber nicht mehr benutzt wurde. Der Anführer stieß die Tür auf. Zwei Räume zu ebener Erde. Sonst nichts! Darin ein Tisch, ein paar morsche Bänke als einzige Ausstattung.
»Wir werden hier über Nacht bleiben. Ich würde Ihnen gern einige Bequemlichkeiten zur Verfügung stellen, wenn ich sie nur hätte. Ich selbst werde mit meinen Leuten draußen kampieren.«
»Und Essen und Trinken?« Iversen fuhr ihm in den Weg. »Sie sehen, die Damen sind völlig erschöpft.«
»Wird sofort besorgt werden«, antwortete der Anführer in beinahe höflichem Tone. Er ging hinaus und kam auch bald mit einem anderen wieder, der auf den Tisch ein Abendessen hinstellte. Kalte Küche, aber mit auffälliger Sorgfalt zubereitet und zusammengestellt. Ein Krug frischen Quellwassers dazu.
Fürst Iraklis stand vor dem Kalifen. »Ich komme soeben von Ibn Ezer.«
»Ich sehe es an Ihren Mienen, auch ihm ist es nicht gelungen, im ersten Ansturm den Apparat zu bezwingen. Ich habe es auch nicht erwartet.«
»Und doch ist die Meldung, die ich zu bringen habe, nicht ungünstig. Er hofft, in absehbarer Zeit wenigstens hinter das Geheimnis Montgomerys zu kommen.«
Der Kalif sprang auf.
»…absehbarer Zeit… Wochen… Monate… unerträglich dieses Warten auf unbestimmte Zeit.
Harder! Jolanthes Plan, die einzige Rettung, so abenteuerlich auch das ganze Unternehmen ist. Wäre es nicht Jolanthes Gedanke, ich würde mich kaum darauf eingelassen haben. Und doch wieder, wenn man den Plan scharf durchdenkt… vieles, was für den Erfolg spricht. Zumal Jolanthe selbst alles bis aufs kleinste geordnet.«
Eine Uhr schlug die sechste Stunde.
»Könnte schon Nachricht da sein?« fragte er den Fürsten.
»Es wäre möglich. Ich will selbst gehen.«
Abdurrhaman lehnte sich zurück, schloß die Augen.
Jolanthe! Welch ein Weib! Tag und Nacht seine Gedanken bei ihr seit jenem Abend im Madrider Schloß.
Schon seit der Zeit, da er sie zuerst gesehen, sie für ihn zu arbeiten begann, hatte sie sein ganzes Interesse gehabt. Ihre ungewöhnlichen Leistungen! Die Leidenschaft, mit der sie das gefährliche Spiel spielte. Maßloser Ehrgeiz,