Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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hat. Wahrhaftig, ohne Euch war ich verloren, und man hätte nicht einmal den Namen des Schandbuben erfahren, der mir das Lebenslicht auslöschte.

      Hattet Ihr Streit mit ihm? fragte der Waldmeister.

      Durchaus nicht. In aller Freundschaft hat er mich hierher gelockt und heimtückisch überfallen. Oh, ich kenne ihn jetzt! Er schleicht um ein junges Fräulein, das mir wohlgeneigt ist, und hat mich auf solche Art unschädlich machen wollen. Steht's so, dann ist's Zeit, ihm zu zeigen, daß er sich vergeblich bemüht.

      Die Weiber, die Weiber, knurrte der Alte, immer die Weiber. Bleibt ledig, Junker, ich rat's Euch. Es ist kein Verlaß auf die Weiber. Seid Ihr nicht betrogen, so werdet Ihr betrogen.

      Hans lächelte. Diesmal nicht. Aber sagt, Waldmeister, wie kommt Ihr hierher? Vor Wochen traf ich Euch auf der Landstraße und erhielt von Euch nur halbe Auskunft. Ich fürchtete damals, Ihr hättet böse Anschläge. Natalia hatte mir davon gesagt. Täglich habe ich mich nach Euch umgeschaut. Da Ihr nicht kamt, meinte ich, Ihr wäret umgekehrt. Und auf der Landstraße könnt Ihr doch auch unmöglich so lange gelegen haben.

      Gundrat strich mit den Spitzen der Finger über die buschigen Augenbrauen. Meint Ihr, Junker? Ihr habt recht und auch wieder nicht recht. Anschläge – ja, ja! Ich besinne mich. Geradeswegs wollte ich nach der Marienburg, und länger als drei oder vier Tage hätte ich nicht bis dahin gebraucht. Es wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn ich – Ah, der Bube bildete sich ein, daß ich seinetwegen die Armbrust mitnahm! Ist's wahr, daß sie den Komtur aufgehoben und auf das Haus zu Tapiau gebracht haben in Ketten? Ich hörte davon in den Schenken erzählen. Auch daß in Graudenz auf dem Markt ein Blutgericht gehalten worden über einen von den Kulmer Herren. Was geht's mich an. Ich habe meine eigene Sache mit dem Plauen und will sie von keinem Schuft verunzieren lassen. Wäre sicher damals auch nicht hierher gegangen, sondern nach Danzig, wenn sich's nicht unvermutet ganz anders gefügt hätte.

      Wie hat sich's gefügt, Gundrat?

      Das will ich Euch sagen, Junker, denn es ist kein Geheimnis. Unterwegs in Gardensee traf ich Leute, die mit den Rittern in der Burg Ragnit gewesen waren und dort Dienste getan hatten gegen die wilden Szamaiten. Die Zeit, auf die sie sich dem Orden verdungen hatten, war um, und da sie mit Mühe und Not ihren Sold erhalten hatten, kehrten sie nun nach ihrer Heimat Schlesien zurück. Die wußten viel zu erzählen von den dortigen Wäldern, und wenn man sie reden hörte, gab's im ganzen Reiche nichts, was sich mit der litauischen Wildnis vergleichen könnte. Da kam mir's in Erinnerung, daß auch früher schon einmal einer von des Ordens Waldhütern, der nach Rheden geschickt war, sich von mir am Melno-See herumführen ließ, und als ich ihn in den dichtesten Teil führte – wo der Sumpf anhebt und die Wildschweinbuchten zu finden sind –, nur so mit den Fingern in die Luft schwippte und geringschätzig sagte: Seht erst die Wildnis! Dies hier ist ein kräftiger Strich alten Waldes und ganz löblich in seiner Art; aber man findet sich rechts und links bald wieder hinaus. Weiter östlich nach der polnischen und masowischen Grenze zu – da um Ortelsburg, Neidenburg und Johannisburg –, da gibt's freilich Wälder, in denen man tagelang unterwegs sein kann, aber auf dem Sandboden gedeihen nur Fichten, und so ist's endlos immer dasselbe, was das Auge sieht. Nördlich aber hinter Barten, Gerdauen, Allenburg, Tapiau, den Pregelfluß hinauf bis zum Memelstrom und darüber hinaus, da ist die litauische Wildnis ohne Weg und Steg, und wo die Ritter bei ihren Kriegsreisen einmal eine Straße durchgehauen haben, ist wieder längst alles verwachsen. Da steht Laubholz aller Art so dicht, daß die wilden Tiere oft Mühe haben, durchzubrechen, überall ziehen sich kleine Flüsse und Bäche hindurch ohne rechten Abfluß, so daß weite Sümpfe entstehen, die auch im heißesten Sommer die Sonne nicht austrocknet, weil das Laub zu dicht ist. Da gibt's nicht Weg noch Steg, und meilenweit findet ihr keine menschliche Wohnung. Da sind nicht Städte gebaut und ummauert, da grüßt euch kein Kirchturm über die Strohdächer von Bauernhäusern hinweg, da pflügt kein Köllmer das Feld – nur Wald und Sumpf, Wald und Sumpf. Aber das Getier! Von Hirschen und Schweinen rede ich gar nicht. Den Auerochsen müßt ihr sehen und das Elch, den Biber und den Luchs. Im Winter hält der Wolf dort seine Jagd und trabt in Rudeln bis in die Dorfmarken am Saume der Wildnis hinein. Da ist nächtlich ein großes Geheule, und wenn's zu arg wird, ziehen ganze Bauernschaften gegen sie aus mit langen Knütteln und Dreschflegeln, die Bestien zu verscheuchen. Seht, Junker, das alles bestätigten die Leute in Gardensee, und mich kam mächtig die Lust an, so einen Wald vor meinem Ende einmal mit Augen zu sehen und gegen ein Elchtier meinen Bolzen zu versuchen. Da bog ich denn rasch entschlossen rechts ab und ging mitten durchs bischöfliche Land, das sie das Ermland nennen, und über die Stadt Heilsberg hinaus nach Barten und Nordenburg. Da hub die Wildnis schon an. Ich wagte mich hinein, wie sie mir auch abredeten, kam aber gar nicht tief, denn es war alles so, wie jene gesagt hatten. Da strich ich nun am Rande entlang nordwärts bis zum Pregelfluß und fand bei Wehlau eine Fähre. Dort hörte aber der Wald nicht auf, sondern sollte erst recht anfangen und bis an das große Wasser reichen, das sie das Kurische Haff nennen. Eine gute Tagereise setzte ich noch meinen Weg fort, fand dann aber Sumpf an Sumpf und mußte umkehren: kein Menschenfuß kam da hindurch, und ein Elch, das ich aufgejagt hatte, sah ich vor meinen Augen versinken. Ich sag' Euch, Junker, dort sieht's noch geradeso aus wie zu der Zeit, als die Welt geschaffen ward. Da möcht' ich Waldmeister sein!

      Die grauen Augen blitzten ihm. Hans erinnerte sich nicht, daß er ihn schon jemals auf einen Strich so viel hatte reden hören. Er lachte laut auf. Gebt dem Herrn Hochmeister ein gut Wort, so setzt er Euch dort sicher gern ein. Es wird Euch niemand um solch Amt beneiden.

      Meint Ihr? knurrte der Alte. Aber Plauen ein gut Wort – das ist auch dafür zuviel. Nein, nein – es müßte geschehen ohne sein Wissen. Die Kreuzherren in Nordenburg, denk ich, würden mich schon leiden. Wem gehört denn auch die Wildnis?

      Und wollt mich verlassen, Waldmeister? Tretet nur erst wieder in Euer altes Jägerhaus am Melno-See, so kommen Euch andere Gedanken.

      Der Alte seufzte. Bin freilich alt geworden und treib's nicht mehr lange. Er sah dabei auf den Boden, bemerkte einen von den verschossenen Bolzen, bückte sich und hob ihn auf. Das Bücken schien ihm nicht schwer zu werden. Man darf dergleichen nicht liegenlassen, sagte er, indem er den Bolzen in der Hand wog und dann in seine Gürteltasche gleiten ließ. Wer weiß, wem der einmal den Garaus macht.

      Hans von der Buche fühlte sich wieder ganz frisch, stand auf und schritt mit dem Alten der Landstraße zu. Wie kam's, fragte er, daß Ihr Euch hier einfandet?

      Hm! das hat seine gute Ursache. Ich war eben auf dem Wege nach der Stadt, hatte von Sonnenaufgang einen tüchtigen Marsch gemacht. Da sah ich hier seitwärts die Stange und dachte gleich: dazu gehört auch ein Vogel. Wollte also erfahren, auf wieviel Schritt Entfernung die Marienburger in ihrem Schießgarten schießen, den schon Herr Winrich von Kniprode ihnen hergerichtet haben soll. So ging ich hierher und konnte Euch beispringen.

      Ihr habt also noch keine Herberge in der Stadt, Waldmeister? Kommt mit mir ins Schloß, ich hoffe Euch in der Vorburg unterbringen zu können. Meine Fürbitte gilt jetzt dort etwas.

      Der Alte schüttelte den Kopf.

      Ihr werdet doch in der Marienburg ein wenig ausruhen wollen.

      Ich gehe nicht in das Haus meines Feindes, Junker. Aber ich will an der Brücke warten, bis er herauskommt. Es ist jetzt Sommerzeit – ich schlafe am Ufer unter der Brücke.

      Hans antwortete nicht sogleich. Nach einigem Nachdenken sagte er: Hört, Gundrat, es gefällt mir nicht, daß Ihr so sprecht. Was Ihr gegen den Herrn Hochmeister habt, weiß ich nicht, aber Ihr braucht versteckte Worte, hinter denen nichts Gutes lauert. Darum hattet Ihr Euch auch dem Komtur ergeben, der unehrlich gegen seinen Herrn handelte. Ihr sagt, seine Sache war nicht Eure Sache, und so mag's sein. Aber ich bitt' Euch, zu bedenken, daß Plauen, was er Euch auch einmal zuleide getan, nicht wie ein einzelner Mann ist, mit dem eine Feindschaft auszufechten, sondern daß er als Hochmeister über dem Orden und als Fürst über dem Lande steht, vielen verantwortlich. Da sollte billig alles Rachegelüste schweigen.

      Der Alte zog die Stirn in Falten. Das versteht Ihr nicht, Junker, entgegnete er dann mürrisch. Ich kannte ihn schon vor der Zeit, als er in den Orden trat. In dem, was geschehen, hat er dadurch nichts ändern können, daß er das Kreuz nahm. Meine Augen sahen es nicht. Aber kümmert