(DIE BEGLEITER des Königs dringen gewaltsam auf Jeremias ein.)
ZEDEKIA (der wie vor unsichtbarem Anprall zurückgefahren ist, die Hand am Herzen, sich wieder ermannend): Ablaßt von ihm! Meint ihr, eines Narren Fluch machte mich blassen, ein frech Wort knickte schon meine Kraft? (Nach einer Pause): Aber dies sehe ich: wahr ist, was sie sagten im Volke: gefährlich ist dieses Menschen Wort. Wie ein Sturmbock stößt er wider die Herzen. Es geht nicht an, daß solch ein Gottesleugner länger frei rede im Volke und seine Angst auf die Krieger falle.
ABIMELECH:
Töten muß man ihn. Wer nicht Gott vertraut, ist unwert des Lebens.
STIMMEN:
Man steinige ihn… ein Söldling ist er… er will die Stadt den Chaldäern preisgeben… laß ihn töten… er betet um unser Verderben…
ZEDEKIA:
Soll ich töten den, der mich schmähte, daß man meine, ich fürchte sein Wort? Nicht so! Tritt her, Jeremias! Wind ist mir dein Wort, doch noch einmal frage ich dich um deinetwillen: Sagt dir untrüglich dein Herz, daß Tod sei über Zion und allen in Zions Mauern? Ich frage dich! Antworte mir frei!
JEREMIAS:
Tod steht über Jerusalem, Tod über uns allen. Nur Ergebung kann uns erretten.
ZEDEKIA:
Dann geh und ergib dich! Als einziger aller rette dein Leben!
(JEREMIAS starrt ihn an, ohne ihn zu verstehen.)
ZEDEKIA:
Wer zehrt an unserem Brote, soll nicht auch zehren an unserer Kraft. Fürchtest du für Zion, so fliehe von Zion! Ich schenk dir dein Leben! Die Mauer hier, klimm sie hinab, zu Nabukadnezar geh und birg deinen Leib. Und so dein Wort sich erfüllet, bläh auf deine Backen und lache der Brüder, die starben für Jerusalem.
ABIMELECH:
Zu milde bist du, König, mit dem Lästerer.
(JEREMIAS unbeweglich, ringt um ein Wort.)
ZEDEKIA:
So geh doch, flieh fort, Abtrünniger des Glaubens, geh zu Nabukadnezar, des Sieg du gekündet, und küsse seinen Fuß! Ich aber bleibe in meines Volkes Mitte und in meiner Väter Heimat, denn ich glaube bis zum letzten Atem meines Leibes: Lüge ist dieses Mannes Rede und ewig währet Jerusalem!
DIE ANDERN (jauchzend):
Ewig währet Jerusalem! Nie vergehet Gottes Haus!
ZEDEKIA:
So eile! Lauf über zu Assur, ich hab dirs gewährt! Laß uns unsern Tod und kriech in dein Leben!
JEREMIAS (sich fassend):
Ich lasse nicht Jerusalem!
ZEDEKIA:
Hast du nicht eben gekündet uns allen, Tod stünde über Jerusalem? So flieh, daß du ihm entweichest!
JEREMIAS:
Nicht meines Lebens trage ich Bangen, sondern für die Tausendmaltausend schreiet mein Herz. Ich weiche nicht! Mögen fallen seine Mauern, ich stürze mit dem letzten seiner Steine.
STIMMEN:
Nicht dulde ihn bei den Kriegern… ein Verräter ist er… Verwirrung sprengt er unter die Krieger… jage ihn fort… nicht habe er länger Gemeinschaft mit uns…
ZEDEKIA:
Zum letztenmal, Jeremias! Aufgetan ist dir der Weg!
JEREMIAS:
Ich bleibe in Gottes Stadt, bis daß sie vergehet, bis daß ich vergehe!
ZEDEKIA:
Dann aber wisse dieses zur Warnung: Schwert liegt fortab auf deinem Wort! So du noch einmal hebst die Stimme zu harter Verkündung, so du noch einmal ausschreiest Untergang in diesen Mauern, ist dein Leben verfallen.
JEREMIAS:
Nicht ich hebe die Stimme, Gott wirft sie aus mir. Wie die Luft fährt durch die Posaune, daß sie erklinge, so tönet sein Wille durch mich. In seine Hände habe ich mich gegeben.
ZEDEKIA:
Ich habe dich gewarnet, Jeremias, wie du mich gewarnet. Selbst schützest du fortan dein Leben. (Zu den andern): Keiner rühre ihn feindlich an, solange er sich zähmet. Doch schreit er noch einmal Schrecknis über die andern, so fasset ihn, und er büße nach euerm Spruch. (Zu Jeremias): Hüte dich, hüte deine Lippe, daß dein Blut nicht springe über sie! Uns aber möge Gott schonen, wie ich heute deiner geschonet.
JEREMIAS (reglos, mit unsicherer Stimme):
Nicht mich hüte ich… ich hüte Jerusalem…
ZEDEKIA (wieder an den Rand der Mauer tretend):
Noch immer ziehen sie her, und wie von Wettern rollts von ihren Wagen und Rossen, es ist kein Ende abzusehen, kein Ende. Wahrlich, furchtbar ist er, der König von Mitternacht, furchtbar wird es sein, ihm zu begegnen! Gott schütze Jerusalem! (Tief atmend): Gott schütze Jerusalem!
(ZEDEKIA wendet sich langsam zum Gehen und schreitet die Runde weiter; Abimelech, die anderen sowie die beiden Krieger folgen dem sinnend Hinschreitenden langsam nach.) BARUCH (aus dem Dunkel vorstürzend):
Rasch… eile ihm nach, noch einmal fasse deine Kraft… Gottes Sendung ist über dir… eile, daß du ihn zwingest.
JEREMIAS (erwachend aus seiner Dumpfheit):
Wen… wen soll ich zwingen?
BARUCH:
Den König… eile ihm nach… entbrenne dein Wort, rette, rette Jerusalem!
JEREMIAS:
Den König! (In heißem Erschrecken um sich auf die leere Mauer starrend): Oh, fort… fort… versäumt… verloren die heilige Stunde… von Gott war er mir gesandt, in meine Hände geworfen, daß ich knetete seinen Willen, und ich ließ ihn entgleiten… Blick in Blick war mir der Schwanke gegeben, und doch: wie Asche zerstäubte an seiner Stirne mein Wort… Oh, Schmach über mich, daß so dürr war meine Rede, so laulich mein Atem… Mit Fluch fiel ich ihn an, und mit Güte hat er mich geschlagen… wer bin ich, daß man mir diente, wenn ich nicht diene dem Wort… Oh, Fluch der Nessel meiner Rede… Fluch der Distel meines Munds…
BARUCH:
Noch einmal versuch es, und du zwingest ihn. Schon erschwankte sein Wille!
JEREMIAS:
Zu spät, zu spät, verloren ist die Stunde, die Gott mir erkor! Doch was wählete er auch mich, den Schwächling, was rief er Unkraft zu so gewaltig Beginnen! Warum tat er nur Galle des Fluches in meinen Mund und des Wortes bittern Wermut, warum die läutrige Flamme nicht, die entbrennet die Herzen der Menschen! Wer bin ich denn, Nichtiger, daß ich mich erfreche, seines Wortes Profeten mich zu nennen, Bruder der Erlauchten, wenn ich nicht Erbe bin ihrer Stärke? Königen umtaten sie den Zaum ihres Willens und beugeten der Völker Stirn, Feuer des Herrn fuhr voran ihrer Rede, doch ich, ich Dorn im Fleisch ihrer Qual, nicht ein Blatt vermag ich zu wenden mit meiner Seele Odem… ein Speichelspeier nur bin ich, ein Tönen von Wirrsal und Wind…
BARUCH:
Nicht quäle dich, Meister… der Schmerz verwirret dich.
JEREMIAS:
So sage doch, zeuge, künde mir, daß ichs gewahr sei… was hab ich vermocht? Eine Stadt hängt am Tode, und ihre Not verzehret mich… von Träumen bin ich allnächtens umtan und schmerzhaft trächtig des Worts… so sag, was vermocht ich wider den Herren der Stunde… meine Warnung, wen warnete sie… nicht daß er einen Boten sendete von Zelt zu Zelt… nicht daß ein Mensch seine Schritte aufhübe als Bote des Friedens… Oh, die Luft frißt meine Schreie, und das Gelächter der Menschen schluckt meine Schreie, zur Schande bin ich gezeugt und zur Plage