DER ZWEITE KRIEGER:
Wer sind die Völker? Bist du nicht unsres Volkes einer, bin ich es nicht, und unsere Frauen, die meine und die deine, sind die nicht Volkes Teil, und haben wir dieses Krieges begehrt? Hier stehe ich und halte einen Speer, nicht weiß ich, wider wen ich ihn wende. Dort unten im Dunkel wartet unwissend der, dem er zugeschliffen ward, ich kenne ihn nicht, nie habe ich sein Antlitz gesehen und die Brust, die ich mit Tod ihm durchstoße. Und ein anderer wärmt dort unten vielleicht jetzt am Lagerfeuer die Hand, die meinen Kindern den Vater stößt, und hat mich nie geschaut und nie Kränkung gehabt von meinem Leben. Fremd sind wir einander wie die Bäume des Waldes, doch die wachsen still und blühen aus sich, wir aber wüten widereinander mit der Axt und dem Speer, bis das Harz unseres Blutes aus den Leibern quillt. Was ist dies, das Tod unter die Menschen stellt und den Haß säet zwischen sie, da dem Leben so viel Raum ist und der Liebe so lange Frist? Ich verstehe es nicht, ich verstehe es nicht!
DER ERSTE KRIEGER:
Von Gott muß es kommen; denn von jeher war es so! Ich frage nicht weiter.
DER ZWEITE KRIEGER:
Gott kann diesen Frevel nicht wollen. Er hat das Leben gegeben um des Lebens willen. Auf seinen Namen häufen die Menschen alles, was sie nicht verstehen. Nicht von Gott kommt der Krieg, woher mag er nun stammen?
DER ERSTE KRIEGER:
Was weiß ich, woher er stammt! Ich weiß, er ist da und will nicht beschwatzt sein. Ich tu mein Geheiß, ich schärf mir den Speer und nicht meine Zunge.
(EIN SCHWEIGEN entsteht zwischen beiden. Sie stehen lautlos in der weißen Stille und spähen hinaus. Von ferne tönt der Wachtruf »Simson über sie« ganz undeutlich zuerst, dann näher gesprochen von den unsichtbaren Wachen »Simson über sie« und nun ganz deutlich heran von den nächsten Posten. Auch die Krieger wiederholen laut den Ruf »Simson über sie«, und man hört ihn die unsichtbare Runde der Mauer weiterlaufen und vertönen. Es wird wieder ganz still, ehern stehen die Gestalten mit verschattetem Gesicht im blanken Mondglanz. Schweigen.)
DER ZWEITE KRIEGER:
Weißt du etwas von den Chaldäern?
DER ERSTE KRIEGER:
Unsere Feinde sind sie, das weiß ich, und wollen wider unsere Heimat.
DER ZWEITE KRIEGER:
Nicht dies meine ich. Ich frage dich, hast du ihrer je einen gesehn, kennst du ihre Sitten und Lande?
DER ERSTE KRIEGER:
Grausam sind sie wie wilde Katzen und heimtückisch wie die Schlangen, hat man mir gesagt, und sie werfen ihre Kinder in Götzensteine von Kupfer und Blei. Doch nie habe ich ihrer einen gesehen.
DER ZWEITE KRIEGER:
Ich auch nicht. Es türmen sich viel Hügel zwischen Babel und Jerusalem, Flüsse fahren dazwischen und mehr des Lands, als einer in Wochen durchschritte. Selbst die Sterne stehen anders über ihren Häupten und unsern, und doch sind sie wider uns und wir wider sie. Was begehren sie von uns? Wenn ich einen fragete von ihnen, er wüßte wohl nur zu sagen, daß ein Weib seiner wartet zu Hause und Kinder auf der Streu wie in meinem. Ich glaube, wenn ich redete mit einem, wir verstünden uns. Weißt du, manchmal lockt es mich, die Hand zu heben und einen zu rufen, daß wir redeten Herz zu Herz.
DER ERSTE KRIEGER:
Das darfst du nicht.
DER ZWEITE KRIEGER:
Warum darf ich das nicht?
DER ERSTE KRIEGER:
Sie sind unsere Feinde, wir müssen sie hassen.
DER ZWEITE KRIEGER:
Warum muß ich sie hassen, wenn mein Herz nicht weiß um diesen Haß?
DER ERSTE KRIEGER:
Sie haben den Krieg begonnen, in unsern Frieden sind sie gefahren.
DER ZWEITE KRIEGER:
Die in Jerusalem sagen das so. Doch vielleicht auch sagen sie das gleiche in Babel. Wenn man redete miteinander, man würde vielleicht klar.
DER ERSTE KRIEGER:
Du darfst nicht reden mit ihnen. Wir müssen sie schlagen, so ist uns befohlen, wir müssen gehorchen.
DER ZWEITE KRIEGER:
Ich weiß es mit meinen Sinnen, daß ich nicht darf, und fasse es doch nicht mit meiner Seele. Wem dienen wir mit ihrem Tod?
DER ERSTE KRIEGER:
Was fragst du, Einfältiger? Dem Könige dienen wir und unserm Gott.
DER ZWEITE KRIEGER:
Aber Gott hat gesagt und es stehet geschrieben: »Du sollst nicht töten.« Wer weiß, wenn ich mein Schwert nähme und würfe es fort, ich diente ihm wahrhafter denn mit der Feinde Blut.
DER ERSTE KRIEGER:
Aber es stehet auch in den Büchern: »Aug um Auge, Zahn um Zahn.«
DER ZWEITE KRIEGER (seufzend):
Viel steht in der Schrift. Wer mag alles verstehen?!
DER ERSTE KRIEGER:
Ein Grübler bist du. Um unsere Stadt drängen sie und wollen ihre Häuser brennen, und hier stehe ich mit Schwert und Speer, ihnen zu wehren. Mehr des Wissens ist ungut. Ich will nicht mehr wissen.
DER ZWEITE KRIEGER:
Aber ich frage…
DER ERSTE KRIEGER (hart):
Du sollst nicht so viel fragen. Krieger sind wir und müssen kämpfen, nicht fragen. Was grübelst du, statt dich zu härten?
DER ZWEITE KRIEGER:
Wie soll ich nicht fragen, wie soll mein Herz ohne Unruh sein in dieser Stunde? Weiß ich denn, wo ich stehe und wie lang ich noch wache? Dies Dunkle hier unter der Mauer, wo der Stein hinbröckelt und fällt, vielleicht ist es morgen mein Grab, und der Wind, der mir jetzt um die Wange fährt, vielleicht findet er mich morgen nicht mehr. Wie soll ich nicht fragen, da ich lebendig bin, um mein Leben? Die Flamme zuckt auf und windet sich, ehe der Docht lischt ins Dunkel, wie sollte das Leben sich nicht heben zur Frage, ehe es lischt in den Tod? Vielleicht ist es schon der Tod in mir, der so fraget und nicht das Leben mehr.
DER ERSTE KRIEGER:
Du grübelst zu viel. Nichts nützt es und quält nur.
DER ZWEITE KRIEGER:
Gott hat uns das Herz aufgetan, daß es sich quäle.
DER ERSTE KRIEGER:
Was hilft es dann zu reden? Wir haben Wache, mehr mag ich nicht wissen.
DER ZWEITE KRIEGER:
Das Reden hält wach, und es hörens nur die Sterne.
(EIN SCHWEIGEN wieder zwischen beiden.)
DER ZWEITE KRIEGER:
Was kommt da? Vom Dunkel schleicht es heran.
DER ERSTE KRIEGER:
Wieder Müßiggänger! Sie sollen schlafen des Nachts. Jag sie heim!
DER ZWEITE KRIEGER:
Nein! Laß sie reden und tritt ins Dunkel. Laß uns hören, was sie reden. Es scheucht den Schlaf von den Lidern, die Stimme der Menschen zu hören. Tritt zurück in den Schatten!
DER ERSTE KRIEGER:
Ein Sonderbarer bist du! Ich schreite die Runde!
(DIE BEIDEN KRIEGER treten zurück in den Schatten des Mauerturmes. Ihre Gestalten verschwinden in dem tiefen Dunkel, das mit scharfer Schattenschneide gegen die vom Mondlicht überflutete Mauer grenzt. Nur ihre Lanzen funkeln manchmal leise hervor.) (JEREMIAS UND BARUCH steigen aus dem Dunkel der Tiefe zur Mauer empor, Jeremias hastig voran, Baruch mühsam seiner Erregung folgend. Der Krieger steht – von ihnen ungesehen – im Schatten wie aus Erz