Du reisest mich aus einer großen Sorge, indem du mir bessere Nachrichten von deiner Mutter giebst; ich sah dich schon vor meiner Abreise so unruhig ihretwegen, daß ich nicht wagte, dir zu sagen, was ich von ihrem Zustande dächte, aber ich fand sie abgezehrt, verändert und fürchtete eine gefährliche Krankheit. Erhalte sie mir, weil sie mir theuer ist, weil ich sie von Herzen ehre, weil auf ihre Güte meine einzige Hoffnung gebaut ist und vorzüglich, weil sie die Mutter meiner Julie ist.
Ueber die beiden Bräutigame will ich dir sagen, daß mir dies Wort unangenehm ist, selbst im Spaße; übrigens verscheucht mir der Ton, in welchem du von ihnen sprichst, jede Furcht und ich hasse die Armen nun nicht mehr, da du sie zu hassen glaubst. Aber ich bewundere deine Unschuld, daß du von Haß zu wissen meinst; siehst du denn nicht, daß es nur die erzürnte Liebe ist, was du für Haß hältst? So murrt das weiße Täubchen, dessen Geliebten man verfolgt. Geh, Julie, geh, unvergleichliches Mädchen; wenn du wirst hassen können, werde ich aufhören können, dich zu lieben.
N. S. Wie bedauere ich dich, daß du von diesen beiden Ueberlästigen belagert bist. Um der Liebe deinerselbst willen, mach' und schicke sie eilends fort.
Zwanzigster Brief.
Von Julie.
Mein Freund! ich habe Herrn von Orbe ein Päckchen zugestellt, welches er sich anheischig machte, dir unter Adresse des Herrn Silvestre zu schicken, wo du es also abholen kannst; aber ich mache dich darauf aufmerksam, daß du es erst öffnest, wenn du allein und auf deinem Zimmer bist; du wirst etwas zum Gebrauche für dich darin finden.
Es ist eine Art Amulet, das Liebende gern tragen. Die Art, wie man es gebraucht, ist wunderlich: man muß es alle Morgen eine Viertel Stunde lang betrachten, bis man sich von einer Art Wohl- und Wehgefühl durchdrungen fühlt; alsdann applicirt man es auf seine Augen, auf seinen Mund und auf sein Herz: es soll so als Präservativ, sagt man, auf den ganzen Tag wider die böse Luft des galanten Landes dienen. Man mißt dieser Art Talisman auch noch eine sehr merkwürdige elektrische Tugend bei, die aber nur unter treuen Liebenden zur Wirkung kommt, nämlich daß er auf mehr als hundert Meilen weit dem Einen die Küsse des Anderen zuführt. Ich stehe nicht für den Erfolg des Experiments, ich weiß nur, daß er lediglich von dir abhängt.
Beruhige dich über die beiden Freier oder Bewerber oder wie du sie sonst genannt haben willst, denn der Name thut nichts mehr zur Sache, Sie sind fort. Mögen sie in Frieden hingehen; seit ich sie nicht mehr sehe, hasse ich sie nicht mehr.
Einundzwanzigster Brief.
An Julie.
Du hast es gewollt, Julie; ich muß sie dir also schildern, diese liebenswürdigen Pariserinnen! Stolze! diese Huldigung fehlte deinen Reizen noch. Mit aller deiner erheuchelten Eifersucht, mit deiner Bescheidenheit und deiner Liebe, sehe ich doch, daß es mehr Eitelkeit als Furcht ist, was sich unter dieser Neugier versteckt. Gleich viel, ich werde wahr sein: ich kann es sein, und würde es noch lieber sein, wenn ich mehr zu loben hätte. Warum sind sie nicht hundertmal reizender? warum nicht reizend genug, um deinen Triumph zu erhöhen?
Du beklagtest dich über mein Schweigen! Mein Gott, was hätte ich dir sagen sollen? Indem du diesen Brief liesest, wirft du begreifen, warum ich dir mit Freuden von deinen Nachbarinnen, den Walliserinnen erzählte, und warum ich von den Frauen hier zu Lande Nichts sagte. Die einen erinnerten mich nämlich unablässig an dich und die anderen .... Lies, und dann urtheile! Uebrigens denken über die französischen Damen wenige Leute wie ich, wenn ich auch mit meiner Meinung nicht ganz und gar allein stehe. Dies muß ich der Billigkeit wegen im Voraus sagen, damit du wissest, daß ich sie dir darstelle, nicht vielleicht wie sie sind, sondern wie ich sie sehe. Dessen ungeachtet wirst du, wenn ich ungerecht gegen sie bin, nicht verfehlen, mich wieder auszuschelten und wirst damit noch weit ungerechter sein, als ich, weil die Schuld ganz an dir allein liegt.
Zuerst das Aeußere; daran pflegen sich ja die meisten Beobachter zu halten. Wenn ich ihnen hierin nachahmte, würden sich die Frauen von hier zu sehr zu beklagen haben; sie haben ein Aeußeres sowohl von Charakter als von Gesicht, und da das eine ihnen nicht viel günstiger ist als das andere, so thut man ihnen Unrecht, wenn man sie nur danach beurtheilen will. Sie sind höchstens leidlich hübsch und im Allgemeinen eher übel als nicht übel: ich lasse die Ausnahmen bei Seite. Sie sind mehr unbedeutend als schön von Figur, haben keine feine Taille, hängen sich auch gern an Moden, welche diese verdecken; in diesem Punkte finde ich daher die Frauen von anderwärts recht einfältig, wenn sie Moden nachäffen, die zum Verbergen von Fehlern erfunden sind, die sie gar nicht haben.
Ihr Gang ist leicht und gewöhnlich; ihre Haltung ungeziert, weil sie sich nicht gern Zwang anthun; aber sie haben von Natur eine gewisse disinvoltura [Disinvoltura ital., „Ungezwungenheit,“ „ungezwungener Anstand.“ D. Ueb.], der es gar nicht an Grazie gebricht, und die sie oft geflissentlich bis zur Leichtfertigkeit treiben. Ihre Gesichtsfarbe ist mäßig weiß; sie sind gewöhnlich etwas mager, was nicht dazu dient, ihre Haut zu verschönen. Hinsichts des Halses ist es hier gerade das Gegentheil vom Wallis, Sehr schmal gebaut suchen sie über die Formfülle den Blick zu täuschen, ebenso durch andere Mittel über die Farbe. Obgleich ich das Alles nur sehr von ferne gesehen habe, ist doch der Einblick frei genug, daß wenig zu errathen übrig bleibt. Diese Damen scheinen hierin ihr Interesse schlecht zu verstehen, denn wenn nur das Gesicht angenehm ist, so würde die Einbildungskraft des Beschauers Ihnen übrigens bessere Dienste leisten als seine Augen, und, um mit dem Goscogner Philosophen [Montaigne. (S, Buch 3, Cap. 5.) D. Ueb.] zu reden, der ganze Hunger ist viel gieriger als der, welcher schon wenigstens mittelst Eines Sinnes gesättigt ist.
Ihre Züge sind nicht sehr regelmäßig; aber, wenn auch nicht schön, haben sie doch das im Gesichte, was so viel als Schönheit und oft mehr ist. Ihre lebhaften und glänzenden Augen sind jedoch weder eindringend noch sanft. Wiewohl sie ihnen mit dem Roth mehr Leben zu verschaffen meinen, gewinnen sie dabei doch nur einen Ausdruck, der mehr von dem Feuer des Zornes hat, als von dem der Liebe. Von Natur haben ihre Augen nur etwas Munteres; aber, wenn sie auch manchmal ein zärtliches Gefühl zu verlangen scheinen, verheißen sie es doch nie [Sprechen wir hübsch nur in unserem Namen, lieber Philosoph! Warum könnten Andere nicht glücklicher sein? Nur eine Kokette verheißt aller Welt, was sie nur Einem halten darf.].
Sie ziehen sich so gut an, oder wenigstens haben dafür so sehr den Ruf, daß sie hierin, wie in Allem, dem übrigen Europa zum Muster dienen. In der That, man kann sich nicht mit mehr Geschmack wunderlich kleiden. Sie sind von allen Frauen am wenigsten Sklavinnen ihrer eigenen Moden. Die Mode beherrscht die Frauen in der Provinz; die Pariserinnen beherrschen die Mode, und wissen sie so zu wenden, wie sie ihnen am vortheilhaftesten steht. Die ersteren sind wie unwissende und sklavische Copisten, die Alles bis auf die orthographischen Fehler nachschreiben; die letzteren sind Schriftsteller, die als Meister copiren und die schlechten Lesarten zu verbessern wissen.
Ihr Putz ist mehr gewählt als prachtvoll, es herrscht darin mehr Eleganz als Reichthum. Die große Veränderlichkeit der Mode, die von einem Jahr zum andern veraltet, die Sauberkeit, der zu Liebe sie ihren Anzug häufig wechseln, dies Alles bewahrt sie vor lächerlichem Prachtaufwand; sie wenden nicht weniger