Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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Saint-Saphorin [Eine Familie aus dem Wallis. Von dem hier genannten Herrn von Saint-Saphorin (der vermuthlich die diplomatische Karriere gemacht hat) ist nichts weiter bekannt. D. Ueb.] in Wien gemacht hat? Wenn du das Ziel in Betracht nimmst, wird nicht der Erfolg um so eher zu erwarten sein, je schleuniger du Versuche machst? Wenn du die Mittel vergleichst, ist es nicht noch anständiger, sich durch seine Talente zu befördern als durch seine Freunde? Wenn du bedenkst …. ach, dieses Meer!.... eine längere Ueberfahrt …. Ich würde England lieber haben, wenn Paris auch drüben wäre.

      Bei Gelegenheit dieser großen Stadt darf ich wohl eine Affectation hervorheben, die ich in deinen Briefen bemerke? Du hast mir mit so vielem Vergnügen von den Walliserinnen erzählt, warum sagst du nichts von den Pariserinnen? Verdienen diese galanten und berühmten Frauen weniger eine Schilderung als ein Paar einfältige Gebirgsdirnen? Fürchtest du vielleicht, mir Unruhe zu machen, wenn du mir ein Gemälde von den verführerischesten Personen der Welt entwirfst? Täusche dich nicht, mein Freund! das Schlimmste für meine Ruhe, was du thun kannst, ist, nicht von ihnen zu sprechen, und was du mir auch sagen könntest, dein Stillschweigen über sie ist mir viel verdächtiger als dein Lob sein würde.

      Ich würde mich auch freuen, ein Wörtchen über die Pariser Oper zu vernehmen, von der man hier Wunder sagt [Ich würde eine sehr schlechte Meinung von Denen haben, welche, mit Juliens Charakter und Situation bekannt, nicht Augenblicks erriethen, daß diese Neugier nicht von ihr ausgeht. Man wird bald sehen, daß ihr Liebhaber sich darüber nicht täuscht; wäre das, so wäre klar, daß er sie nicht mehr liebte.]; denn im Grunde, wenn auch die Musik schlecht ist, kann doch die Aufführung ihre Schönheiten haben; wo nicht, ist es wieder ein Gegenstand für deine Schmählust, wobei du wenigstens Niemanden beleidigen wirst.

      Ich weiß nicht, ob es der Mühe werth ist, dir zu sagen, daß mir bei Gelegenheit der Hochzeit in den letztvergangenen Tagen zwei Bräutigame zugleich, als ob sie sich bestellt hätten, zugeflogen sind, der eine von Yverdun, von Schloß zu Schloß einsprechend und jagend, der andere aus dem deutschen Land, mit der Berner Kutsche. Der erstere ist eine Art Petit-maitre, der seine Worte sehr kurz und prall hinwirft, damit diejenigen, welche nichts als den Klang davon hören, sie für geistreich halten sollen; der andere ist ein äußerst verlegener schüchterner Tropf, nicht von jener liebenswürdigen Schüchternheit, die von der Furcht zu mißfallen herrührt, sondern von der Verlegenheit eines Dummkopfs, der nicht weiß, was er reden soll und dem Unbehagen eines Wüstlings, der sich einem anständigen Mädchen gegenüber nicht an seinem Platze fühlt. Da ich die Absichten meines Vaters in Betreff dieser beiden Herren sehr bestimmt weiß, so mache ich mit Vergnügen von der Freiheit Gebrauch, die er mir läßt, sie nach meiner Laune zu behandeln und ich denke nicht, daß gegen diese Laune jene, die die Herren hergeführt hat, lange Stich halten wird. Ich hasse sie, daß sie auf ein Herz, in welchem du herrschest, Angriffe wagen, ohne Waffen, um es dir streitig zu machen; hätten sie deren, würde ich sie noch mehr hassen; aber woher sollten sie sie nehmen, sie, und Andere, und alle Welt? Nein, nein, sei ruhig, mein liebenswürdiger Freund! wenn ich ein Wesen fände, das sich mit dir vergleichen könnte, wenn sich dein zweites Selbst mir vorstellte, würde doch der zuerst Gekommene der einzige bleiben, der Gehör findet. Mache dir also keine Unruhe um diese beiden Subjecte, von denen ich es kaum der Mühe werth finde, dir etwas zu sagen. Was für eine Lust wäre es mir, könnte ich ihnen zwei Dosen Ekel so vollkommen gleich einrühren, daß sie den Entschluß faßten, zusammen abzureisen, wie sie gekommen sind, und daß ich dir Beider Abreise zugleich melden könnte!

      Herr von Crouzas hat uns mit einer Refutation der Episteln Pope's beschenkt, und ich habe mich damit gelangweilt. Ich weiß nicht, die Wahrheit zu sagen, wer von Beiden Recht hat, aber das weiß ich, daß das Buch des Herrn von Crouzas mich nie zu etwas Gutem anregen wird, während es nichts Gutes giebt, wozu man nicht Lust in sich spürte, wenn man Pope aus der Hand legt. Ich für mein Theil habe keine andere Methode, die Bücher, welche ich lese, zu beurtheilen, als daß ich auf die Stimmung achte, welche sie in meiner Seele zurücklassen, und ich kann mir gar nicht denken, was an einem Buche Gutes sein kann, das nicht seine Leser zum Guten leitet [Wenn der Leser diesen Maßstab gut findet, so gebrauche er ihn zur Beurtheilung dieser Sammlung; der Herausgeber wird gegen seinen Spruch keine weitere Berufung einlegen.].

      Adieu, mein allzulieber Freund; ich habe gar nicht Lust, so rasch aufzuhören, aber man erwartet mich, man ruft nach mir. Ich scheide ungern von dir, denn ich bin heiter und theile meine Freude so gern mit dir. Was sie belebt und steigert, ist, daß sich meine Mutter seit einigen Tagen besser befindet; sie hat sich kräftig genug gefühlt, um der Hochzeit beizuwohnen und bei ihrer Nichte oder vielmehr zweiten Tochter Mutterstatt einzunehmen. Die gute Clara hat vor Freuden darüber geweint; nun denke dir mich, die ich so wenig verdiene, daß sie mir erhalten bleibe und immer zittere, sie zu verlieren. In der That, sie macht die Honneurs bei dem Feste mit so viel Grazie, wie bei ihrer vollkommensten Gesundheit; ein Rest von Schwäche scheint ihrer ungesuchten Höflichkeit nur etwas noch Rührenderes zu geben. Nein, nie war die einzige Frau so gut, so bezaubernd, so anbetungswürdig .... Weißt du, daß sie sich bei Herrn von Orbe mehrmals nach dir erkundigt hat? Obgleich sie mit mir nicht von dir spricht, weiß ich doch recht gut, daß sie dich lieb hat, und daß, wenn sie je Gehör fände, dein und mein Glück ihr erstes Werk sein würde. Ach, wenn dein Herz der Dankbarkeit fähig ist, wie dankbar muß es sein und welche Schulden hat es abzutragen!

      Neunzehnter Brief.

       An Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Schilt mich, meine Julie, straf' mich, schlage mich, ich werde Alles leiden, aber ich werde nichtsdestoweniger fortfahren, dir Alles zu sagen, was ich denke. Wo soll ich alle meine Empfindungen niederlegen, wenn nicht bei dir, die du sie verklärst? Gegen wen würde mein Herz sich auszusprechen wagen, wenn du ihm kein Gehör mehr schenken wolltest? Wenn ich dir Rechenschaft ablege über meine Beobachtungen und Urtheile, so geschieht dies, damit du sie berichtigst, nicht damit du sie billigst; und je mehr ich in Irrthümer verfallen kann, desto mehr muß ich mich beeilen, dich von Allem in Kenntniß zu setzen. Wenn ich die Mißbräuche tadle, die sich mir in dieser großen Stadt aufdrängen, so will ich mich nicht damit entschuldigen, daß ich nur mit dir im Vertrauen darüber rede, denn ich sage nie etwas über einen Dritten, was ich nicht bereit wäre, ihm in's Gesicht zu sagen, und in Allem, was ich dir über die Pariser schreibe, wiederhole ich nur, was ich ihnen selbst alle Tage sage. Sie nehmen es mir nicht übel; sie geben Vieles zu, Sie beklagten sich über unseren Muralt, das glaube ich gern; man sieht, man fühlt, wie er sie haßt, selbst in dem Lobe, das er ihnen ertheilt, und ich müßte mich sehr irren, wenn man bei mir, selbst in meinem Tadel, nicht das Gegentheil bemerken sollte. Die Achtung und Erkenntlichkeit, welche mir ihre Güte gegen mich abgewinnt, vergrößern nur meine Freimüthigkeit: sie mag Manchem nicht unnütz sein, und nach der Art, wie Alle die Wahrheit in meinem

      Munde aufnehmen, getraue ich mir zu glauben, daß wir würdig sind, sie zu hören und ich, sie zu sagen. Hier wenigstens, meine Julie, ist die Wahrheit im Tadeln ehrenvoller als die Wahrheit im Loben; denn das Lob dient nur dazu, diejenigen, die es schmecken, zu verderben und die es am wenigsten verdienen, sind immer am gierigsten danach, aber der Tadel ist nützlich und nur das Bewußtsein des eigenen werthes kann ihn ertragen. Ich sage es dir aus dem Grunde meines Herzens, ich ehre das französische Volk als das einzige, welches wahrhaft die Menschen liebt und von Charakter wohlthätig ist, aber eben deshalb bin ich weniger geneigt, ihm die allgemeine Bewunderung zuzugestehen, die es selbst auch für seine eingestandenen Fehler in Anspruch nimmt. Wenn die Franzosen keine Tugenden besäßen, so würde ich Nichts sagen; wenn sie keine Laster hätten, würden sie keine Menschen sein; sie haben zu viele lobenswerthe Seiten, um immer gelobt zu werden.

      Was die Versuche betrifft, von denen du sprichst, so sind sie für mich nicht thunlich, weil ich sie nicht machen könnte, ohne Mittel in Bewegung zu setzen, die mir nicht anstehen und die du selbst mir untersagt hast. Republikanische Sittenstrenge ist nicht wohl angebracht hier zu Lande; es bedarf da biesamerer tugenden, die sich besser den Interessen der guten Freunde oder Gönner anzuschmiegen wissen. Man schätzt hier die Fähigkeit, ich gebe es zu, aber die Gaben, welche zu gutem Rufe führen, sind hier nicht dieselben, mit denen