Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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des Verdienstes und der Tugend; sie kann nimmer vergehen in einer unsterblichen Seele; sie braucht die Stütze der Hoffnung nicht mehr und nimmt aus der Vergangenheit Kraft genug für eine ewige Zukunft.

      Aber du, Julie, du, die du einst lieben konntest, wie hat es dein zärtliches Herz verlernt, zu leben? Wie hat das heilige Feuer erlöschen können in deiner Seele? Wie hat sich deine Lust an jenen himmlischen Freuden, die nur du allein zu fühlen und zu spenden fähig bist, verlieren können? Du jagst mich ohne Erbarmen weg, du schickst mich in schmähliche Verbannung, giebst mich meiner Verzweiflung preis; und siehst nicht, siehst nicht in dem Wahne, der dich verwirrt, daß du, indem du mich elend machst, dir das Glück deines Lebens raubst! Ach, Julie, glaube nur, du wirst vergebens ein zweites Herz dem deinigen befreundet suchen: tausend ohne Zweifel werden dich anbeten, lieben konnte dich nur meines allein.

      Jetzt steh mir Rede, betrogene oder trügliche Geliebte, was ist geworden aus den Plänen, die du so geheim hieltst? wo sind sie hin, die eitelen Hoffnungen, mit denen du so oft meine leichtgläubige Einfalt kirrtest? Wo ist die geheiligte, die heißersehnte Verbindung, das süße Ziel so vieler heißen Seufzer, und womit deine Feder und dein Mund meinen Wünschen schmeichelte? Ach, ach; im Vertrauen auf deine Versprechungen war ich so kühn, den heiligen Namen Gattin auszusprechen, und dünkte mich schon den glücklichsten der Menschen. Sprich, Grausame, äfftest du mich nur deshalb so, damit mein Schmerz zuletzt desto heftiger und meine Demüthigung desto tiefer würde? Wodurch habe ich mein Unglück verschuldet? Habe ich es an Gehorsam, an Willfährigkeit, an Bescheidenheit fehlen lassen? Sahst du mich etwa so schwächlich begehren, daß ich den Laufpaß verdiente, oder sahst du mich etwa meine stürmischen Begierden über deinen gebietenden Willen stellen? Ich that Alles nur dir zu gefallen, und du verlässest mich! Du nahmst mein Glück in deine Hut, und du hast mich ins Verderben gestoßen! Gieb Rechenschaft, Undankbare, von dem Pfande, das ich dir vertraut habe; Rechenschaft von meinem Ich, nachdem du mein Herz irregeführt mit dieser Seligkeit über alle Seligkeit, die du mir gezeigt hast und dann raubst. Euch, ihr Engel des Himmels, hätt' ich um eure Luft nicht beneidet, ich wäre das glücklichste aller Geschöpfe gewesen .... O weh, und ich bin nichts mehr, ein Augenblick hat mir Alles genommen. Ich bin ohne Uebergang von dem Gipfel der Freude in ewiges Elend versunken: noch berühre ich das Glück, das mir entflieht …. berühre es noch und fort ist es auf ewig! .... Ach wenn ich glauben dürfte, wenn die Ueberreste einer eiteln Hoffnung …. O ihr Felsen von Meillerie, die mein wirres Auge so oft maß, warum habt ihr nicht meiner Verzweiflung gedient? Ich hätte an dem Leben weniger verloren, hätte ich weniger seinen Werth empfunden gehabt.

      Zweiter Brief.

       Milord Eduard an Clara.

       Inhaltsverzeichnis

      Wir sind soeben in Besançon angekommen und ich lasse es meine erste Sorge sein, Ihnen Bericht über unsere Reise zu geben. Sie ist, wenn auch nicht in aller Ruhe, doch wenigstens ohne Unfall abgelaufen und Ihr Freund befindet sich leiblich so wohl, als man es bei einem so kranken Herzen sein kann; er giebt sich sogar Mühe, äußerlich eine Art Ruhe zur Schau zu tragen. Er schämt sich seines Zustandes und thut sich vor mir große Gewalt an; Alles aber verräth seine innere Aufregung, und wenn ich mich so stelle, als merkte ich nichts davon, so thue ich das, damit ich ihn nicht hindere, sich selbst hindurchzukämpfen, und daß es einem Theile seiner Seelenkräfte überlassen bleibe, die Wirkung der anderen zu brechen.

      Er war den ersten Tag sehr gedrückt; ich kürzte die Tagereise ab, da ich sah, daß die Geschwindigkeit unserer Fahrt seinen Schmerz stachelte. Er sprach kein Wort mit mir, noch ich mit ihm; zudringliches Trösten kann schwere Trübsal nur verbittern. Gleichgültigkeit und Kälte finden leicht Worte, aber die wahre Sprache der Freundschaft in solchem Falle ist Traurigkeit und Schweigen. Ich bemerkte gestern die ersten Funken der Wuth, welche einer solchen Abspannung immer zu folgen pflegt. In unserem Mittagsquartiere waren wir kaum seit einer Viertelstunde angekommen, als er sich ungeduldig zu mir wendete. Warum machen wir nicht fort? sagte er mit bitterem Lächeln; warum bleiben wir ihr einen Augenblick so nahe? Am Abend strengte er sich an, viel zu sprechen, ohne Juliens mit einem Worte zu gedenken, er brachte Fragen, die ich schon zehnmal beantwortet hatte, immer wieder von Neuem vor. Er wollte wissen, ob wir schon auf französischem Boden wären, und gleich darauf fragte er, ob wir bald in Vevay sein würden. Das Erste, was er auf jeder Station thut, ist, daß er einen Brief anfängt, den er einen Augenblick nachher zerreißt oder zerknittert! Ich habe ein Paar von diesen Anfängen aus dem Feuer gerettet, an denen Sie den Zustand seiner Seele erkennen werden. Ich glaube jedoch, daß er auch noch einen ganzen Brief glücklich zu Stande gebracht hat.

      Die Heftigkeit, welche sich in diesem ersten Symptome verräth, ließ sich leicht voraussehen, aber was sie für Folgen haben und wie lange sie anhalten wird, vermag ich nicht zu sagen; denn das hängt von mancherlei zusammenwirkenden Ursachen ab, von dem Charakter des Menschen, von der Art seiner Leidenschaft, von Umständen, die zufällig eintreten, von tausend Dingen, die keine menschliche Klugheit vorherbestimmen kann. Ich hafte für Wuthausbrüche, nicht aber für alle Wirkungen der Verzweiflung, denn, was man auch thun möge, immer ist doch der Mensch Herr über sein Leben.

      Indessen schmeichle ich mir, daß er sich selbst und meine Dienste achten werde, und zwar mache ich mir dabei weniger auf den Eifer meiner Freundschaft, der zwar nicht gespart werden soll, als auf den Charakter seiner Leidenschaft und den seiner Geliebten Rechnung. Die Seele kann sich nicht lebhaft und lange mit einem Gegenstande beschäftigen, ohne Eindrücke von ihm anzunehmen und durch ihn bestimmt zu werden. Juliens außerordentliche Milde muß die Hitze der Glut, welche von ihr angefacht ist, mäßigen, und ebenso zweifle ich nicht daran, daß die Liebe eines so lebhaften Mannes auch ihr hinwieder ein wenig mehr Rührigkeit giebt, als ohne ihn von Natur ihr beiwohnen würde.

      Ich glaube auch auf sein Herz rechnen zu dürfen: es ist zu Kampf und Sieg geschaffen. Eine Liebe wie die seinige ist nicht sowohl eine Schwachheit, als eine unrecht angewendete Kraft. Wohl möglich, daß eine so heiße und unglückliche Liebe auf eine Zeit, vielleicht sogar auf immer, einen Theil seiner Fähigkeiten hinwegzehre; aber sie ist an sich selbst ein Beweis von der Güte derselben und von dem Vortheile, den er aus ihnen zum Anbau der Weisheit ziehen könnte; denn die erhabene Vernunft erhält ihre Nahrung aus derselben Kraft der Seele, welche auch die mächtigen Leidenschaften gebiert, und man kann der Philosophie nicht anders würdig dienen, als mit demselben Feuer, das man für eine Geliebte nährt.

      Sein Sie überzeugt, liebenswürdige Clara, daß ich nicht minderen Antheil als Sie an dem Schicksale dieses unglücklichen Paares nehme; nicht aus einem Gefühle von Mitleid, was vielleicht nur eine Schwachheit wäre, sondern in Betrachtung der natürlichen Ordnung und Gerechtigkeit, die da erheischen, daß Jeder die für ihn selbst und für die Gesellschaft vortheilhafteste Stellung einnehme. Diese beiden schönen Seelen gingen für einander bestimmt aus den Händen der Natur hervor; in süßer Vereinigung im Schooße des Glückes würden sie, bei der Freiheit, ihre Kräfte zu entfalten und ihre Tugenden auszuüben, der Welt mit ihrem Beispiele vorgeleuchtet haben. Warum muß nun ein unsinniges Vorurtheil die ewigen Bestimmungen umstoßen und die Harmonie denkender Wesen zerreißen? Warum soll der Dünkel eines hartherzigen Vaters so das Licht unter den Scheffel stellen, und unter Thränen sich härmen lassen zwei zärtliche, mildthätige Herzen, die dazu geschaffen sind, fremde Thränen zu trocknen? Ist nicht das eheliche Band das freieste ebenso wie das heiligste der Bande? Ja, alle Gesetze, welche es verengen, sind ungerecht; alle Väter, welche es zu knüpfen oder zu zerreißen wagen, sind Tyrannen. Dieses keusche Band der Natur kann weder einer oberherrlichen Macht noch der väterlichen Gewalt unterworfen sein, sondern nur dem Willen des Vaters unser Aller, der die Herzen zu lenken weiß, und, indem er ihnen gebietet, sich zu vereinigen, sie dazu zwingen kann, sich zu lieben. [In manchen Ländern wird bei den Verheirathungen so sehr nur auf Stand und Vermögen gesehen, statt die Natur und die Herzen zu Rathe zu ziehen, daß nichts weiter nöthig ist als der Mangel jener ersteren beiden, um die glücklichsten Verbindungen zu verhindern oder auch zu brechen, ohne Rücksicht auf die verlorene Ehre der unglücklichen Mädchen, welche täglich diese, abscheulichen Vorurtheilen geopfert werden. Ich habe einen berühmten Prozeß beim Parlamente von Paris verhandeln sehen, in welchem die Standesehre öffentlich