Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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welche ich ihm von deiner Seite zuzustellen hatte. Er schien von diesem Anerbieten weder beleidigt, noch geneigt es sich zu Nutze zu machen. Er sagte einfach, du wüßtest wohl, daß ihm nichts von dir käme, was er nicht mit Entzücken annähme, aber deine Vorsicht wäre überflüssig, durch den Erlös von einem kleinen Eigenthume in Granson, welches ihm von seinem geringen Erbgute noch geblieben war, und welches er verkauft hatte, [Ich begreife nicht recht, wie dieser Anonyme Liebhaber, der, wie man weiterhin sehen wird, noch nicht vierundzwanzig Jahre alt war, ein Haus verkaufen konnte, ohne majorenn zu sein. Diese Briefe sind aber so voll von dergleichen Unwahrscheinlichkeiten, daß ich nichts weiter darüber bemerken will: genug, ich habe darauf aufmerksam gemacht.] wäre er reichlicher mit Gelde versehen als je in seinem Leben. Uebrigens, setzte er hinzu, besitze ich manche Fertigkeit, wovon ich mich überall ernähren kann. Es wird nur ein Glück für mich sein, sie gebrauchen zu müssen, da ich vielleicht ein wenig dadurch von meinen Leiden abgezogen werde; da ich in größerer Nähe gesehen habe, welche Anwendung Julie von ihren Ueberschüssen macht, betrachte ich dieses Geld wie den geheiligten Schatz der Witwe und der Waise, dem ich um der Menschlichkeit willen nichts entziehen darf. Ich rief ihm seine Reise nach dem Wallis ins Gedächtniß, deinen Brief und die Gemessenheit deines Befehls. Es walten, sagte ich, die nämlichen Gründe ob …. Die nämlichen? Unterbrach er mich mit dem Tone des Unwillens. Die Strafe für meine Weigerung war, sie nicht wieder zu sehen: lasse sie mich bleiben, und ich nehme ihr Geld an. Wenn ich gehorche, warum mich bestrafen? Wenn ich nicht gehorche, was kann mir denn Schlimmeres geschehen? ….

      Die nämlichen? Wiederholteer mit dem Tone der Ungeduld. Unsere Verbindung war im Beginnen, jetzt ist sie im Begriffe zu enden; vielleicht gehe ich, um von ihr auf ewig getrennt zu sein; es ist nichts mehr gemein zwischen ihr und mir; wir werden ja nun Fremde für einander sein. Er sprach diese letzten Worte so gepreßt aus, daß ich mir so schwer geworden war, ihn zu reitzen, Sie sind ein Kind, sagte ich mit angenommenen Lächeln, Sie müssen noch einen Vormund haben, und ich will es sein. Ich werde das behalten, und um in dem Verkehre, in welchem wir mit einander stehen werden, zweckmäßig darüber verfügen zu können, will ich von Ihren Angelegenheiten genau unterrichtet sein. Ich suchte ihn so von seinen schlimmen Gedanken durch den Gedanken an einen vertraulichen Briefwechsel zwischen uns abzulenken, und diese schlichte Seele, die sich immer nur an alles was dich umgiebt, so zu sagen, anzuhaken sucht, ließ sich leicht dadurch kirren. Wir verabredeten dann die Adressen, und da ihm diese Veranstaltung nur angenehm sein konnte, so zog ich die Unterhandlung darüber so lange hin, bis Herr von Orbe kam, der mir ein Zeichen gab, daß alles fertig sei.

      Dein Freund begriff leicht, um was es zu thun war: er bat inständigst, daß wir ihm noch an dich schreiben ließen, aber ich habe mich wohl gehütet, es zu erlauben. Ich sah voraus, daß er zu weich werden, und daß es, wenn er kaum bis zur Hälfte seines Briefes gelangt wäre, nicht mehr möglich sein würde, ihn zur abreise zu bewegen. Jeder Aufschub, sagte ich ihm, ist gefährlich; beeilen sie sich die erste Station zu erreichen, von wo sie ihr dann in aller Muße schreiben können. Bei diesen Worten trat ich zu ihm, indem ich zugleich Herrn von Orbe einen Wink gab, indem mir das Herz von Schluchzen schwoll, und preßte mein Gesicht auf das seinige; ich weiß nicht, was weiter mit ihm geschehen ist; die Thränen verdunkelten mir das Gesicht, mein Kopf fing an zu schwindeln und es war Zeit, daß meine Rolle endete ….

      Einen Augenblick darauf hörte ich sie schnell die Treppe hinabsteigen. Ich ging hinaus an die Treppe, um ihnen mit den Augen zu folgen. Dieser letzte Zug fehlte mir noch zu meiner Verstörung; ich sah den Unsinnigen sich mitten auf der Treppe niederwerfen, tausendmal die Stufen küssen, und wie Orbe Mühe hatte, ihn von den kalten Steinen aufzureißen, gegen die er, lange Seufzer aushauchend, Leib, Kopf, Arme drückte. Ich fühlte mich nahe daran, mit einzustimmen, und zog mich hastig zurück, um nicht dem ganzen Hause einen Auftritt zu geben.

      Einige Augenblicke später kam Herr von Orbe zurück, mit dem Taschentuch vor den Augen. Es ist gethan, sagte er, sie sind unterwegs. Als er vor sein Haus kam, fand Ihr Freund die Chaise bereit stehen; Milord Eduard erwartete ihn; er sprang ihm entgegen und preßte ihn an seine Brust. „Komm, Unglücklicher!" rief er mit tiefbewegter Stimme; „komm, schütte deine Schmerzen in dieses Herz, das dich liebt. Komm, du empfindest vielleicht noch einst, daß man nicht Alles verloren hat, wenn man noch einen Freund besitzt wie mich." Im Augenblicke hob er ihn mit kräftigem Arme in die Chaise und sie fuhren ab, einander in den Armen liegend.

      Zweite Abtheilung.

       Inhaltsverzeichnis

      Erster Brief.

       An Julie.

       Inhaltsverzeichnis

       [Ich brauche wohl kaum anzumerken, daß in dieser zweiten und in der folgenden Abtheilung die beiden von einander getrennten Liebenden nur hin und herphantasiren; ihr armer Kopf ist ganz hin.]

      Ich habe die Feder hundertmal ergriffen und wieder weggeworfen, ich stocke beim ersten Worte, ich weiß nicht, wie ich den rechten Ton finden, weiß nicht, womit ich anfangen soll. Und schreibe an Julie. Ach, ich Armer! Wohin ist es mit mir gekommen! Die Zeit ist also nicht mehr, wo tausend köstliche Gefühle meiner Feder wie ein unversieglicher Strom entquollen! Jene süßen Augenblicke der Hingebung, der Herzergießung sind dahin, wir gehören einander nicht mehr an, sind nicht mehr die Nämlichen, ich weiß nicht mehr, an wen ich schreibe. Werden Sie denn meine Briefe annehmen wollen? Werden Ihre Augen sie durchlaufen wollen? Werden sie Ihnen zurückhaltend genug und bedächtig genug scheinen? Darf ich in ihnen noch die alte vertrauliche Weise beibehalten? Darf ich noch von einer Liebe reden, die erloschen oder verschmäht ist? Und bin ich nicht weiter zurück als an dem ersten Tage, da ich Ihnen schrieb? Welcher Abstand, o Himmel, von jenen reizenden, süßen Tagen, zu diesem grauenvollen Elende! O Schmerz! ich fing an zu sein und ich bin in das Nichts zurückgeschaudert; die Hoffnung, zu leben, beseelte mein Herz, ich habe nichts mehr vor mir als das Bild des Todes; und mit diesem Zeitraume von drei Jahren ist der Glückskreis meiner Tage geschlossen. O warum habe ich ihnen nicht ein Ende gemacht, bevor ich mich selbst überlebte; warum bin ich nicht meinen Ahnungen gefolgt nach jenen kurzen Augenblicken der Wonne, da ich nichts mehr im Leben vor mir sah, was ihm noch ferner hätte Werth geben können! Ja gewiß, auf diese drei Jahre hätte es sich beschränken, oder sie selbst hätten seinen Lauf nicht unterbrechen müssen; es wäre besser gewesen, nie das Glück zu schmecken, als es zu schmecken, um es zu verlieren. Wenn ich diesen verhängnißvollen Zeitraum übersprungen hätte, wenn ich jenen ersten Blick vermieden hätte, der mir eine neue Seele schuf, so würde ich jetzt noch den Gebrauch meiner Vernunft haben, würde meine menschlichen Pflichten erfüllen, würde vielleicht mit mancher Tugend meinen kahlen Weg bestreuen. Ein Augenblick der Verirrung hat Alles geändert. Mein Auge wagte zu betrachten, was es nimmer hätte sehen sollen; dieses Anschauen hat zuletzt seine unausbleibliche Wirkung gehabt. Nachdem ich mich von Stufe zu Stufe mehr mir selbst entfremdet, bin ich jetzt nur noch ein Wüthender, ohne Besinnung, ein feiger Sklave ohne Kraft und Muth, der in Schmach seine Kette und seine Verzweiflung hinschleppt.

      Eitele Ausgeburten eines wüst gewordenen Hirnes! trügerische Sehnsuchtsträume, die das Herz, das sie gebildet, im Augenblicke nachher verwirft! Was nutzt es, für wirkliche Leiden eingebildete Heilmittel auszudenken, die, wenn sie angeboten würden, verworfen werden müßten? Ach! Wer wird glauben, der die Liebe kennt und hat dich gesehen, daß noch ein Glück denkbar sei, welches ich um den Preis meiner ersten Gluten kaufen möchte? Nein, nimmer! Der Himmel behalte seine Wohlthaten und lasse mir mit meinem Elende das Gedächtniß meines vergangenen Glückes. Lieber, lieber die Freuden, die in meiner Rückerinnerung liegen, und dabei die Schmerzen, die mir die Seele zerreißen, als je ein Glück ohne meine Julie! Komm, angebetetes Bild, komm, fülle dieses Herz aus, das nur durch dich lebt; folge mir in meine Verbannung, tröste mich in meinem Jammer, entzünde wieder und ernähre die erloschene Hoffnung in meiner Brust. Ewig wird dieses unglückliche Herz dein Heiligthum sein, der unverletzliche Schrein, aus welchem dich weder das Schicksal noch die Menschen jemals werden reißen können. Wenn ich dem Glücke abgestorben bin, nicht bin ich es