Man sagt Ihnen nach, Milord, daß Sie eine schöne Seele und ein gefühlvolles Herz besäßen: wenn diese Sie in Frieden eine Rache schmecken lassen, von der ich keinen Begriff habe, und die süße Lust, Menschen unglücklich zu machen, möchten sie Sie, wenn ich nicht mehr sein werde, bewegen, einige Theilnahme den untröstlichen Eltern zu widmen, die der Verlust des einzigen Kindes, das ihnen noch übrig ist, in ewigen Gram versenken wird.
Neunundfünfzigster Brief.
Herr von Orbe an Julie.
Ich beeile mich, Mademoiselle, Ihrem Befehle gemäß, Ihnen Bericht zu erstatten über den Erfolg des Geschäftes, das Sie mir übertragen hatten. Ich komme von Milord Eduard, den ich noch an seiner Verrenkung leidend und unfähig gefunden habe, anders als mit Hülfe eines Stockes in seinem Zimmer auf und nieder zu gehen. Ich stellte ihm Ihren Brief zu, den er hastig öffnete: er schien mir bewegt, indem er ihn las: er sann einige Zeit nach; dann las er ihn zum zweiten Male in noch sichtbarerer Aufregung. Als er zu Ende war, sagte er mir folgende Worte: „Sie wissen, mein Herr, daß Ehrensachen ihre Regeln haben, von denen man nicht abgehen kann: Sie haben gesehen, was bei der gegenwärtigen sich zugetragen hat; sie muß in aller Form erledigt werden. Nehmen Sie zwei Freunde und bemühen Sie sich mit denselben morgen früh wieder zu mir her; Sie werden alsdann meinen Entschluß erfahren." Ich stellte ihm vor, daß es besser sein würde, da die Sache nur unter uns vorgegangen war, daß sie ebenso beendet würde. „Ich weiß, was sich gehört," antwortete er kurz, „und werde thun, was sein muß. Bringen Sie mir zwei Ihrer Freunde oder ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen." Damit bin ich hinweg gegangen, und habe mir vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, was dieser Sonderling für eine Absicht haben mag. Was es auch sei, ich werde heute Abend die Ehre haben, Sie zu sehen, und morgen thun, was Sie mir vorschreiben werden. Wenn Sie es angemessen finden, daß ich mich mit dem verlangten Geleite zu Milord Eduard begebe, so werde ich Personen wählen, deren ich für alle Fälle gewiß sein kann.
Sechzigster Brief.
An Julie.
Beruhige dich, zärtliche, geliebte Julie, und aus dem Berichte, den ich dir über das eben Vorgegangene geben werde, erkenne und theile die Gefühle, die es in mir erregt hat.
Ich war noch so voll Unwillen, als ich deinen Brief erhielt, daß ich ihn kaum mit der Aufmerksamkeit lesen konnte, welche er verdiente. Was half es, daß ich seinen Gründen nichts entgegenzusetzen hatte, der blinde Zorn hatte die Oberhand. Du magst Recht haben, sagte ich bei mir selbst, aber kein Wort davon, daß ich dich je herabsetzen lasse. Müßte ich dich verlieren und in Schuld hinfahren, ich werde nicht leiden, daß Jemand die dir gebührende Achtung aus den Augen setzt, und so lange ein Athem in mir ist, soll Alles, was dir naht, dich ehren, wie mein Herz dich ehrt. In Betreff der acht Tage jedoch, die du von mir verlangtest, nahm ich keinen Anstand; Milord Eduard's Zufall und mein Gelübde, dir zu gehorchen, kamen zusammen, diesen Aufschub nothwendig zu machen. Entschlossen, deinem Befehle gemäß, diese Zeit zur Ueberlegung dessen, was du mir schriebst, anzuwenden, beschäftigte ich mich unablässig damit, deinen Brief wieder zu lesen und darüber nachzudenken, nicht um andrer Ansicht zu werden, sondern um die meinige zu rechtfertigen.
Ich hatte auch heute Morgen diesen mir zu klugen und zu vernünftigen Brief zur Hand genommen und las ihn voll Unruhe wieder durch, als an meine Zimmerthür gepocht wird. Einen Augenblick darauf sehe ich Milord Eduard ohne Degen eintreten, auf ein Rohr gestützt; drei Personen mit ihm, unter denen ich Herrn von Orbe bemerke. Ueberrascht durch diesen unverhofften Besuch, erwarte ich schweigend, was er mir bringen würde, als Eduard mich bittet, ihm einen Augenblick Gehör zu geben, und ihn machen und reden zu lassen, ohne ihn zu unterbrechen. Ich ersuche Sie, sagte er, mir Ihr Wort darauf zu geben;
die Gegenwart dieser Gerren, welche zu Ihren Freunden gehören, bürgt Ihnen dafür, daß Sie es nicht unbehutsamer Weise einsetzen. Ich willigte unbedenklich ein. Kaum hatte ich es ausgesprochen, sah ich mit einem Erstaunen, das du dir denken kannst, Milord Eduard auf den Knien vor mir. Ueberrascht durch diese seltsame Stellung, wollte ich ihn sogleich aufheben: aber er erinnerte mich an mein Versprechen und sagte dann ungefähr Folgendes: „Ich komme, mein Herr, um offen die beleidigenden Worte zurückzunehmen, die ich im Rausche in Ihrer Gegenwart gesprochen habe: in ihrer Ungerechtigkeit sind sie kränkender für mich selbst als für Sie, und ich bin mir schuldig, sie auf beglaubigte Weise zu widerrufen. Ich unterwerfe mich jeder Strafe, die Sie mir auflegen wollen, und werde meine Ehre nicht eher für wiederhergestellt halten, als bis mein Vergehen wieder gut gemacht sein wird. Um welchen Preis es sei, gewähren Sie mir die Verzeihung, um welche ich Sie bitte, und wenden Sie mir Ihre Freundschaft wieder zu!“ Milord, antwortete ich ihm sogleich, ich erkenne jetzt den Adel und die Hoheit Ihrer Seele, und weiß nun zu unterscheiden, was aus Ihnen das Herz spricht, von dem, was Ihnen entfuhr, da Sie nicht bei sich selbst waren: sei es auf ewig vergessen. Zugleich half ich ihm aufstehen und wir umarmten uns. Milord wendete sich hierauf zu den Umstehenden und sagte: „ Meine Herren, ich danke Ihnen für Ihre Gefälligkeit. Brave Männer wie sie sind,“ setzte er mit stolzer Miene und belebtem Tone hinzu, „fühlen daß Der, welcher auf diese Art sein eigenes Unrecht wieder gut macht, von Niemanden unrecht erträgt … Sie können das weiter erzählen, was Sie gesehen haben.“ Hierauf lud er uns Vier zum Abendessen zu sich ein und die Herren entfernten sich.
Kaum waren wir allein, so umarmte er mich abermals inniger und freunschaftlicher; dann ergriff er meine Hand und setzte sich neben mich. Glücklicher Mensch, rief er aus, genießen Sie eines Glückes, dessen Sie würdig sind. Juliens Herz gehört Ihnen. Mögen Sie beide ….! Was sagen Sie, Milord, unterbrach ich ihn: sind Sie von Sinnen? Nein, entgegnete er lächelnd. Aber ich war nahe daran, es zu sein, und es wäre vielleicht um mich geschehen, wenn nicht Die, welche mir den Verstand geraubt hat, ihn mir wiedergegeben hätte. Er gab mir darauf den Brief, in welchem ich mit Erstaunen eine Hand erkannte, die nie an einen Mann [Man wird, denke ich, ihren Vater ausnehmen müssen.] geschrieben hat, als mich. Was habe ich gefühlt bei diesem Briefe! Ich sah ein liebendes Weib, wie es kein zweites giebt, sich aufopfern, um mich zu retten; ich erkannte Julie. Aber als ich an jene Stelle kam, wo sie schwört, den beglücktesten der Menschen nicht zu überleben, da habe ich geschaudert vor der Gefahr, in welche ich rannte, da habe ich gemurrt, zu sehr geliebt zu sein, und mein inneres Beben hat mich gemahnt, daß du nur eine Sterbliche bist. Ach! gieb mir den Muth wieder, den du mir entrissen hast; ich hatte Muth, dem Tode zu trotzen, der nur mich allein bedrohte, ich habe keinen, um in meinem ganzen Ich zu sterben.
Während sich meine Seele diesen bitteren Betrachtungen hingab, sprach Eduard, und ich hörte wenig auf das, was er sagte; aber er weckte meine Aufmerksamkeit, als er von dir zu reden anfing, denn was er jetzt sagte, gefiel meinem Herzen und reizte nicht mehr meine Eifersucht. Es schien ihm herzlich leid zu sein, daß er unsere Liebe und deine Ruhe gestört hatte. Du bist das, was er am meisten auf der Welt verehrt, und da er nicht wagt, auch dir seine Entschuldigung zu machen, so hat er mich gebeten, sie in deinem Namen anzunehmen und sie dir auszurichten. Ich habe Sie, sagte er, als ihren Repräsentanten betrachtet und konnte mich vor Dem, was sie liebt, nicht zu sehr demüthigen, da ich mich an sie selbst nicht wenden konnte, ohne sie zu compromittiren, sie nicht einmal nennen durfte. Er gesteht, daß er von den Gefühlen für dich ergriffen war, deren man sich nicht erwehren kann, wenn man dich zu viel ansieht; aber es war mehr eine zärtliche Bewunderung als Liebe. Diese Gefühle haben ihm niemals Absichten oder Hoffnung eingeflößt; er hat sie den unsrigen im Augenblick geopfert, sobald er von diesen Kenntniß erhielt, und die üble Rede, die ihm entfahren war, ist mehr eine Wirkung des Punsches als der Eifersucht gewesen. Er behandelt die Liebe auf Philosophenmanier, indem