Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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daß der arme junge Mensch wieder in Dienst gegangen ist, ohne mir ein Wort davon zu sagen, bei der Compagnie des Herrn von Merveilleur, [Vergl. „Bekenntnisse“ Th. 2 S. 113.] und hat mir das Handgeld gebracht. Herr von Merveilleur bleibt nur sieben oder acht Tage in Neufchatel und Claude Anet muß in drei oder vier Tagen mit den Rekruten fort; so haben wir nicht die Zeit, auch kein Geld, uns zu heirathen, und er läßt mich ohne alle Hülfe zurück. Wenn Sie durch Ihren oder des Herrn Barons Einfluß wenigstens einen Aufschub von fünf oder sechs Wochen für uns erhalten könnten, so ließe sich in der Zwischenzeit wenigstens sehen, wie man es anstellte, daß wir Hochzeit machen könnten, oder daß sich der arme Junge auslöste; aber ich kenne ihn schon, er wird das Geld unter keiner Bedingung wiedernehmen wollen, das er mir gegeben hat.

      Diesen Morgen ist ein sehr reicher Herr gekommen und hat mir große Vortheile angeboten, aber Gott hat mir die Gnade gethan, daß ich es ihm abgeschlagen habe. Er hat gesagt, er würde morgen früh wiederkommen und mein letztes Wort hören. Ich habe gesagt, er möchte sich nicht die Mühe machen, und ich hätte es ihm schon gesagt. Geh er mit Gott. Ich werd ihm morgen dienen, wie heute. Ich könnte auch wohl aus dem Gemeindesäckel Unterstützung haben; aber man ist dann so in Verachtung, daß es besser ist, geduldig auszuhalten, und dann hat der Claude Anet zu viel Ehre im Leibe, um ein Mädchen zu wollen, das Unterstützung nimmt.

      Entschuldigen Sie die Freiheit, die ich mir nehme, meine gute Demoiselle! Ich habe Niemand als Sie, dem ich mir getrau' meinen Kummer zu sagen, und mir ist das Herz so zugeschnürt, daß ich nicht weiter schreiben kann. Ihre ganz ergebene und getreue Dienerin Ihnen zu dienen.

      Fanchon Regard.

      Einundvierzigster Brief.

       Antwort.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich habe es an Gedächtniß und du hast es an Vertrauen fehlen lassen, mein liebes Kind: das war Unrecht von uns allen Beiden, aber mein Unrecht ist unverzeihlich. Ich will es wenigstens wieder gut zu machen suchen. Babi, die dir diesen Brief bringt, ist beauftragt, für das Dringendste zu sorgen. Sie wird morgen früh wieder zu dir kommen und dir den bewußten Herrn abfertigen helfen, wenn er sich wieder blicken läßt, und Nachmittag werden wir dich besuchen, meine Cousine und ich; denn ich weiß, daß du deinen armen Vater nicht verlassen kannst, und ich will auch selbst sehen, wie es in deiner kleinen Wirtschaft steht.

      Wegen Claude Anet's sei ohne Sorge; mein Vater ist abwesend; aber bis zu seiner Rückkehr soll geschehen, was möglich ist, und du kannst darauf rechnen, daß ich weder dich noch diesen braven Burschen vergessen werde. Adieu, mein Kind, der gute Gott schenke dir Trost! Du hast wohl gethan, daß du dich nicht an die Gemeindekasse gewendet hast; das muß man nie thun, so lange noch gute Leute etwas in der ihrigen haben.

      Zweiundvierzigster Brief.

       An Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich erhalte Ihren Brief, und ich bin beim Einpacken: weiter habe ich nichts zu erwidern. Ach, Grausame, wie weit entfernt ist mein Herz von dieser verhaßten Tugend, die Sie bei mir voraussetzen und die ich verabscheue! Aber Sie befehlen, ich muß gehorchen. Kostete es hundertmal mein Leben, ich muß Juliens Achtung besitzen.

      Dreiundvierzigfter Brief.

       An Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Gestern früh kam ich in Neufchatel an; ich erfuhr, daß Herr von Merveilleur auf dem Lande sei, ich suchte ihn sogleich dort auf; er war auf der Jagd und ich erwartete ihn bis auf den Abend. Als ich ihm die Veranlassung meiner Reise auseinandergesetzt und ihn gebeten hatte, einen Preis für Claude Anet's Entlassung zu bestimmen, machte er mir viele Schwierigkeiten. Ich glaubte sie dadurch heben zu können, daß ich selbst eine ziemlich beträchtliche Summe anbot und sie erhöhete, je mehr er sich weigerte, allein da ich nichts erlangen konnte, war ich genöthigt, mich zu entfernen, nachdem ich mir Gewißheit verschafft hatte, daß ich ihn heute Morgen noch fände, denn ich war fest entschlossen, nicht von ihm abzulassen, bis ich mit Hülfe von Geld oder Zudringlichkeit, oder auf welche Art es ginge, das, was ich von ihm zu erbitten hatte, erlangt haben würde. Ich stand deswegen schon sehr früh auf, und wollte eben zu Pferde steigen, als ich durch einen Expressen das folgende Billet von Herrn von Merveilleur nebst dem förmlichen Abschiede des jungen Menschen erhielt:

      „Hierbei, mein Herr, erhalten Sie den Abschied, um den Sie angesucht haben; ich habe ihn auf Ihre Anerbietungen verweigert; Ihren menschenfreundlichen Absichten gewähre ich ihn, und bitte Sie zu glauben, daß ich eine gute Handlung nicht für Geld thue."

      Schließen Sie nach der Freude, die Ihnen dieser glückliche Erfolg machen wird, auf die meinige, als ich ihn erfuhr. Warum ist sie, ach, nicht so vollkommen, als sie doch sein sollte? Ich kann nicht umhin, Herrn von Merveilleur nochmals zu besuchen, um ihm zu danken und das Handgeld zurückzuzahlen, und wenn dieser Besuch meine Abreise um einen Tag verzögert, wie es zu fürchten ist, habe ich nicht Recht, wenn ich sage, daß er sich auf meine Kosten edel gezeigt hat? Doch es thut nichts, ich habe gethan, was Ihnen angenehm ist, ich kann um diesen Preis Alles ertragen. Wie glücklich, Gutes thun zu können, indem man damit Der dient, die man liebt, und so in seiner Handlung die Zauber der Liebe und der Tugend zu vereinigen! Ich will es gestehen, Julie, ich reiste ab mit einem Herzen voll Mißmuth und Verdruß. Ich machte es Ihnen zum Vorwurf, daß Sie so viel Theilnahme haben für die Leiden Anderer und die meinigen für nichts rechnen, als ob ich der Einzige auf der Welt wäre, der nichts von Ihnen verdiente. Ich fand es barbarisch, nachdem Sie mich mit einer so süßen Hoffnung geködert hatten, mich ohne Noch eines Vergnügens zu berauben, womit Sie mir selbst geschmeichelt hatten. All dieses Murren ist vorbei; ich fühle an dessen Statt wieder eine ungeahnte Zufriedenheit im Grunde meiner Seele keimen, empfinde schon die Entschädigung, welche Sie mir verheißen haben, Sie, die die Gewohnheit, Gutes zu thun, so sehr belehrt hat, welche Freuden es gewährt. Wie seltsam ist die Macht, die Sie üben, daß Sie einem die Entbehrungen ebenso süß, als die Genüsse zu machen, und dem, was man für Sie thut, denselben Reiz zu verleihen wissen, den man darin finden würde, sieh selbst genugzuthun! Ach! ich habe es hundertmal gesagt, du bist ein Engel vom Himmel, meine Julie! Bei diesem Einfluß auf meine Seele ist es kein Zweifel, daß die deinige mehr göttlich als menschlich ist. Wie soll man nicht ewig dein sein, da dein Reich himmlisch ist? Und was hülfe es, wenn man aufhörte, dich zu lieben, wenn man dich ewig anbeten muß?

      N. S. Meiner Rechnung nach haben wir mindestens noch fünf oder sechs Tage bis zur Zurückkunft der Mama; wäre es nicht möglich, in dieser Zwischenzeit doch noch eine Wanderung nach dem Chalet zu machen?

      Vierundvierzigster Brief.

       Von Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Murre nicht so sehr, mein Freund, über diese vorzeitige Rückkehr; sie stiftet uns mehr Vortheil, als es scheint; und wenn wir aus Klugbeit gethan hätten, was wir aus Wohlthätigkeit thaten, hätte es nicht besser ausschlagen können. Erwäge, wie es gekommen wäre, wenn wir unserem Gefallen gefolgt wären! Ich würde aufs Land gezogen sein gerade am Abend vor dem Tage, an welchem meine Mutter in der Stadt wieder ankam; ich würde einen Expressen erhalten haben, ehe ich unser Zusammentreffen hätte in Gang bringen können; ich hätte auf der Stelle abreisen und vielleicht, ohne dir Nachricht geben zu können, dich in tödtlicher Unruhe lassen müssen; unsere Trennung würde gerade in dem Augenblicke geschehen sein, wo sie am schmerzlichsten gewesen wäre. Noch mehr, man würde erfahren haben, daß wir beide auf dem Lande waren; ungeachtet unserer Vorsicht wäre es vielleicht herausgekommen, daß wir beisammen gewesen sind; man würde es wenigstens vermuthet haben, und mehr brauchte es nicht. Das unvorsichtige Geizen mit