Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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braucht, sondern nach Bedürfniß durch den entferntesten Schein von Vergnügen oder Geldverdienst, den man ihnen vorhält, sich vom Halse schaffen kann.

      Du begreifft, wie leicht es uns diese vierzehn Tage werden wird, uns zu sehen; da muß nun die eigene Mäßigung an die Stelle des Zwanges treten, und wir müssen uns aus freien Stücken dieselbe Zurückhaltung auferlegen, zu welcher wir zu anderer Zeit genöthigt sein würden. Nicht nur darfst du, wenn ich bei meiner Cousine sein werde, nicht öfter hinkommen als früher, um sie nicht zu compromittiren: ich hoffe auch, daß ich dich nicht erst an die Rücksichten zu erinnern brauche, welche ihr Geschlecht erfordert, noch an die heiligen Rechte der Gastfreundschaft, und daß ein gesitteter Mann nicht erst Belehrung braucht über die zarte Scheu, welche die Liebe der Freundschaft, die ihr Zuflucht giebt, schuldig ist. Ich kenne deine Lebhaftigkeit, aber ich kenne auch ihre unverletzlichen Grenzen. Wenn du niemals der Schicklichkeit Opfer gebracht hättest, so würdest du ihr heut keines zu bringen haben.

      Woher diese mißvergnügte Miene und dieses betrübte Auge? Warum murren über Gesetze, welche die Pflicht auferlegt? Ueberlasse deiner Julie die Sorge, sie zu versüßen; hast du es jemals bereut, ihrer Stimme willig gefolgt zu sein? An blumigen Hügeln, wo die Vevaise entspringt, liegt ein einsamer Weiler, der manchmal von Jägern besucht wird und eigentlich nur Liebenden zur Zufluchtstätte dienen sollte. Rings um die Hauptwohnung, welche in Herrn von Orbe's Besitz ist, liegen zerstreut in ziemlicher Entfernung einige Chalets, [Sennhütten.] deren Strohdächer ganz dazu geschaffen sind, der Liebe und Lust, diesen Freunden ländlicher Einfalt, zum Obdach zu dienen. Die munteren, verschwiegenen Milchdirnen wissen Anderen das Geheimniß zu hüten, weil sie dessen für sich selbst benöthigt sind. Die Bäche, welche die Wiesen bewässern, sind mit Gebüsch und köstlichem Laubholz besetzt. Höher hinauf findet man im dichten Wald einen noch abgelegneren und düsterem Zufluchtsort.

      Al bel seggio riposto, ombroso e fosco Ne mai pastori appressan, ne bifolchi. [Dem schönen stillen Sitz, dem schattenreichen Und düstern naht nie Pflüger oder Hirte.

       Petrarca.]

      Kunst und Menschenhand hat da Alles mit ihrer belästigenden Pflege verschont; überall nimmt man nur die liebreich waltende Hand der allgemeinen Mutter wahr. Dort, o mein Freund, ist man ganz nur in ihrer Hut und hat keinen Gesetzen zu gehorchen als den ihrigen. Auf Herrn von Orbe's Einladung hat Clara schon ihrem Vater eingeredet, daß er Lust hätte, mit einigen Freunden ein Paar Tage in dieser Gegend zu jagen, und die Unzertrennlichen mitzunehmen. Diese sind nicht ohne andere Unzertrennliche, wie du nur zu gut weißt. Der Eine, der den Hausherrn abgiebt, wird natürlich die Honneurs des Hauses machen, und der Andere wird inzwischen, mit weniger Aufsehen, seiner Julie die Honneurs eines niedern Chalet machen können, und dieses Chalet, von der Liebe geweiht, wird ihnen der Tempel von Knidos sein. Um diesen reizenden Plan glücklich und sicher auszuführen, bedarf es nur weniger Veranstaltungen, die wir nur noch unter uns verabreden wollen, und die schon selbst einen Theil des Vergnügens ausmachen werden, zu dem sie uns verhelfen sollen. Adieu, mein Freund! ich breche schnell ab, weil ich überrascht zu werden fürchte. Auch fühle ich wohl, daß das Herz deiner Julie dem Chalet ein wenig zu früh zufliegt.

      N. S. Alles recht wohl bedacht, finde ich, daß wir uns, ohne zu viel zu thun, fast alle Tage sehen können, nämlich bei meiner Cousine einen Tag um den andern, und dazwischen auf der Promenade.

      Siebenunddreißigster Brief.

       Von Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Sie sind heute Morgen abgefahren, dieser zärtliche Vater und diese unvergleichliche Mutter, und haben mit den zärtlichsten Liebkosungen eine geliebte, ach, ihrer Güte nur zu unwerthe Tochter überhäuft. Mir zog sich, als ich sie umarmte, das Herz nur leicht zusammen, während es in sich selbst, das undankbare, unnatürliche Herz, hoch aufhüpfte in abscheulicher Freude. Ach! wo ist die glückliche Zeit hin, da ich unablässig unter ihren Augen ein unschuldiges, züchtiges Leben führte, da ich mich nur wohl fühlte an ihrer Brust und nicht einen Augenblick von ihnen weichen konnte ohne Mißbehagen? Jetzt, schuldig und furchtsam, zittere ich, wenn ich an sie denke, erröthe ich, wenn ich an mich denke, alle guten Gefühle in mir verdorren, und ich zehre mich in eitlen, fruchtlosen Klagen auf, die nicht einmal eine wahre Reue beseelt. Dergleichen schmerzliche Betrachtungen haben in mir die ganze Betrübniß aufgeweckt, die der Abschied von ihnen mir im ersten Augenblicke nicht verursacht hatte. Eine innere Angst erstickte mich, nachdem die lieben Eltern fort waren. Während Babi einpackte, ging ich mechanisch in das Zimmer meiner Mutter; und da ich einige von ihren Sachen umherliegen sah, habe ich sie alle geküßt, Eines nach dem Andern, und mit meinen Thränen benetzt. In dieser gerührten Stimmung habe ich einige Erleichterung gefunden, und es war mir wie ein Trost, zu fühlen, daß die süßen Regungen der Natur noch nicht ganz erloschen sind in meinem Herzen. Ha, Tyrann, du willst umsonst es ganz nur dir unterwerfen, dieses zärtliche, dieses allzu schwache Herz; trotz dir, trotz deiner Zaubereien, hat es wenigstens noch rechtmäßige Gefühle, ehrt noch und liebt noch heiligere Rechte als die deinen.

      Verzeih, mein süßer Freund, verzeih mir dieses unwillkürliche Aufwallen und fürchte nicht, daß ich diesen Betrachtungen so viel einräume, als ich wohl sollte. Der Augenblick unseres Lebens, in welchem vielleicht sich unsere Liebe am freiesten regt, ist nicht, ich weiß wohl, der der Zerknirschung: ich will weder mein Leid dir zu verheimlichen noch dich damit niederzubeugen suchen; du mußt es kennen, nicht um es zu tragen, sondern um es zu stillen. In wessen Busen könnte ich es ausströmen, wenn ich es nicht in den deinigen schütten dürfte? Bist du nicht mein liebreicher Tröster? Bist du es nicht, der meinen erschütterten Muth aufrecht hält? Bist du es nicht, der in meiner Seele die, Liebe zur Tugend nährt, selbst nach ihrem Verluste? Ohne dich, ohne die verehrungswürdige Freundin, deren mitleidige Hand so oft meine Thränen trocknete, o wie oft wäre ich schon der tödtlichsten Muthlosigkeit erlegen! Aber eure zärtlichen Bemühungen halten mich aufrecht, ich wage mich nicht gering zu achten, so lange ihr mich noch Werth haltet, und ich sage mir mit Selbstzufriedenheit, daß ihr beide mich nicht so lieben würdet, wenn ich nur Verachtung verdiente. Ich fliege in die Arme dieser theuren Cousine, oder vielmehr dieser theuren Schwester, um in ihr Herz den drückenden Trübsinn auszuschütten. Und du, komme heute Abend, und gieb dem meinigen die verlorene Freudigkeit und Heiterkeit wieder.

      Achtunddreißigster Brief.

       An Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Nein, Julie, keinen Tag ist es möglich, dich nur wieder so, wie den vorigen zu erblicken: meine Liebe muß unaufhörlich zunehmen und wachsen mit deinen Reizen und du bist mir ein unversieglicher Quell von neuen Gefühlen, die ich nie geahnt hätte. Welch ein wundervoller Abend! Was für unbekannte Wonnen gabst du meinem Herzen zu genießen! O zauberische Schwermuth! Weichheit einer schmachtenden Seele! Wie weit übertreffet ihr die lärmende Freude, das laute Gelächter, die ausgelassene Fröhlichkeit und allen Rausch, den Glut ohne Maß den ungezügelten Begierden darbietet! Stiller, seliger Genuß, der nicht seines Gleichen in der Lust der Sinne hat, nie, nie wird dein tief ergreifendes Andenken aus meinem Herzen sich verwischen! Götter! welch hinreißendes Schauspiel, oder vielmehr welch ein Himmel, zwei so rührende Schönheiten in zärtlicher Umarmung zu sehen, das Gesicht der einen auf den Busen der andern geneigt, ihre süßen Thränen sich vermischend und diesen reizenden Busen badend, wie der Thau vom Himmel eine frisch verschlossene Lilie benetzt! Sie machte mich eifersüchtig, diese so zärtliche Freundschaft; ich fand darin ein Etwas, das noch mehr reizt als die Liebe selbst, und es war mir eine Art Weh, daß ich dir nicht so lieben Trost bieten kann, den ich nicht durch die Heftigkeit meiner Empfindungen trübte. Nein, nichts, nichts auf Erden ist fähig, eine so süße Rührung zu wecken, als eure gegenseitigen Liebkosungen; und das Schauspiel zweier Liebenden hätte meinen Augen kein so köstliches Bild darbieten können.

      Ach! wie verliebt würde ich in diesem Augenblick in die liebenswürdige Cousine gewesen sein, wenn nicht Julie wäre! Aber nein, es war Julie selbst,