Ich glaube keiner Apologie für diesen langen Brief zu bedürfen. Wenn Sie mir weniger theuer wären, würde er kürzer sein. Bevor ich ihn schließe, habe ich noch eine Bitte an Sie. Eine schwere Last liegt auf meinem Herzen, Herr von Wolmar weiß nichts von meinem bisherigen Wandel, aber zu der Treue, die ich ihm schuldig bin, gehört auch eine rückhaltlose Offenheit. Ich würde ihm schon hundert Mal Alles bekannt haben, nur Ihretwegen unterließ ich es. Obgleich ich die Klugheit und Mäßigung des Herrn von Wolmar kenne, hieße es doch immer Sie compromittiren, wenn ich Sie nennte, und ich habe es ohne Ihre Einwilligung nicht thun wollen. Würde es Ihnen mißfallen, wenn ich Sie darum ersuche? Hätte ich Ihnen oder mir zu viel zugetraut, wenn ich mir schmeichle, sie zu erhalten? Bedenken Sie, darum bitte ich Sie, daß eine Zurückhaltung in diesem Punkte nicht unschuldig sein könnte, daß sie für mich mit jedem Tage drückender werden müßte, und daß ich, bis ich Ihre Antwort habe, keinen ruhigen Augenblick haben werde.
Neunzehnter Brief.
Antwort.
Und Sie wären nicht meine Julie mehr? Ach, sagen Sir das nicht, würdige, achtbare Frau; Sie sind es mehr denn je. Sie sind Die, welche verdient, daß ihr der Erdkreis huldigt; Sie sind Die, welche ich anbetete, als ich anfing für die wahre Schönheit empfänglich zu sein; Sie sind die, welche ich nicht aufhören werde anzubeten, selbst nach dem Tode, wofern noch meine Seele eine Erinnerung hat von den wahrhaft himmlischen Reizen, welche sie während meines Lebens bezauberten. Dieser muthige Aufschwung, der Sie zu Ihrer ganzen Tugend zurückführt, macht Sie nur sich selbst desto ähnlicher. Nein, welche Marter es für mich ist, es zu denken und zu sagen, nie, nie waren Sie mehr meine Julie, als in dem Augenblicke, da Sie auf mich verzichten. O Gott! indem ich Sie verliere, habe ich Sie wiedergefunden. Aber ich, dem das Herz bebt bei dem Gedanken Ihnen nachzuahmen, ich, gefoltert von einer verbrecherischen Leidenschaft, die ich weder ertragen noch überwinden kann, bin ich der Mensch, für den ich mich hielt? War ich es werth, Ihnen zu gefallen? Welches Recht hatte ich, Ihnen mit meinen Klagen und mit meiner Verzweiflung lästig zu fallen? O, ich, ich, und nach Ihnen seufzen! Was war ich denn, daß ich Sie lieben durfte?
O Thorheit! als ob ich nicht genug gedemüthigt wäre, um noch neue Demüthigung zu suchen! Was soll es, Verschiedenheiten aufzählen, welche die Liebe tilgte? Sie erhob mich zu Ihnen, stellte mich Ihnen gleich; ihre Flamme hielt mich empor; unsere Herzen hatten sich verschmolzen; alle ihre Gefühle waren gemeinsame, und die meinigen nahmen an der Größe der Ihrigen Theil. Da bin ich wieder in meine Niedrigkeit zurückgesunken! Süße Hoffnung, die du meine Seele nährtest, und mich so lange trogst, erloschen nun, unwiederherstellbar! Sie wird nicht mein sein: sie ist für mich verloren auf ewig; sie macht einen Andern glücklich! .... O Wuth! O Höllenqual! …. Ungetreue, ha! konntest du …. Verzeihung, Madame, haben Sie Geduld mit meiner Raserei. O Gott! Sie haben nur zu sehr Recht, es ist nicht mehr …. ist nicht mehr die zärtliche Julie, der ich jede Regung meines Herzens aufschließen konnte! Wie? Ich fand mich unglücklich? und konnte doch klagen! .... sie konnte mich anhören! Ich war unglücklich .... was bin ich denn jetzt? .... Nein, ich werde Ihnen keine Ursache mehr geben, zu erröthen, weder über sich noch über mich. Es ist vorbei, wir müssen einander entsagen, müssen uns trennen: die Tugend selbst hat das Urtheil gesprochen; Ihre Hand war stark genug, es niederzuschreiben. Vergessen wir uns .... wenigstens vergessen Sie mich. Ich habe es beschlossen, ich schwöre es, ich werde von mir nicht mehr mit Ihnen reden.
Darf ich wenigstens von Ihnen noch mit Ihnen reden, und an das Einzige denken, was noch auf Erden einen Werth für mich hat, Ihr Glück? Sie haben mir Ihren Seelenzustand geschildert, aber nichts von Ihrem Loose gesagt Ach, zum Lohne für ein Opfer, dessen Größe Sie fühlen müssen, ziehen Sie mich nun auch ans dieser unerträglichen Ungewißheit. Julie, sind Sie glücklich? Wenn Sie es sind, o, geben Sie mir in meiner Verzweiflung den einzigen Trost, dem ich zugänglich bin; wenn Sie es nicht sind, erbarmen Sie sich und sagen Sie es mir, ich werde dann weniger lange unglücklich sein.
Je mehr ich über das Bekenntniß nachdenke, welches Sie im Sinne haben, desto weniger kann ich darein willigen, und derselbe Beweggrund, der mir stets den Muth nahm, Ihnen etwas abzuschlagen, muß mich in diesem Punkte unerbittlich machen. Der Gegenstand ist von der größten Wichtigkeit, und ich ermahne Sie, meine Gründe wohl zu erwägen. Erstlich scheint mir, daß Ihr übermäßiges Zartgefühl Sie diesmal irregeführt, und ich sehe nicht, auf welchen Grund hin die strengste Tugendhaftigkeit ein derartiges Bekenntniß gebieten könnte. Kein Vertrag auf der Welt kann eine rückwirkende Kraft haben. Man kann sich nicht verpflichten für das, was vorbei ist, noch versprechen, was man nicht mehr die Macht hat, zu halten; weshalb sollte man Dem, mit welchem man ein Verhältniß eingeht, Rechenschaft schuldig sein über den Gebrauch, welchen man früher von seiner Freiheit gemacht hat, und eine Treue, die man ihm nicht versprochen hatte? Täuschen Sie sich nicht, Julie, nicht an Ihrem Gatten, an Ihrem Freunde haben Sie eine Untreue begangen. Vor der Gewaltthat Ihres Vaters hatten Himmel und Natur uns vereinigt. Sie haben dadurch, daß Sie ein neues Bündniß eingingen, ein Verbrechen begangen, das Liebe und Ehre vielleicht nicht vergeben, und ich allein habe das Gut zurückzufordern, das Herr von Wolmar mir geraubt hat.
Wenn es Fälle giebt, wo die Pflicht ein Geständniß dieser Art erheischen mag, so ist ein solcher, wenn die Gefahr eines Rückfalls eine kluge Frau nöthigt, Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, um sich davor sicher zu stellen. Aber Ihr Brief hat mich, mehr als Sie glauben, über Ihre wahren Gefühle aufgeklärt. Indem ich ihn las, fühlte ich in meinem eigenen Herzen, wie sehr das Ihrige selbst im Schoße der Liebe ein verbrecherisches Verhältniß, in der Nähe betrachtet, verabscheut haben würde, dessen Abscheulichkeit die Enfernung uns verdeckte.
Außerdem daß Pflicht und Redlichkeit dies Geständniß nicht fordern, verbieten es Klugheit und Vernunft; denn es würde dabei ohne Noth das Köstlichste, was es in der Ehe giebt, aufs Spiel gesetzt werden, die Zuneigung des einen Gatten, das gegenseitige Vertrauen, der Friede des Hauses. Haben Sie den Schritt wohl genugsam überlegt? Kennen Sie Ihren Mann hinlänglich, um mit Sicherheit die Wirkung vorauszusehen, die er auf ihn haben wird? Wissen Sie, wie viel Männer es auf der Welt giebt, die nichts weiter brauchen, um eine ungezähmte Eifersucht, eine unüberwindliche Verachtung zu fassen, wer weiß, ob nicht gar einer Frau nach dem Leben zu trachten? Die Behandlung dieses so zarten Gegenstandes erfordert Rücksicht auf Zeit, Ort, Charakter. Hier, wo ich bin, hat ein Vertrauen dieser Art keine Gefahr; Leute, die die eheliche Treue so leicht nehmen, machen natürlich nicht viel Wesen aus vorangegangenen Fehltritten. Abgesehen von den Gründen, die bisweilen ein Geständniß unerläßlich machen, und die für Sie nicht stattfinden, kenne ich Frauen von sehr mittelmäßiger Achtbarkeit, die sich mit wenig Gefahr ein Verdienst aus einer solchen Aufrichtigkeit gemacht haben, vielleicht um dadurch ein Vertrauen zu erkaufen, welches sie gelegentlich mißbrauchen könnten. Aber an Orten, wo die Heiligkeit der Ehe höher gehalten wird, wo dieses Band eine feste Vereinigung knüpft, und wo die Männer eine wahre Anhänglichkeit für ihre Frauen haben, fordern sie von ihnen strengere Rechenschaft über sich, mögen es nicht leiden, daß andere zärtliche Gefühle, als die für sie, je in das Herz ihrer Frau gedrungen seien, verlangen, sich ein Recht anmaßend, das ihnen nicht gebührt, daß ihre Frauen schon ihnen allein gehört haben sollen, noch ehe sie ihnen überhaupt gehörten, und verzeihen den Mißbrauch der Freiheit ebensowenig als eine wirkliche Untreue.
Auf mein Wort, tugendhafte Julie, geben Sie sich einem Eifer nicht hin, der grundlos und nutzlos ist. Behalten Sie ein gefährliches Geheimniß, das nichts Sie nöthigt zu offenbaren, dessen Mittheilung Ihnen verderblich werden und Ihrem Gatten nichts helfen kann. Verdient er ein solches Bekenntniß, so wird es ihn nur betrüben, und Sie werden ihm ohne alle