Es besaß einen offenen Gastraum, hauptsächlich Tische, hier und da von einigen Nischen unterbrochen. Ein riesiger Getränkeautomat befand sich auf der einen Seite, die Theke in der Mitte, der Eingang auf der anderen Seite. An den Wänden hingen Poster, die für das neuste Spezialmenü mit einem Softdrink von der Größe eines städtischen Wasserturms warben.
Eine Reihe von Schildern priesen die Mitarbeiter des Monats an, sowie Auszeichnungen für Kundenzufriedenheit, vom Restaurant selbst verliehen.
Das Lokal war halb voll; hauptsächlich Ortsansässige, schätzte Tallon. Beim Eintreten hatte sein Blick die Kunden abgeschätzt, und die einzige Person, die ihm ins Auge gesprungen war, war der Mann, der gerade die Aufmerksamkeit von so ziemlich jedem im Raum auf sich zog.
»Du bist ein Albtraum«, blaffte er die junge Frau an, die ihm gegenüber saß. Sie schreckte wegen der Lautstärke seiner Stimme und der Nähe seines Gesichts zurück. Tallon nahm an, dass sie bei diesem Ausruf ein wenig Speichel abbekommen hatte.
Er versuchte den Mann zu ignorieren. Er war nur hier, weil er Hunger hatte und eine kurze Rast brauchte, bevor er weiterfuhr. Er hatte gerade einen Auftrag abgeschlossen und befand sich auf dem Heimweg.
Normalerweise hätte er sich gezwungen, durchzufahren, aber sein Bedürfnis nach Nahrung war so stark geworden, dass es ihn ablenkte, und er wusste, dass noch sechs Stunden Fahrzeit vor ihm lagen.
Er bestellte das am wenigsten abstoßende Gericht auf der Karte: Tacos mit gegrilltem Hühnchen. Das Huhn war zäh, die Tortilla matschig. Doch der Kaffee war gut und überraschend stark. Es war Nahrung, nichts weiter.
Tallon hatte alle Tacos aufgegessen, die er zu essen vorgehabt hatte, und wollte gerade den Rest seines Kaffees nehmen und gehen, als die Stimme des Mannes die monotonen Gespräche des Restaurants erneut durchschnitt.
»Du bist nutzlos, genau wie deine Mutter«, sagte der Kerl. »Ihr seid beide zu nichts zu gebrauchen.«
All das lenkte Tallons Gedanken zu seinen Regeln.
Von denen eine schlechte Eltern betraf.
Tallon hatte genug von denen erlebt und war schon bei früheren Gelegenheiten versucht gewesen, sich einzumischen. Doch er glaubte an Durchhaltevermögen. Seine eigenen Eltern waren gerechte und großzügige Menschen gewesen. Jedoch hatte er andere getroffen, die grausam und böse gewesen waren. Trotzdem hatte er gesehen, dass ihre Kinder überlebten und – in manchen Fällen – sogar aufblühten.
Die Welt konnte ein kalter und dunkler Ort sein. An irgendeinem Punkt musste jeder lernen, dass es manchmal nötig war, eine Rüstung anzulegen und sich dem Kampf zu stellen.
Deswegen hatte Tallon entschieden, sich nicht einzumischen. Der Mann war groß, weit über eins-achtzig, mit fettigen, zu einem Zopf gebundenen Haaren. Er trug ein ärmelloses Shirt, das kräftige Arme entblößte, um die sich Stacheldraht-Tattoos wanden.
Er hatte mächtige Hände mit großen Silberringen an allen Fingern. Sie sahen wie Totenkopfringe aus, von denen einer eine Art gefärbter Glasstücke als Augen besaß.
Tallon sah eine Bewegung links von sich, und noch ehe die alte Frau aus ihrer Nische aufstand, wusste er genau, was passieren würde, lange, bevor es so weit war.
Er hatte das ältere Paar in der Nische beim Fenster sitzen sehen. Die Frau besaß eines jener offenen, fürsorglichen Gesichter, die auf Liebe für die Familie und das Gute in anderen hindeuteten. Sie hatte außerdem große, ausdrucksvolle Augen, die die Art Persönlichkeitsstärke verrieten, die man oft in weit jüngeren Menschen fand. Es waren ein Gesicht und eine Haltung, die Aktion bedeuteten. Das war eine Frau, die sich lieber früher als später einmischte.
Der Mann, von dem Tallon annahm, er sei ihr Ehemann, teilte diese Intensität nicht. Er sprach leise mit der Frau, und Tallon wusste, dass er seine langjährige Ehefrau inständig bat, sich nicht einzumischen.
Sie wollte nichts davon hören.
Tallon sah zu, wie die Frau den Speisesaal durchquerte. Sie trug eine legere blaue Hose, eine blaue Bluse, die bis zum Hals zugeknöpft war, und zweckmäßige schwarze Schuhe. Sie war groß, vielleicht früher einmal eine Athletin.
Eine Frau der Tat, dachte Tallon.
Der Großteil der eintönigen, leisen Unterhaltungen im Restaurant verstummte. Es schien Tallon, dass sogar der notwendige Küchenlärm von jenseits der Theke plötzlich zu einer Flaute geschrumpft war.
Die ältere Frau erreichte den Tisch des Mannes und des jungen Mädchens.
»Sie bringen Ihrer Tochter bei, es hinzunehmen, von einem Mann schlecht behandelt zu werden«, sagte die alte Frau. »Wenn Sie so weitermachen, wird sie sich nach jemandem umsehen, der genauso ist wie Sie. Ein Rowdy, der sie beschimpft und wahrscheinlich schlägt. Wollen Sie das?«
Im Hintergrund sah Tallon einen Mitarbeiter vom Tresen in die Küche huschen, sehr wahrscheinlich auf der Suche nach einem Geschäftsführer. Der Ehemann der alten Frau setzte an, die Nische zu verlassen. Es war keine elegante, rasche Bewegung. Er war nicht so agil wie seine Frau.
Doch Tallon wusste, dass der große Mann nicht zögern würde. Diese Ringe waren nicht zur Schau da. Der Kerl war ein Raufbold. Das war ihm ins Gesicht geschrieben, und auf die Hände.
»Verpiss dich, alte Schachtel«, brüllte der große Mann. Er sprang auf und die alte Frau wich die halbe Strecke zu ihrem Ehemann zurück. Sie stießen zusammen und die Frau fiel zu Boden.
»Nicht, Dad! Lass sie in Ruhe«, rief das junge Mädchen. Ihr Gesicht hatte sich gerötet und sie hatte zu weinen begonnen. Es war die Angst, die ihr den Mut zum Sprechen verliehen hatte. Und Mitgefühl für jemand anderen als sich selbst. Ihr Vater hatte ihr vermutlich die Fähigkeit ausgeprügelt, sich um sich selbst zu sorgen, doch die angeborene Güte war noch da, solange sie für andere reserviert war.
Doch der große Mann hörte nicht auf sie.
Er bewegte sich rasch auf die Frau und ihren Ehemann zu.
Tallon bemerkte die schmutzigen Bluejeans und schweren Stahlkappenlederstiefel des großen Mannes. Er ging auf die Frau zu, und Tallon wusste mit absoluter Gewissheit, dass er vorhatte, die Frau zu schlagen und dann zu treten, bevor sie aufstehen konnte. Wahrscheinlich würde er auch versuchen, den alten Ehemann zu verprügeln.
Musste seine Tochter beeindrucken, befahl ihm sein Erbsenhirn wahrscheinlich.
Tallons Regeln über schlechte Eltern waren eine Sache.
Unschuldige Zuschauer waren etwas ganz anderes. In der Angelegenheit gab es keine verwischten Linien.
Noch bevor jemand reagieren konnte, hatte er seine Nische verlassen und sich zwischen den großen Mann und das ältere Paar bewegt.
Tallon und der große Mann standen Auge in Auge.
»Drehen Sie sich um, gehen Sie zurück und entschuldigen Sie sich bei Ihrer Tochter«, sagte Tallon.
Der Mann lachte mit ungläubigem Gesichtsausdruck. Er sah hinter sich, fragte sich, so vermutete Tallon, ob plötzlich eine Polizistenschar eingetroffen war, um Unterstützung zu bieten.
Doch dort war niemand. Nur ein verängstigtes Mädchen und Restaurantangestellte, die mit starren Blicken hinter der Theke hervorspähten.
Tallon las die Geschichte, die auf dem Gesicht des Mannes geschrieben stand. Ein grausamer Mann, der seine Überlegenheit beweisen und eigenhändig jeden fertigmachen wollte, der sich ihm in den Weg stellte, in einer kleinen Restaurantkette am Rand von Nirgendwo, USA.
Der Blick veränderte sich, wurde beinahe hämisch, und Tallon wusste, dass der Schlag kam, bevor es dem großen Mann selbst bewusst war.
Der Hieb des Mannes war ein wenig unkonventionell, langsam, aber mit ausreichend Kraft dahinter.
Anstatt ihm auszuweichen, trat Tallon ihm einfach entgegen, lenkte den Arm im weiten Bogen ab, packte ihn mit beiden Händen und hieb ihn auf die Rücklehne eines