Wenn Lovell in solchen Gedankenverirrungen sich verwickelte und erwürgte, darf man nicht folgern, so sei es Tieck ergangen. Er glaubte an Liebe und Glück, aber er sah ein, daß das »was den Menschen ganz befriedigen soll, sein Gefühl und seinen Verstand zugleich ausfüllen muß.« Und in ihm waren Gefühl und Verstand »zwei neben einander laufende Seiltänzer, die sich ewig ihre Kunststücke nachahmen, einer verachtet den andern und will ihn übertreffen.« Darum ist der romantische Charakter der Gefahr in Ausschweifungen sich zu verwüsten um so viel mehr ausgesetzt als ein andrer; denn nur im Rausch, sei es der Liebe oder des Weines, wenn die eine Hälfte seines Wesens, das Bewußtsein, betäubt und eingeschläfert ist, kann er die Wonne genießen, um die er jedes Thier beneidet: sich eins zu fühlen.
»O Wein! du herrliche Gabe des Himmels! fließt nicht mit dir ein Göttergefühl durch alle unsre Adern? Flieht dann nicht Alles zurück, was uns in so mancher unsrer kalten Stunden demüthigt? Wir durchschauen wie mit Seherblicken die Welt, wir bemerken die Flucht in unsern Gedanken und Meinungen und fühlen mit lachendem Wohlbehagen, wie Denken und Fühlen, Träumen und Philosophiren, wie alle unsre Kräfte und Neigungen, alle Triebe, Wünsche und Genüsse nur Eine, Eine glänzende Sonne ausmachen, die nur in uns selbst zuweilen so tief hinunter sinkt, daß wir ihre verschiedene Strahlenbrechung für unterschiedene getrennte Wesen halten.«
Die Eine, Eine glänzende Sonne, das Ich, das nicht mehr zerspaltene, die Einheit des eigenen Wesens, das ist im Grunde das Ziel aller Sehnsucht; man kann es nicht deutlicher und schöner sagen, als Tieck hier gethan hat. Sein Ich ist das Wild, das er unermüdlich jagt, das Land, nach dem er auszieht, der Himmel, nach dem er sich sehnt. Sich selbst suchen ist die Arbeit seines ganzen Lebens. Fest gebannt ist er an den Abgrund seines Innern und starrt bezaubert in das wallende Chaos. »Wenn er so in sein bewegtes Gemüth sah«, erzählt Tieck vom Sternbald, »so war es, als wenn er in einen unergründlichen Strudel hinabschaute, wo Woge an Woge drängt und schäumt, und man doch keine Welle sondern kann, wo alle Fluthen sich verwirren und trennen und immer wieder durch einander wirbeln, ohne Stillstand, ohne Ruhe, wo dieselbe Melodie sich immer wiederholt und doch immer neue Abwechselung ertönt: Kein Stillstand, keine Bewegung, ein rauschendes, tosendes Räthsel, eine endlose, endlose Wuth des erzürnten, stürzenden Elementes.« Und dabei, das ist auffallend, kehrt immer die Klage wieder, daß er sich selbst nicht kenne; eben der Romantiker, der viel mehr von seinem Innern weiß als ein andrer Mensch, ist sich selbst ein Räthsel. Es ist im Grunde leicht zu erklären. Eine geistreiche Dame schilderte mir einmal den Zustand ihres Inneren, indem sie sagte, an der Grenze ihres Bewußtseins ständen viele Polizeisoldaten und Zollbeamten, die jedes aus dem Unbewußten auftauchende Gefühl sogleich confiscirten; es wäre in Folge dessen ein ganzer Leichenhügel von Gefühlsembryonen in ihrem Kopfe aufgestapelt. Ganz ähnlich sagt Tieck, daß wir oft, wie Mörder ängstlich den noch halb belebten Leichnam mit Erde bedecken, Empfindungen verscharren, die sich in uns zum Bewußtsein empor gearbeitet haben. Oefters hat er diesen geheimnißvollen Vorgang so anschaulich geschildert, daß wir den geisterhaften Verkehr zwischen zwei unsichtbaren Welten mit Augen zu sehen glauben.
»Wenn ich manchmal in der Abenddämmerung sitze und sinne, da ist es, als schwingt sich mir etwas im Herzen empor, ein Gefühl, das mich überrascht und erschreckt und dabei doch so still und selig befriedigt: ich greife dann mit dem Gedächtniß wie mit einer Hand danach, um es mir selber aufzubewahren Aber sonderbar, es ist in mir und verschwindet mir dann doch gänzlich wieder, so daß ich seiner nicht habhaft werden kann. Alle meine Gedanken stehen mir zu Gebote, alle meine Erinnerungen und Anschauungen, aber das ist ein Gefühl, das feiner und geistiger ist als Alles übrige; aber was ist es und woher kommt es und wohin geht es, wenn es nicht mehr in uns bleibt?« …
»Aus meinen Kinderjahren fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhörlich etwas Gräuliches und Entsetzliches denken mußte, wo ich statt meiner stillen Gebete Gott mit den gräßlichsten Flüchen lästerte und darüber weinte, und es doch nicht unterlassen konnte, wo es mich unaufhörlich drängte, meine Gespielen zu ermorden, und ich mich oft schlafen legte, bloß um es nicht zu thun. Damals war ich gewiß unschuldig und unverdorben und doch war diese Entsetzlichkeit in mir einheimisch – was war es denn nun, das mich trieb und mit gräßlicher Hand in meinem Herzen wühlte? Mein Willen und meine Empfindung sträubte sich dagegen, und doch gewährte mir dieser Zustand wieder innige Wollust.«
Wie der flüchtige Schein einer früheren Existenz, der in seine Kinderjahre hineinspiegelte, schienen ihm diese fremden, unerklärlichen Bilder, die nach eigener Willkür, seinem Einfluß entgegen, in seinem Innern heimisch waren. Wenn es möglich wäre, sich durch Anschauungen des Inneren kennen zu lernen, müßten solche Menschen sich kennen. Aber dort findet man nur das Menschenmögliche, nicht das Individuelle. Nur an seinen Handlungen erkennt man sich. Und wo sind die? In jenem Leichenhügel von Embryonen liegen sie begraben; daraus hätten sie werden sollen. Wie sie aussehen, wenn sie aus der ungestalteten Gefühlsmasse sich bilden und beleben, weiß der Romantiker, aber reif werden sie ihm nun nicht mehr. Man weiß, daß man die Milch nicht anrühren darf, wenn sie im Prozeß des Erstarrens ist; sonst wird sie nicht dick. So hat er die Entwickelung seiner Gefühle unterbrochen; nun können sie nicht mehr als zuversichtliche, ganze große Handlungen in's Leben greifen. Das ist sein wehevollstes Leiden: niemals ein einiges, starkes, lebendiges Gefühl zu haben, das einen unwiderstehlich hierhin oder dorthin risse, sich niemals in der Sturmeshand eines Genius zu fühlen, mit dessen Götterstimme man ohne Besinnen, freudig, siegesgewiß, Menschen und Gestirnen zum Trotz sagt: hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen. Anstatt dessen verdammt immer an sich zu zweifeln, auf den unentschlossenen, zögernden, freudlosen Verstand als Wegweiser angewiesen, immer nur Fragmente, Splitter, Gefühle von Gefühlen. Als Franz Sternbald nach jahrelanger Abwesenheit zu seinem sterbenden Vater kommt, möchte er ihm gern alle seine glühende Liebe zeigen; aber anstatt dessen muß er an Gemälde von Kranken, von trauernden Söhnen und wehklagenden Müttern denken, und ebenso geht es, als der Vater nun stirbt; in Betrachtung des Schmerzes verloren, fühlt er den Schmerz nicht, lechzt nach Thränen und findet keine. »Bin ich wahnsinnig oder was ist es mit diesem thörichten Herzen? Welche unsichtbare Hand fährt so zärtlich und grausam zugleich über alle Saiten in meinem Innern hinweg und scheucht alle Träume und Wundergestalten, Seufzer und Thränen und verklungene Lieder aus ihrem fernen Hinterhalt hervor? O mein Geist, ich fühle es, strebt nach dem Ueberirdischen, das keinem Menschen gegönnt ist! Mit magnetischer Gewalt zieht der unsichtbare Himmel mein Herz an sich und bewegt alle Ahndungen durch einander, die längst ausgeweinten Leiden und unmöglichen Wonnen, die Hoffnungen, die keine Erfüllung zulassen. Daher aber gebricht mir die Kraft, die den übrigen Menschen verliehen ist, und die uns zum Leben nothwendig bleibt, ich matte mich ab in mir selber und keiner hat dessen Gewinn, mein Muth verzehrt sich, ich wünsche, was ich selbst nicht kenne. Wie Jakob sehe ich im Traum die Himmelsleiter mit ihren Engeln, aber ich kann nicht selbst hinaufsteigen.…«
Das Unbewußte ist wie eine Masse, die dem Menschen das nöthige Gewicht giebt, seinen Ballast, damit er nicht den Winden und Wellen ein Spiel wird. Wenn es sich auflöst und wie ein berauschender Wein in den Kopf steigt, verliert er das Gleichgewicht und den Halt, er haftet nicht