Während der vollkommen unbewußte Mensch nur einen Weg des Handelns sieht, den seinigen, übersieht der vollkommen bewußte eine unendliche Menge, aber nicht ohne einen von Anfang an als den seinigen zu erkennen; beide haben eine richtigere Schätzung von sich und Andern, Jener freilich kein Verständnis. Der bewußtwerdende, der Dämmerungsmensch, mit seinem Eingehen in Andre, seinem Aufschlucken der fremden Persönlichkeit, seinem Aufgehen in ihr, ist der geborene Vertraute der Menschheit, Künstler der Freundschaft. Der instinktive Zug und Schwung des Gefühls, der die Helden der Liebe macht, fehlte den Romantikern meistens; in der feinen, spielenden Kunst, Geist an Geist zu reiben und zu entzünden waren sie Meister. Im Phantasus hat Tieck ein Bild zu geben gesucht von dieser zarten liebenswürdigen Geselligkeitsschwatzerei. Nirgends tritt das Weibliche der Romantik mehr hervor. Würden Männer, die nichts als Männer sind, mit so viel Grazie stundenlang über den hundertsten Theil der Faser einer Empfindung reden, plaudern und plaudern aus lauter Tanzlust des Geistes, heute durch Dick und Dünn eine Behauptung vertheidigen um sie morgen auf's Blut zu bekämpfen – »o Brüder, Engelsherzen, wieviel thörichtes Zeug wollen wir mit einander schwatzen!« Tieck hatte von Allen das größte Talent zur Freundschaft. Er hatte für Jeden Verständniß, Jeder konnte glauben, völlig mit ihm übereinzustimmen; was in dem Augenblick sich auch so verhielt. Sein Einfluß auf die Menschen fand hauptsächlich durch persönliche Gegenwart statt. Es that so wohl, sich in seinem empfänglichen Geiste widergespiegelt zu sehen; aber alle Spiegel bekommen ihren eigentlichen Werth, wenn man davor steht, ja sie sind im Grunde nur Etwas, insofern sie etwas Aufgefangenes widerstrahlen. Dies Gefühl, auch wiederum von denen abhängig zu sein, denen er so viel gab, mag zu der rührenden Pietät beigetragen haben, mit der er das Andenken der alten Freunde festhielt, während sich beständig, bis an sein Lebensende, neue um ihn sammelten. Als er eine Ausgabe seiner Werke veranstaltete, hatte er den Einfall, jeden Band einem Freunde zu widmen mit Worten, aus denen eine feine, geistige und darum unwandelbare Zärtlichkeit spricht. Des Freundes Eigenart ehren, sich von Jedem besonders ergänzen lassen, war die Grundlehre seiner Freundschaftskunst: man kann vielleicht vor dem Einen Geheimnisse haben, die man mit einem weniger Vertrauten theilt, wenn die Natur derselben Jenem unzugänglicher ist. »Verarge doch dem Freunde nicht, wenn du ahndest, daß er dir Etwas verbirgt; denn dies ist ja nur der Beweis einer zärteren Liebe, einer Scheu, die sich ängstlich um dich bewirbt und sittsam an dich schmiegt«; wie schön ist hier der bescheidene Geist der Freundschaft charakterisirt im Vergleich zur tyrannischen Liebe. Auch Schleiermacher und Friedrich philosophirten über Freundschaft, namentlich Friedrich hatte Unerhörtes mit der unsichtbaren Kirche, mit der neuen Hanse vor. Aber gerade er war viel zu massiv für diese ätherische Empfindung und hatte, trotz aller leidenschaftlichen Absicht, kein Glück damit. Wenn Tieck und Wackenroder Arm in Arm am Giebichenstein über der Saale saßen und die Welt hinter sich versinken ließen oder durch das alte Nürnberg mit einander schweiften, trunken von gemeinsamer Begeisterung, Einer durch den Andern beglückt und gehoben – das war romantische Freundschaft; romantisch auch dadurch, daß die verhüllte Gestalt des Todes dicht wie ihr Schatten ihnen nachzog. Ein langes Leben voll Krankheit war dem Einen bestimmt, Wackenroder ein jähes Sterben in der Jugend.
Wackenroder: ein Mensch von solcher Lieblichkeit, daß das zarteste Wort zu plump scheint, um sein Wesen zu bezeichnen; unter den übrigen Menschen wie Daniel unter den Löwen, aber ohne dessen erhabene Sicherheit. Denn er war scheu und nie ohne verhaltene Angst vor dem Leben, vor dem Zuviel; besonders vor dem Zuviel des Glückes. Wenn Tieck ihm seine glühende Freundschaft betheuerte und wie er nicht ohne ihn leben könne, erschrak er fast mehr als er sich freute, und wenn Tieck, von ihm getrennt, ein Wiedersehen und längeres Zusammenleben vorschlug, wehrte er sogar mit inständiger Dringlichkeit ab: das klopfende Herz möchte den liebsten Wunsch so gerne fassen und halten, wenn es nicht zu zerspringen fürchtete, die Krone des Glückes scheint zu schwer für das demüthige Haupt. Er wich aus, wenn das Füllhorn des Ueberflusses sich ihm zuneigte, weil er nicht wußte, wie er hernach das Entbehren ertragen sollte. Aber wenn das Schöne doch kam, empfing er es dankbar und selig. Ein gewisser überirdischer Ernst scheint ihn niemals verlassen zu haben, wenigstens mußte er bei den gemeinsamen Theaterausführungen der Freunde, als der am meisten dazu geeignete, die Kaiser und Könige darstellen. Allerdings war es ihm anzumerken, daß er in einem unsichtbaren Königreiche lebte und sich niemals in der Erdenregion zurechtfinden konnte, wo er auf einmal als ein gewöhnlicher Unterthan mit der körperlichen Welt hantiren sollte. Er gab sich große Mühe dazu und litt beständig unter Mißerfolgen. Um das gewaltthätige Menschenvolk nicht zu verletzen, wagte er sich mit feinen Prinzenideen nicht hervor und quälte sich doch mit Gewissensbissen über solche Unehrlichkeit und Feigheit. Er schleppte sich wund und müde an der Last des Berufes, den sein Vater ihm aufgezwungen hatte, am Studium der Jurisprudenz, und konnte doch, bei aller Hochachtung vor der Wissenschaft, seinen Widerwillen gegen einseitige Thätigkeit des kritischen Verstandes nicht überwinden. Er beneidete die Priester darum, daß ihr einziges Geschäft Verehrung und Anbetung war. Und das ist zu bewundern, wie streng, scharf, kritisch er sein konnte, wenn es galt, Tieck's erste poetische Versuche, die er mit übermüthiger Nachlässigkeit zusammenschrieb, zu beurtheilen; er ließ dem Freunde, an dessen Dichterberuf er glaubte, nichts Mittelmäßiges hingehen.
Von Frauenliebe scheint er nichts gewußt zu haben; Tieck gehörte die ganze Fülle seines zärtlichen Herzens. Vielleicht ahnte er, daß er sich an der Brandfackel der Liebe sogleich verzehrt haben würde. Voll Leidenschaft und Sinnlichkeit war er und hätte vielleicht ein wilder, ausschweifender Mensch werden können, wenn nicht in seinem Innern Etwas entzwei gewesen wäre: ich meine den Riß in der Scheidewand zwischen dem Bewußtsein und dem Unbewußten. Nun strömte, was sich sonst vielleicht in furchtbaren vulkanischen Ausbrüchen entladen hätte, als betäubendes Dampfgewölk an's Licht und machte ihn zum phantastischen Träumer. Dem Geiste, in dem seine Sinnlichkeit sich aufgelöst hatte, theilte sie all ihr Süßes mit. Den Nebel aufzusaugen und zu vertheilen hatte die Sonne seines Bewußtseins nicht die Kraft, und so war ein wogender, dämmeriger Schleier über