Der dritte Haupttypus ist der die beiden früheren vereinigende, der mannweibliche. Diesen Typus trägt das Genie. Hier ist die Verbindung zwischen den beiden Welten durch eine Feder geregelt. Ungestört geht die Entwickelung der Kräfte im Unterirdischen vor sich. Sind sie aber reif, so heben sie die Klappe und betreten das Lichtreich. Sie können sowohl nach außen wie nach innen wirken. Diese Menschen müssen sich nicht selbst zerstören, um sich selbst zu kennen. Sie brauchen nicht deshalb, weil sie wissen, auf das Handeln und Schaffen zu verzichten. Sie können zuweilen mit den Menschen der ersten Klasse verwechselt werden, wie denn das Genie auch oft aus primitiven Kreisen hervorgeht. Sie können einfach, ja unbedeutend erscheinen, und es kann das Ansehen haben, als brächten sie das Große, was sie leisten, nur zufällig hervor.
Für jeden Menschen ist das Sichöffnen der Klappe wenn ich bei dem elementaren Bilde bleiben darf – etwas Erwünschtes, das er herbeizuführen strebt: Rausch im weitesten Sinne, die höchsten Momente des Lebens. Es ist das Auflösen des Festen und Schweren im Menschen, weswegen auch die Berauschten, Begeisterten sich so leicht fühlen, als flögen sie. Man könnte es auch Bewußtwerden oder Romantisiren nennen. Eine alte chemische Regel heißt: corpora non agunt nisi soluta; die Alchymisten gingen deshalb darauf aus, eine Substanz zu finden, die jeden Körper löste: Alkahest nannten sie dies hypothetische Mittel. Auch der Mensch wirkt nur, wenn das Unbewußte in ihm sich löst, so daß er handelt nach außen oder nach innen. Seine Lösungsmittel sind vor allem Jugend, Liebe und Wein – die Griechen nannten Dionysos den Lösenden – kurz Wärme. Die südlichen Völker gebrauchen weniger Wein als die nördlichen, weil die Klappe sich mit Leichtigkeit, fast allzuleicht, von selbst öffnet. Diese und die Dämmerungsmenschen, bei denen die Klappe immer offen steht oder einen Riß hat – solche giebt es mehr im Norden – sind die Immerberauschten; ein Alkahest, das noch dazu kommt, wirft sie ganz über den Haufen. In seinem Sternbald läßt Tieck den Lukas v. Leyden, den er als schlichten, unermüdlich thätigen, mehr schaffenden als denkenden Mann schildert, am liebsten nach Tische arbeiten, wenn er vom Wein erhitzt ist; während der sinnige, phantasievolle Dürer sagt, daß er im Gegentheil nur nüchtern malen könne: »denn mir steigt der Wein in den Kopf und verdunkelt mir den Gedanken.« Kunstgenuß wirkt nicht auf Alle lösend. Je geistiger das Alkahest ist, dessen der Mensch bedarf, um sich selbst zu genießen, desto höher steht er. Einst wird es ganz überflüssig werden: dann leben die Zukunftsmenschen, von denen Novalis sagt, daß sie immer zugleich wachen und schlafen werden.
Die meisten Romantiker waren weiblicher Art, Dämmerungsmenschen, aber sie strebten nach Harmonie. Selbst oft einseitig, ließen sie doch nie die Einheit und Ganzheit aus den Augen; in ihr Gebet an die Sonne klingt die berühmte Heraufbeschwörung der mondbeglänzten Zaubernacht wie eine harmonische Begleitung einstimmiger Melodie hinein.
Insofern als das wachsende Selbstbewußtsein beständig mit Fragmenten, mit in der Entwicklung unterbrochenen Organismen zu thun hat, bringt es krankhafte, verzerrte Erscheinungen hervor. Die romantische Literatur ist reich daran. Friedrich Schlegel sagt sogar geradezu, Jean Paul stehe so hoch über Sterne, als er krankhafter sei als dieser. Aber ihr Interesse am Krankhaften war nicht etwa blasirter Ueberdruß am Einfachen und Schönen oder überreizte Sucht nach dem noch nie Dagewesenen, sondern die Einsicht in das Wesen des Krankhaften als Symptom der beginnenden Entwicklung, als ein nothwendiges Uebergangsstadium, das mit Freuden begrüßt werden muß, weil es beweist, daß der Kampf, ohne den der Sieg nicht sein kann, nun doch im Gange ist. Ich will einige darauf bezügliche Bemerkungen von Novalis anführen:
»Krankheit gehört zur Individualisirung. Es gilt hier, wie auch bei den menschlichen Gemüthern, gerade das, was in der bildenden Kunst von dem DoryphorDoryphorusm Canon gilt.«
»Krankheiten zeichnen den Menschen vor den Pflanzen und Thieren aus. Zum Leiden ist der Mensch geboren. Alle Krankheiten gleichen der Sünde darin, daß sie Transcendenzen sind. Unsre Krankheiten sind alle Phänomene einer erhöhten Sensation, die in höhere Kraft übergehen will.«
»Je mehr der Mensch seinen Sinn für's Leben künstlerisch ausbildet, desto mehr interessirt ihn auch die Disharmonie – wegen der Auflösung.«
Daß es immer nur »wegen der Auflösung« ist, darf nie vergessen werden. Und wie verschieden die Entwicklung vor sich gehen kann, zeigt das Beispiel der Nationen. Bei den romanischen Völkern bildet sich der Stoff des Geschehens allmälig im Unbewußten und bricht plötzlich in furchtbaren Revolutionen hervor. Bei den germanischen Völkern geht die Entwicklung in kleineren Wellenbewegungen, langsamer, zuweilen verzweifelt langsam, aber sie ist interessanter, reicher und viel umfassender, besonnener. In den Engländern vereinigt sich die Harmonie und Kraft des Unbewußten mit der Fülle, Tiefe und Vielseitigkeit des Bewußten.
Die schönste Verherrlichung der »dunklen Gefühle« muß man bei Wackenroder, dem lieblichsten, dem verträumtesten Romantiker suchen. Seine Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders sind eine schwärmerische Verkündigung des Glaubens, daß Kunst nichts Erlernbares, sondern göttliche Eingebung, Offenbarung sei. Das Buch ist wie eins, das lange, lange Jahre in einer Kirche gelegen hat, ein Psalterium mit goldnen und flammenden Ornamenten zwischen den mystischen Gesängen und durch und durch süß von dem Weihrauch, der es beständig umwölkt hat. Ihn ängstigte das Licht, weil er nie völlig aus dem Schlafe erwacht war: sein ganzes Leben war wie das Aufschrecken eines müden Schläfers, der blinzelnd in's Morgenlicht sieht, aus den umschlingenden Blumenranken seines Traumes sich nicht losreißen kann und sich willig von ihnen in den Schlummer zurücklocken läßt. »Die Weltweisen«, sagt er, »sind aus einem an sich löblichen Eifer für die Wahrheit irre gegangen; sie haben die Geheimnisse des Himmels aufdecken und unter die irdischen Dinge, in irdische Beleuchtung stellen wollen und die dunklen Gefühle von denselben, mit kühner Verfechtung ihres Rechtes, aus ihrer Brust verstoßen. Vermag der schwache Mensch die Geheimnisse des Himmels aufzuhellen? Glaubt er verwegen an's Licht ziehen zu können, was Gott mit seiner Hand bedeckte? Darf er wohl die dunkeln Gefühle, welche wie verhüllte Engel zu uns herniedersteigen, hochmüthig von sich weisen? Ich ehre sie in tiefer Demuth; denn es ist große Gnade von Gott, daß er uns diese echten Zeugen der Wahrheit herabgesendet. Ich falte die Hände und bete an.« Weil er mit Worten, der Sprache des Bewußtseins, die dunklen Gefühle nicht offenbaren kann, die so überwältigend aus dem Grunde seines Innern ihn überströmen, flüchtet er zur Musik. Sie könnte ihn aus seiner Bedrängniß erlösen. Der ganze Strom von Schmerz und Wonne, der sich aus den Tönen über das widerstandslose, behende Herz ergießt, rauscht unterirdisch unter seiner Sprache.
»Und so erkühne ich mich denn, aus meinem Innersten den wahren Sinn der Tonkunst auszusprechen und sage: Wenn alle die inneren Schwingungen unsrer Herzensfibern – die zitternden der Freude, die stürmischen des Entzückens, die hochklopfenden Pulse verzehrender Anbetung –, wenn alle die Sprache der Worte, als das Grab der inneren Herzenswuth, mit einem Ausruf zersprengen: dann gehen sie unter fremdem Himmel, in den Schwingungen holdseliger Harfensaiten. wie in einem jenseitigen Leben in verklärter Schönheit hervor und feiern als Engelgestalten ihre Auferstehung.«
Unermüdlich tönt seine wohllautende Klage über die kalten Vernünftler, die das »stumme Singen, den vermummten Tanz der unsichtbaren Geister in ihrem Innern« an das Licht zerren wollen; die sich nicht begnügen, den verdeckten Strom in der Tiefe ihres Gemüths von ferne rauschen zu hören. Unermüdlich lobt seine melodische Zunge die göttliche Kraft der Musik, die uns das unendliche Lied, das wir da unten gehört haben, aus bezauberten Saiten schöner wieder vorsingt, bis zuletzt seine Worte in Thränen sich auflösen. »Aber was streb' ich Thörichter, die Worte zu Tönen zu zerschmelzen? Es ist immer nicht, wie ich's fühle. Kommt, ihr Töne, ziehet daher und errettet mich aus diesem schmerzlichen irdischen Streben nach Worten, wickelt mich ein mit euren tausendfachen Strahlen in eure glänzenden Wolken und hebt mich hinaus in die alte Umarmung des allliebenden Himmels!«
Wie ein keimendes Pflänzchen, das unter der winterlichen Blätterhülle allzulange der Sonne entzogen war und niemals frisch und kräftig werden kann, sehnt er sich immer in den dunkeln Schoß der Erde. Aber dennoch, und ohne diesen Zug wäre er kein echter Romantiker, graut es ihm zuweilen