Sie erzählte die Unterhaltung, die sie mit unserem Vater gehabt hatte, nicht nur mir, sondern auch Galeiden wieder, wobei wir alle den immer schlimmer werdenden Zustand des unglücklichen Mannes beklagten, nicht minder aber uns, die wir darunter zu leiden hatten. Ob Lucile auch ihrem Manne davon sagte, weiß ich nicht oder habe ich vergessen; es ist aber gewiß, daß er und meine Schwester sich in vollständiger Unbefangenheit gegenüberstanden oder, wie man ebensogut sagen könnte, in der Befangenheit, die für Lucile immer ein Gegenstand des Bedauerns und der Verwunderung gewesen war.
Es kam aber noch etwas dazu, was meinen Vater in seinem Wahne bestärkte. Damals bewarben sich zwei junge Männer um meine Schwester, von denen der eine ihm als Schwiegersohn sehr zugesagt hätte. Es war ein Bürger unserer Stadt, nicht übel im Äußeren, geschmeidigen Geistes, so daß er, obwohl von anderem Schlage als wir, sich ganz in unsere Art hineingelebt hatte und dem Urgroßvater sowie meinen Eltern stets in der Weise zu begegnen wußte, die ihnen am besten zusagte. Er tat das aber nicht aus Berechnung allein, sondern es war auch eine natürliche Freundlichkeit der Gesinnung, die ihm ein richtiges Verständnis der Menschen vermittelte. Auch Galeiden und mir behagte er ausnehmend, da er, was wir vorzugsweise liebten, einen gutartigen und dabei feinen Witz in der Unterhaltung entfalten und bei anderen entfesseln konnte. Je trüber die Stimmung in unserem Hause zu werden drohte, sobald wir allein waren, desto mehr waren wir erfreut über die Zerstreuung und Ablenkung, die er uns brachte, und wir ermutigten ihn, seine Besuche recht oft zu wiederholen, ohne daran zu denken, welche Folgen das nach sich ziehen konnte. Er war auch musikalisch, was bei uns, da wir alle die Musik leidenschaftlich liebten und betrieben, einen jeden gut einführte und beliebt machte. Er war nämlich berufsmäßiger Cellospieler und hatte eine gute und angesehene Stellung im Orchester unserer Oper. Er hieß Georg Wendelin. Galeide war ihm sichtlich sehr zugetan, aber ebenso deutlich war ihr anzumerken, daß sie nichts für ihn empfand, was Liebe hätte erwarten lassen können. Sie war ihm auch, so reich wie er ausgestattet war mit Geist und Talent, dennoch überlegen, insofern als sie einen stärkeren, ausgeprägteren Charakter hatte als er, was sich auch bald zeigte; denn er ließ sich blindlings von ihr beherrschen, ohne auf die mindeste Gegenseitigkeit in dieser Hinsicht Anspruch machen zu können.
Der andere, ein Rheinländer, stand ihrem Herzen noch ferner, aber beschäftigte sie mehr durch die fremdartigen Ideen, die er in unseren Kreis brachte. Denn dieser war ein Jüngling nach der neuesten Mode, hatte alles gelesen und über alles nachgedacht, fand alles schlecht, was war, und vermaß sich, alles besser machen zu können, hing auch, wie man sich hiernach schon denken kann, dem sozialistischen Glauben an und übertrug seine Neuerungssucht auf alle Gebiete, als Poesie, Musik, Malerei und so weiter. Solche Dinge hatten starke Anziehungskraft für Galeiden, aber da sie sich nie von anderen etwas einreden ließ, sondern, und das sage ich zu ihrem Lobe, alles selbst eingesehen und erfahren haben wollte, bevor sie es als ihre Meinung vertrat, setzte sie dem jungen Manne zunächst noch ihre alten Ansichten entgegen, die großenteils nichts als überkommener Hausrat waren, den sie kaum einmal auf seine Brauchbarkeit geprüft hatte. Der junge Rheinländer gereichte mir wegen seiner Ansichten zu unausstehlicher Widerwärtigkeit, dagegen gefiel er meiner Mutter recht wohl, und sie erbaute sich höchlich an seinen überspannten Äußerungen. Sie war nämlich von so urwüchsiger Frische des Geistes, daß nichts Formelhaftes an ihr blieb und sie beeinflußte, darum störte sie das Ungewohnte einer Idee nicht, sondern sie brachte ihr immer wenigstens den Geschmack entgegen, den man am Durchstreifen einer unerforschten Gegend findet, auch wenn sie einem an sich nicht würde gefallen können. Der Urgroßvater vollends war durchaus für den Rheinländer, der nebenbei ein gefälliger und genialisch zugestutzter Mensch war; er bildete sich unvermerkt zum Sozialisten und Umstürzler heran, was er so prächtig mit seinen aristokratischen Vorurteilen zu vereinigen wußte, daß es mir ein psychologischer Hochgenuß gewesen wäre, wenn nicht der junge Mensch, Philipp Wittich hieß er, ganz aufgebläht durch diesen Erfolg geworden wäre. Deswegen machte es mir Verdruß. Galeide verkehrte mit ihren beiden Verehrern in aller Behaglichkeit; sie ließ sich überhaupt nicht ungern und recht anmutig den Hof machen, zumal wenn es die betreffenden Leute auf eine kurzweilige und nicht alberne Art anzustellen wußten.
Sie war dabei ihres Herzens ganz sicher; denn das blieb kalt wie Marmelstein, und es bekümmerte sie wenig, welches die Gefühle der armseligen Jünglinge sein mochten, wenn sie so zutraulich und geschwisterlich mit ihnen umging. Sie erinnerte in dieser Hinsicht an die Kinder, die zufriedenen Gemütes den Fröschen und Käfern Beine ausreißen und sie zappeln sehen, welche Grausamkeit uns wohl mit Abscheu erfüllt, aber den Kindern billigerweise nicht zur Last gelegt werden darf, da sie ohne Absicht und man möchte sagen unbewußt handeln.
Wir suchten es zu vermeiden, daß Wendelin und Wittich bei uns zusammentrafen; denn wegen der Nebenbuhlerschaft, dann aber auch wegen der Verschiedenheit ihrer Naturen und Ansichten, waren sie einander spinnefeind und erregten einen feindselig unruhigen Ton in der Unterhaltung, der die Gemütlichkeit verscheuchte. Allen beiden war wiederum mein Vetter Ezard nicht gewogen, und das war es eben, was meinen Vater in der Ansicht unterstützte, er gönne meine Schwester niemandem, trachte überhaupt danach, daß sie, wenn er sie nun auch nicht für sich haben könne, doch wenigstens keinem anderen angehöre. Da nun mein Vater, immer seine furchtbare Vermögenslage im Sinn, auf das heißeste wünschte, meine Schwester verheiratet und gut versorgt zu wissen, war er für eine Heirat mit dem Cellisten sehr eingenommen, wenn er auch zu zartfühlend war, um Galeiden mit der geringsten Andeutung beeinflussen zu wollen.
Daß Ezard dem Rheinländer nicht gewogen war, schrieb sich mehr von der Verschiedenheit ihrer Naturen als ihrer Ansichten her; denn obwohl er die Sucht nach Neuerungen, und noch dazu gewaltsam herbeigeführten, mißbilligte, suchte er doch nach seiner großen Gerechtigkeitsliebe stets die Person von ihren Meinungen zu trennen und bemühte sich oft, einen Menschen zu schätzen, indem er seine Ansichten bekämpfte. Aber bei der Jugendlichkeit des Rheinländers streiften dessen wie Offenbarungen verkündigte Behauptungen oft an Unbescheidenheit, denn er konnte sie kaum gründlich erfahren und erprobt, nur eben von der Straße aufgelesen haben. Man merkte ihm an, daß er auf trockenem, sandigem Boden erwachsen, zum Ungewöhnlichen und Überschwenglichen hinstrebte, ohne etwas Entsprechendes in seiner eigenen Natur zu haben, in der Art, wie verwachsene Menschen oft eine Sucht haben, sich mit buntem, auffälligem Flitter aufzuputzen. Weniger gut kann ich mir erklären, warum Ezard gegen Wendelin zurückhaltend war. Es scheint mir das Glaublichste, daß eine gewisse Unkraft und Mittelmäßigkeit in der Natur des Cellisten ihn zu dem Ausspruch bewog, er wolle zwar gern mit ihm scherzen und musizieren, halte ihn aber für keinen wünschenswerten Zuwachs unserer Familie.
Mein Vater bildete sich nun nicht nur ein, Ezard rede und handle so im Hinblick auf Galeiden, sondern ebenso glaubte er von ihr, sie verschmähe ihre Freier um Ezards willen; wenn sie ihn auch nicht liebe, obwohl dies wahrscheinlich sei, so könne sie es doch nicht übers Herz bringen, seinen Wünschen zuwiderzuhandeln. In