»Ach,« sagte sie, »ich habe es Ihnen gerade heute mitteilen wollen, da Sie mir so sonderbar vorkamen, nämlich daß ich schon seit geraumer Zeit verheiratet bin.« Das war nun allerdings genug, um meine Schäferlaune ganz und völlig umzublasen und mich, nachdem ich Besinnung und Fassung wiedererlangt hatte, mit einem wohlerworbenen Ingrimm zu erfüllen. Vera schien denselben zwar gar nicht unberechtigt zu finden, ertrug ihn aber mit ziemlicher Leichtherzigkeit und erzählte mir in beschwichtigendem Plaudertone, daß der vermaledeite Gemahl Russe und Student sei wie sie, und daß sie, da seine wie ihre Eltern durch schlechte Ernte und sonstiges russisches Elend schwer betroffen gewesen seien, längere Zeit ohne Geld hätten auskommen müssen. Es sei ihnen sehr kümmerlich ergangen, und sie hätte dem hungernden Gatten stets die Käsebrote mitgenommen, die nach ihrer listigen Angabe für eine kranke Freundin bestimmt gewesen wären. Ich hatte anfänglich Lust, das leichte Wesen zu nehmen und mit kräftigem Schwunge weit in den See hinaus zu werfen, doch legte sich meine Wut, je mehr ich anfing, das Abenteuer seltsam und belustigend zu finden. »Aber,« sagte ich grollend, »war denn der einfältige Tropf nicht eifersüchtig?« »O,« sagte sie, »ich erzählte ihm Wort für Wort wieder, was ich mit Ihnen sprach, und dann bekam er doch das Brot und den Käse; wir sind auch nicht mehr so kindisch, da wir ja schon über ein Jahr verheiratet sind.« Sie erzählte mir weiter, daß die Verhältnisse ihrer Eltern sich gebessert hätten, daß sie wieder Geld bekämen, und daß sie, wie sie mir auch heute hätte ankündigen wollen, auf unsere gemeinsamen Spaziergänge nun verzichten wolle, da sie doch einmal anfangen müsse, gründlich zu studieren. »Ja, das wird denn auch wohl das Beste sein,« sagte ich und führte sie auf dem nächsten Dampfschiff in eintretender Dämmerung nach Hause. Wir trennten uns in Minne, und ich war bei späterer Überlegung im Grunde nicht unzufrieden mit dem gutartigen Ausgang dieser Liebesgeschichte. Auch darf ich mir das Zeugnis ausstellen, daß ich aus dem Ereignis in keiner Weise verallgemeinernde Schlüsse zog und mich mit Äußerungen über die moralische und intellektuelle Beschaffenheit der studierenden Mädchen stets behutsam zurückhielt, da es mir schien, als seien sie besser als ihr Ruf, so daß ich es für unbillig gehalten hätte, denselben aus Gehässigkeit und Rachsucht noch zu verschlechtern.
XI
Ezard und Lucile bekamen einen Knaben und ein Mädchen. Das erste Kind, der Knabe, wurde nach seinem Großvater Harre benannt. Neben ihm war Galeide Patin wegen der Liebe, die sie und Lucile zueinander hatten, die sich in der Zeit, wo meine Schwester die junge Wöchnerin gepflegt hatte, noch um vieles gesteigert zu haben schien. Denn sowie das Kind geboren war, siedelte Galeide fast ganz nach Ezards Hause über, damit Lucile nie allein sei. Ezard war voll sorgfältiger Aufmerksamkeit gegen seine Frau und suchte sie jeden Tag durch irgend eine anmutige Gabe oder einen liebevollen Einfall zu unterhalten, aber er hielt sich nicht sonderlich gern in Krankenzimmern auf und mußte ohnehin während des Tages meist seinen Geschäften nachgehen. So ließ es sich denn Lucile gern in meiner Schwester Zärtlichkeit wohl sein und tat, als ob es überhaupt kein liebenswertes Geschöpf auf der Welt gäbe außer Galeide. Das ist allerdings zuzugeben, daß es in dem Krankenzimmer behaglicher war, als in vielen Gesellschaftsräumen, und daß das zum Teil Galeidens ruhig heiterem Gesicht und anmutigen Sitten zu verdanken war. Wenn sie um Lucile beschäftigt war, so erfreuten ihre sanften Bewegungen und ihr gleitender Gang; sonst aber saß sie in einem beweglichen Stuhl, den sie beständig leise, leise hin und her schaukelte, und plauderte harmlose, gute Dinge mit wohltönender Stimme, daß es an das Geräusch von Wassertropfen mahnte, die über ein stillstehendes Mühlrad hinabrieseln. In angemessenen Zwischenräumen brachte sie immer einen ihrer absonderlichen Einfälle vor, die zum Widerspruch oder zum Nachdenken reizten, wußte sich aber so spielerisch und gutgelaunt zu verteidigen, daß ernstlicher Hader vermieden wurde. Lucile war auch meistens Galeidens Meinung, weniger weil sie von gewichtigen Gründen überzeugt war, als weil sie einer gewissen überredenden Art und Weise, die meine Schwester an sich hatte, nicht widerstehen konnte; es hatte sich überhaupt zwischen den beiden ein Verhältnis gebildet, als ob Galeide die ältere wäre. Galeide pflegte über Welt und Leute zu reden, wie wenn sie von einer Wolke auf sie herabsähe und selbst gar nicht dazugehörte, womit sie vielen ganz ungemein imponierte. Häufig holte ich am Abend Galeiden ab, um sie nach Haus zurückzubegleiten; denn wie oft auch Lucile Ezard dazu anzuhalten suchte, stets wiesen sie es beide zurück. Galeide sagte sogar einmal in Ezards Gegenwart: »Warum soll er mich denn begleiten? Da wir einander doch so unaussprechlich langweilen!« Worüber beide herzlich lachen mußten; denn es macht immer Vergnügen, seine wahren Empfindungen einmal voll aussprechen zu dürfen und am meisten dann, wenn der gute Ton und die Regeln der Geselligkeit dem eigentlich im Wege stehen würden.
Harreke, der mich wegen seiner roten Hautfarbe und seines vielen Geschreis mit Schauder erfüllte, legte auch bald die übliche Zuneigung für Galeiden an den Tag, was freilich nicht zu verwundern war, da sie sich mit ihm schleppte und mit ihm spielte wie einst mit ihren Kaninchen und Kätzchen, und die Weichheit ihrer Stimme, wenn sie ihm Wiegenlieder vorsang, auf seinen jedenfalls noch tierisch ungeschlachten Organismus eine magnetisierende, beschwichtigende Wirkung üben mochte. Es erschien häufig, als ob Galeide und nicht Lucile die Mutter des Kindes wäre; denn während er nach meiner Schwester stets mit verlangendem Zappeln die Arme ausstreckte, suchte Lucile eine erzieherische Methode an ihm auszuüben, um ihn vermittels des besten Systems zum preiswürdigsten aller Menschen heranzubilden, was der Gequälte, der noch nichts als Lust und Unlust unterscheiden konnte, naturgemäß mit Furcht und Abscheu von sich abzuwehren suchte.
Zur Taufe veranstaltete Ezard ein Familienfest. Wenn ich daran zurückdenke, so ist es mir, da fast alle von denen, die daran teilnahmen, nun tot sind, als stände ich inmitten eines Kirchhofs, und die Gestalten stiegen, von meiner Sehnsucht heraufgefordert, aus ihren Gräbern in dem Putz, den sie damals trugen, und umkreisten mich im feierlichen Reigen, blaß und schweigend, die ich damals prangend in Kraft und Schönheit gesehen habe.
Das Volk drängte sich vor den Türen der Kirche, um die Ursleuen taufen zu sehen. Gott im Himmel, wie lange scheint es her zu sein! Ich fuhr mit dem Urgroßvater und Galeiden zur Kirche. Sie nahm einen Sitz allein ein, um ihr Kleid zu schonen, wie sie sehr wichtig verkündigte; man wußte aber wohl, daß ihr im Grunde nichts daran gelegen war. Wir waren aufgeräumt, und ich muß sagen, daß es sich sehr gut mit meiner Schwester scherzen ließ, da sie eine wahre Lust am Komischen hatte und von ferne witterte, wo es für ein gesundes Germanengemüt etwas zu lachen gab. Der Urgroßvater liebte es, uns dabei zuzuhören, und pflegte, wie er uns denn jede schmeichelhafte Bemerkung, die er über uns machte, sofort preisgab, zu sagen, unser Witz gleiche zwei Windspielen, die in anmutigen Windungen miteinander tanzen und jagen. Als wir in die Sakristei kamen, wo die jungen Eltern uns empfingen,