Der rauschende Baum und die schwimmende Wolke auf den Bildern Elsheimers, Rembrandts schmelzender Umriß, sie leiten über zur Musik, der größten Offenbarung des 17. Jahrhunderts, derjenigen Kunst, die, von allen Künsten am innigsten mit der Religion verbunden, in Deutschland ihre höchste Vollendung erreicht hat. Mathematik und Magie, auf diesen beiden Gebieten schrieb man im 16. Jahrhundert den Deutschen die Meisterschaft zu; zu ihnen gesellte sich die Musik, mit beiden verwandt, vielleicht ein Ergebnis beider, Bezauberung erwachsen aus der Mathematik. In Italien, Frankreich, England und den Niederlanden war Musik in den verflossenen Jahrhunderten erfolgreich gepflegt worden, eine Kunstübung, die fast wissenschaftlich durchdacht und erlernbar war. Von den Musikkapellen, die Fürsten hielten, um kirchlichen und weltlichen Festen Glanz zu verleihen, waren die des Kaisers Maximilian und des Kurfürsten Friedrich von Sachsen die berühmtesten. Sie bezogen die Musik hauptsächlich aus Flandern, doch gab es nun auch schon namhafte deutsche Komponisten. Sie arbeiteten ganz im flandrischen oder italienischen Stil; die folgenreiche Wendung zu deutscher Eigenart kam der Musik aus dem Luthertum.
Die bibelgläubigen Sekten, Waldenser, Wiclifiten, Hussiten, verwarfen das Erbauen und besonders das prächtige Schmücken von Kirchen, teils aus Entrüstung über den Aufwand, während arme Brüder Hunger litten, teils im Hinblick auf gewisse Bibelstellen, die darauf hinwiesen, daß Gott zu groß, zu unfaßbar sei, als daß er in Häuser gebannt und dort angebetet werden wolle. Diese Einstellung hatte auch Luther: die Liebe des Nächsten sei wichtiger als Kirchenbauen, sagte er, wenn es auch nicht böse sei, und er erinnerte an die Worte des Jesaias: »Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meine Fußbank; was ist's denn für ein Haus, das ihr mir bauen wollt!« Andererseits war er viel zu konservativ, um etwa die Verehrung Gottes in Gotteshäusern abschaffen zu wollen; aber er hat doch, ohne sich das zum Ziel zu setzen, eine neue Kirche gebaut oder doch den Grund dazu gelegt, eine unsichtbare, eine Kirche aus Musik. Nicht das Gesicht, das Gehör, sagte er, sei das eigentliche Organ des Christen, das Organ für die unsichtbaren Dinge. Er hat sich viel mit den Geheimnissen der Musik, die er so sehr liebte und die so große Gewalt über ihn hatte, beschäftigt. Um ihr Wesen zu bezeichnen, wies er ihr den Platz gleich neben der Theologie an, und wenn sein Freund, der Kantor Walther, mit dem zusammen er die deutsche Messe ausarbeitete, gelegentlich schrieb, die Musik gehöre eigentlich und erblich der heiligen Theologie, ja sie sei so in sie eingewickelt und verschlossen, daß, wer die Theologie begehre und studiere, auch die Musik darunter verstehe, so war das gewiß ein Nachklang seiner Gespräche mit Luther. Luthers Auffassung der Musik hat sich seiner Umgebung so eingeprägt, daß sie sogar in amtlichen Dokumenten erschien. Als der Kurfürst Johann Friedrich der Kantorei einen Zuschuß versprach, führte er als Begründung an, daß der Ehrwürdige und Hochgelahrte, Doktor Martin Luther, ihn mündlich und schriftlich höchlich ermahnt habe, die Musik, die vor allen anderen Künsten der Theologie nahe sei, erhalten zu helfen, und der Rektor der Universität Wittenberg sagte in einem Ausschreiben, Gott habe den Sinn für Harmonie, die Gesänge und die Kunst des Singens dem menschlichen Geschlecht darum gegeben, weil der Gesang die himmlische Lehre verbreite und erhalte. Im Verein mit Walther hat Luther die Musik zu einem erheblichen Teil des evangelischen Gottesdienstes gemacht. Von dem protestantischen Historiker Sleidan stammt die Nachricht, Luther habe die Melodie zu seinem Liede: »Ein feste Burg ist unser Gott« selbst gefunden; es ist nicht unmöglich, wie es auch möglich ist, daß ihn eine volkstümliche Weise des Mittelalters dabei beeinflußt hat. Auch auf dem Gebiete der Musik war er Bewahrer der mittelalterlichen Überlieferung. Er liebte sowohl den einstimmigen gregorianischen Gesang wie die volkstümlichen Weisen deutscher Lieder, die hier und da in den Kirchen gesungen wurden, wie auch, und zwar ganz besonders die von den Niederländern gepflegte Kunstmusik, den sogenannten Figuralgesang. Die Eigentümlichkeit desselben bestand darin, daß eine Stimme, nämlich der Tenor, die Choralmelodie führte, den Baß, Diskant und Alt mit verschlungenen Figuren umspielten, was Luther selbst mit inniger Freude an dem labyrinthischen Vielklang anschaulich geschildert hat. Trotz manchen Widerspruchs behielt Luther den Figuralgesang als Teil des Gottesdienstes bei und sorgte dafür, daß er in den sächsischen Kantoreien, die es bald fast in jeder Stadt, ja in manchem Dorfe gab, gepflegt wurde. Es ließ sich dagegen einwenden, daß es der Gemeinde nicht möglich war mitzusingen, weil die Tenorstimme, der sie sich hätte anschließen müssen, in der Umschlingung der figurierenden Stimmen versteckt war; vierzig Jahre nach Luthers Tode hat man deshalb die Führung auf den leichter herauszuhörenden Diskant übertragen. Für die Gemeinde sorgte Luther durch Einführung des Gemeindegesanges, zu dem er nicht selten die Melodien weltlicher Volkslieder benutzte. Obwohl die Gemeinde sich mancherorts das Mitsingen erst allmählich aneignete, so haben wir doch Zeugnisse dafür, daß gerade der gemeinsame Gesang das Volk unwiderstehlich zum protestantischen Gottesdienst zog. Auch den Gegnern fiel das auf, und von katholischen Obrigkeiten wurde verboten, die evangelischen Lieder zu singen, die wie ein Zaubertrank die Seelen mit der neuen Lehre durchfluteten. Es wird berichtet, daß der Bischof von Paderborn seinen Kaplan nach Lemgo schickte mit dem Auftrage, die Bürger in der Marienkirche vom Singen der neuen Lieder abzuhalten; indessen wurde der Bote wider Willen von der magischen Musik so ergriffen, daß er plötzlich in den Gesang einstimmte. Da schickte der altgläubige Bürgermeister einen Ratsdiener in die Kirche, damit er die Namen derer, welche die verbotenen Lieder sängen, zum Zwecke der Bestrafung aufnotiere. Er kam zurück und meldete, daß sie alle miteinander sängen. »Ei, alles verloren«, soll der Bürgermeister ausgerufen und die musikverzauberte Stadt verlassen haben. In diesen Gesängen, so scheint es, wurde dem deutschen Volke faßbar, was Umwälzendes und doch mit seiner Seele Übereinstimmendes im evangelischen Glauben war.
Das Wesen dieses Neuen, soweit es von der Musik ausging, beleuchten vielleicht einige Urteile Luthers über zeitgenössische Komponisten, wenn er zum Beispiel meinte, der Autor habe wohl die Regeln beobachtet, aber Lieblichkeit und Freiheit fehle, auch in der Musik gebe es Gnade und Gesetz, Musik müsse daher ungezwungen daherfließen, wie der Fink singe. Er lobte den Niederländer Josquin, der die Noten meistere, nicht von ihnen beherrscht werde. Zu den mathematischen Berechnungen, auf denen die von Luther hochgeschätzte, wesentlich konstruktive Musik des Mittelalters beruhte, sollte die Inspiration kommen, die Eingebung göttlicher Gnade, die keine Kunstfertigkeit erzwingen kann. Der Zusammenhang der evangelischen Musik mit der Bibel ist nicht nur dadurch gegeben, daß die Bibel die Quelle des evangelischen Glaubens ist, sondern daß auch hier Inspiration die schaffende Kraft ist. Sie mußte sich musikalisch im stärkeren Hervortreten und freierer Beweglichkeit der Einzelstimme, in einer Art von musikalischem Individualismus äußern. Diese Neuerung ging zwar von Italien aus; aber die Deutschen, die dort lernten, erfüllten die dramatische Spannung mit der Inbrunst, die das Wagnis persönlicher Überzeugung, der Durchbruch unmittelbarer Beziehung zum Göttlichen verlieh. Das Mysterium der Persönlichkeit, die Verwurzelung des einzelnen Ich im Ewigen entfaltete sich in Musik. Das Eingewickeltsein der Musik in die Theologie, von dem Walther sprach, zeigte sich in der protestantischen Musik des 16. und 17. Jahrhunderts, wie sie den Gehalt der Heiligen Schrift Satz für Satz, man kann sagen Wort für Wort ausschöpfte und durchleuchtete. Heinrich Schütz, dessen ernste und ehrwürdige Erscheinung neben den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges einhergeht, war fast ebensosehr Theologe und Lehrer wie Musiker; wie Luther die Bibel ins Deutsche, hat er sie in Musik übersetzt.
Nunc opus Uranie sonitu maiore – nun, Urania, bedarf es vollerer Töne! schrieb Kepler, als er auf der harmonischen Sternbewegung dahin aufsteigen wollte, wo die Uridee des Weltgebäudes verborgen ist, und die Tonsetzer aufforderte, ihm zu folgen, weil ihrem Geist das harmonische Weltall in Gleichnissen offenbart sei. Kepler hatte von der Musik dieselbe Auffassung wie Luther und wie der Kantor Walther, wenn er ausmalt, wie die seligen Geister sich gleichsam in Musik auflösen. Es ist die Vorstellung von einer jenseitigen Musik, die irdischen Ohren nicht vernehmbar ist, die aber Begnadete