Kepler, der des Kopernikus Lehre durch die von ihm gefundenen Sätze erst recht ausbildete und befestigte, traf mit genialem Blick das Wesentliche, indem er sagte, die Erde sei und bleibe der vornehmste Himmelskörper, weil sie das edelste Geschöpf Gottes, den Menschen, den er zu seinem Ebenbilde bestimmt habe, trage und nähre. In der Tat ist ja die Erde, welche Stellung ihr auch die Astronomie anweisen möge, Mittelpunkt des Weltalls, solange sie den Menschen trägt, der die Himmelskörper anschaut und das Weltall denkt. Kepler hatte in seiner Astronomie einen Abschnitt dem Beweise gewidmet, daß das kopernikanische System der Heiligen Schrift nicht entgegenstehe; aber er ließ es beim Druck fort, weil andere meinten, der Streit werde dadurch nur vermehrt werden. Zwar wurde Keplers Epitome Astronomiae Copernicanae im Jahre 1619 für Italien verboten; aber persönlich erfuhr er mehr Übelwollen von seinen Glaubensgenossen als von den Katholiken. Auch als alle protestantischen Angestellten aus den österreichischen Ländern ausgewiesen wurden, nahm man Kepler als im Dienst des Kaisers stehend aus. Der unglückliche, gemütskranke Kaiser Rudolf, der die astronomischen Forschungen begünstigte, wollte ihn in seiner Nähe behalten. Bei den Jesuiten, die sich viel mit Astronomie abgaben, fand er Freundschaft und Verständnis; schon begann die Wissenschaft eine neue Einheit über den Nationen und Bekenntnissen zu schaffen, nachdem das einigende Band des Glaubens zerrissen war. Auf protestantischer Seite, wo die Bibel an die Stelle von Papst und Konzil getreten war, den Punkt Unfehlbarkeit darstellte, nach dem die Mehrzahl der Menschen Verlangen trägt, war der Widerstand gegen alles, was der Bibel zu widersprechen schien, zunächst stärker als bei den Katholiken. Allmählich indessen kam diejenige Ansicht zur Geltung, die auch Kepler vorgebracht hatte, daß die Bibel als Quelle des Glaubens von Gott eingegeben sei, nicht aber in bezug auf irdische Dinge. Er wies auf die Regel hin, die Augustinus der christlichen Philosophie vorgeschrieben habe: »Was jene über die Natur der Dinge an wahrhaftigen Zeugnissen mit Gründen nachweisen können, davon wollen wir zeigen, daß es unseren heiligen Schriften nicht widerspreche.« Kepler war überzeugt, daß ein Widerspruch in der Tat nicht stattfinden könne, wenn man beide recht verstehe, da Gott sich sowohl in der Heiligen Schrift wie in der Natur und ganz besonders im Sternenhimmel offenbart habe.
Kepler, der größte Vertreter der deutschen Wissenschaft im 17. Jahrhundert, ist noch ganz gespeist von der Atmosphäre des späten Mittelalters, das von der Antike unter Verdrängung des Aristoteles den phantasievolleren Plato in sich aufgenommen hatte. Wie Kopernikus von dem Ausspruch des Plato ausgegangen sein soll, die Astronomie sei unter der unmittelbaren Mitwirkung Gottes entstanden, so wirkte auf Kepler das platonische Wort, Gott offenbare sich in der Geometrie, ja Gott sei Geometrie. Er ging von Gott aus, und das heißt in bezug auf die Wissenschaft vom Ganzen. Er faßte Gott als den persönlichen Schöpfer der Welt und ging ihm nach als dem Schöpfer der Welt im Raume und in der Zeit, dessen Wesen Harmonie ist. Sie offenbart sich nach seiner Auffassung unmittelbar in der Musik und mittelbar durch die räumliche Form in der Geometrie. Die Offenbarung Gottes in der Menschheit, deren Harmonie infolge des Engelsturzes und der Schuld der ersten Menschen zu einer von Dissonanzen zerrissenen Tragödie wurde, in deren Mitte Kepler lebte, kämpfte und litt, wußte er durch große Propheten und Lehrer verkündet und untersucht; aber er war sehr bewußt, der erste zu sein, der Wesen und Gesetze der räumlich-zeitlichen Gott-Schöpfung nachwies. Es waren nicht Gesetze mechanischer, kausaler Art, wie die Naturwissenschaft sie später suchte und aufstellte; es war eine Untersuchung göttlicher Gegebenheiten und lebendiger, beseelter Wesen, als welche er die Himmelskörper betrachtete. Er ging aus von einem harmonisch geordneten Kosmos, der über geometrischen Formen aufgebaut, infolge der Übereinstimmung anzuschauender und hörbarer göttlicher Urverhältnisse für ein göttliches Ohr als wohllautender Akkord, als ewige Symphonie vernehmbar sein müßte. In diese grandiose Vision baute Kepler seine exakten astronomischen Gesetze ein, die Frucht langjähriger Beobachtungen. Die Überzeugung, von Gott eines tiefen Einblicks in seine Schöpfung gewürdigt zu sein, erfüllte ihn mit einer Art von Trunkenheit, wie man sie bei Dichtern und Künstlern findet. Kopernikus führte Apollo mit der Leier im Siegel. Dichterische Trunkenheit bewegte auch Giordano Bruno, der von Deutschen beeinflußt war, besonders von Cusa und von Kopernikus; Kopernikus pochte, wie er selbst in einem Gedicht sagt, mächtig an seine jugendliche Seele. Die Idee des Cusaners, den Bruno göttlich nennt, von der Wechselbeziehung aller Dinge untereinander und zum Ganzen, die der Einzelne fühlt und erkennt, da er ein Einzelner ist und doch zugleich in ihm das Ganze sich spiegelt, und das Begreifen der Einheit, die das Vielfache und Entgegengesetzte zusammenhält, als Gottheit, wirkte stark auf das 16. und 17. Jahrhundert. Die Verbundenheit des Einzelnen mit dem All durch den Dämon Liebe eröffnete dem Glauben, der Magie, der Poesie einen unendlichen Ausblick und schien die Dogmatik der Kirche entbehrlich zu machen. Man glaubte hier eine Religion gefunden zu haben, in der sich alle Völker vereinigen würden. Die Lehre Brunos, an der die Kirche besonderen Anstoß nahm, betraf die Unendlichkeit der Welt; das All, so folgerte er, müsse