»Möchte gern wissen, wer das ist«, sagte sie und zeigte auf den Mann neben Åkesson.
»Wer auch immer das sein mag, in jedem Fall ist es lange her«, sagte John Rosén. »Wir nehmen die Fotos mit. Hast du was gefunden?«
»Abgesehen von den Kontoauszügen gab es nur zwei Ordner mit Zeitungsausschnitten, die mich interessieren. Die möchte ich auch mitnehmen. Den Rest müssen wir wohl später sichten.«
Sie betrachtete wieder das Bild von Åkesson und dem korpulenten, lächelnden Mann.
Fast alle Bilder dokumentieren sein Familienleben oder seine politischen Aktivitäten, dachte sie. Keine Fotos von Freunden oder Reisen. Nur ein einziges Bild, das von allen anderen abweicht.
7
Die Frau, die Elina öffnete, roch nach Fusel. Instinktiv wich sie einen Schritt zurück.
»Ich heiße Elina Wiik und bin von der Polizei in Västerås«, sagte sie und streckte ihre Hand aus. »Sie müssen Elisabeth Åkesson sein.«
»Ja, das bin ich. Kommen sie herein.«
Elina betrat den Vorraum. Auf dem Fußboden lagen Frauenschuhe verstreut. Eine Jacke war von ihrem Bügel gerutscht und lag in der Ecke. Elisabeth Åkesson führte Elina in die Küche und zündete sich dort sofort eine Zigarette an. Elina setzte sich an den Tisch. Der Geruch eines überquellenden Aschenbechers stieg ihr unangenehm in die Nase.
»Entschuldigen Sie«, sagte Elisabeth Åkesson und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich hab ein wenig getrunken. Das tue ich sonst nicht, aber ich bin so traurig über den Tod meines Vaters. Und er ist auf so schreckliche Weise gestorben. Wie ist es passiert? Wer hat das getan?»
Sie ging nervös in der Küche auf und ab.
Elina musterte sie. Sie wirkte bedeutend älter als ihre Schwester, obwohl sie drei Jahre jünger war, und trug Jeans und ein Top.
»Mein Beileid«, sagte Elina. »Man kann sich kaum einen grausameren Tod vorstellen. Aber jetzt brauche ich Ihre Hilfe, um den Täter zu finden. Würden Sie sich bitte setzen?«
Elisabeth Åkesson ging zum Vorratsschrank, holte eine Flasche Wodka heraus und stellte sie auf den Tisch. Elina streckte rasch die Hand aus und griff nach der Flasche. Ohne den Blick von Elisabeth Åkesson zu wenden, stellte sie die Flasche auf den Fußboden neben das rechte Stuhlbein.
»Was machen Sie da?«, protestierte Elisabeth Åkesson. »Wollen Sie mir das Trinken verbieten?«
»Das können Sie später tun. Nicht jetzt.«
Die Frau setzte sich und begann zu weinen.
»Ich halte das nicht aus, ich halte es einfach nicht aus.«
Elina wartete schweigend. Elisabeth Åkesson beruhigte sich schneller als erwartet. Sie stand auf, putzte sich die Nase und zündete sich eine neue Zigarette an.
»Entschuldigung«, sagte sie schniefend. »Bitte, entschuldigen Sie. Ich bin im Moment so labil. Ich bin gar nicht mehr ich selber.«
»Nur wenige Menschen würden in einer solchen Situation die Fassung bewahren. Vielleicht wird es ein wenig leichter, wenn wir über ihn sprechen?«
»Was wollen Sie wissen?«
»Wie war er als Vater?«
»Was meinen Sie?«
Es klang eher wie eine Anklage als eine Frage. Eine Anklage gegen Wiljam Åkesson.
»Ich weiß es nicht«, sagte Elina. »War er dominant?«
»Er versuchte über mein Leben zu bestimmen. Erst hat er uns verlassen, dann wollte er alles bestimmen. Bei Annelie hat er es geschafft, aber nicht bei mir. Haben Sie sie schon getroffen? Sie ist so perfekt. Es war sein Wunsch, dass sie Diplombetriebswirtin wird. Und das ist sie geworden. Er wollte, dass sie bei ABB arbeitet. Das tut sie. Er hat ihr sogar vorgeschrieben, wen sie heiraten soll. Diese rote Socke, diesen Kerl mit dem sie zusammen ist. Für mich hatte er nicht so große Pläne. Ich war nur die unbedeutende Kleine. Ich sollte Sekretärin oder Buchhalterin oder irgend so was Langweiliges werden. Aber ich hab mich geweigert. Da hat er wohl gedacht, dass aus mir nichts werden würde, und hat den Kontakt zu mir abgebrochen. Außer, wenn er manchmal ...«
Sie brach mitten im Satz ab.
»Manchmal was?«, hakte Elina nach.
»Sie verstehen schon, Sie sind ja Polizistin. Ich trinke zu viel. Ich habe wenig Selbstbewusstsein, auch wenn man das vor Fremden nicht gern zugibt. Er ist hin und wieder hergekommen, hat meine Wohnung durchsucht und alle Flaschen ausgeleert, die er fand. Er besaß einen eigenen Schlüssel und hat nicht mal geklingelt. Und dann hielt er mir Standpauken. Dass ich aufhören soll zu trinken und so weiter. Statt mich einfach zu akzeptieren, wie ich bin. Das wäre viel besser gewesen als sein ständiges Gemecker.«
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal getroffen?«
»Ich erinnere mich nicht genau. Vielleicht vor etwas mehr als einem Monat.«
»Und was haben Sie am Mittwoch vergangener Woche gemacht?«
»Keine Ahnung. Ich war wohl zu Hause. Oder in irgendeinem Pub. Warum fragen Sie danach?«
»Versuchen Sie sich zu erinnern. Haben Sie Mittwochabend jemanden getroffen?«
»Ich weiß ja nicht mal, wo ich war. Wie soll ich dann wissen, ob ich jemanden getroffen habe? Ich treffe immer Leute.«
Elina erhob sich. Sie brachte es nicht über sich, die Flasche wieder auf den Tisch zu stellen.
»Vielen Dank für das Gespräch. Ich muss jetzt gehen.«
»Ich dachte, Sie wollten mit mir über meinen Vater sprechen.«
»Vielleicht ein anderes Mal. Auf Wiedersehen.«
Vor der Haustür holte Elina tief Luft und trat auf die Straße. Sie drehte sich zum Küchenfenster um. Elisabeth Åkesson war nicht zu sehen.
Henrik Svalberg parkte das Auto vor Wiljam Åkessons Haus, direkt vor der Absperrung. Es war fünf Uhr nachmittags, es war Donnerstag und er hatte warten wollen, bis die Leute von der Arbeit nach Hause kamen.
»Wir arbeiten uns vom Haus systematisch vor«, sagte er zu Jan Niklasson, der neben ihm stand. »Oder was meinst du?«
»Klingt vernünftig«, meinte Niklasson. »Nimm du die linke Straßenseite, dann fang ich mit der rechten an. Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als die ganze Gegend abzuklappern.«
Jan Niklasson war der ältere und erfahrenere von beiden, außerdem war er Kriminalinspektor. Svalberg hatte sich um denselben Posten beworben wie Elina und musste nun weiter als Kriminalassistent ausharren. Svalberg gehörte jedoch zum Ermittlungsteam, während Niklasson nur am Anfang dabei sein sollte. Beide taten also, als würde Svalberg die Tür-zu-Tür-Befragung leiten.
Svalberg ging zu dem Haus, das gegenüber von Åkessons lag. Es war ein großes gelbes Holzhaus und er betrachtete eine Weile die Fassade. Sein Blick bekam etwas Träumerisches. So ein Haus würde er sich niemals leisten können, nicht einmal, wenn er die ersehnte Stelle bekäme.
Ein Audi und ein kleiner Volkswagen standen in der Auffahrt. Svalberg ging zur Haustür und klingelte. Eine Frau in Jeans öffnete; sie war blond und ungeschminkt. Er hielt ihr seinen Ausweis hin.
»Entschuldigen Sie, wenn ich störe«, sagte Svalberg und stellte sich vor. »Ich ermittle in dem Mord an Ihrem Nachbarn. Haben Sie möglicherweise etwas beobachtet, was uns weiterhelfen könnte?«
»Vielleicht«, sagte die Frau. »Aber wie soll ich wissen, was Ihnen bei den Ermittlungen helfen könnte? Vielleicht stellen Sie lieber konkrete Fragen.«
Svalberg schwieg verlegen.
»Ich bin Journalistin«, fuhr sie fort. »Allgemeine Fragen ziehen in der Regel wenig aussagekräftige Antworten nach sich. So meine ich