„Ick laß mir keene Würmer aus die Neese ziehen!“
„Jottedoch – die Dicketuerei, wennste mal wat weeßt! Aber nu sollste mir mal kommen, wenn ick wieder mal wat weeß!“
„Also, ick spann an!“ Jochen wandte sich dem Pferdestall zu.
„Platz’ man nich, sonst jiebt’s n’ Knall“, rief sie ihm wütend nach – „außerdem weeß ick ja alles, wollte bloß horchen, ob du wat weeßt, denn sonst hätte ick’s dir erzählt.“
Jochen lachte höhnisch. „Du wirst wohl zuerst platzen, aber bei dir knallt’s nich!“
„Minna, wo bleibste denn?“ Fräulein Sandbohm rief es ärgerlich aus dem Fenster.
„Ick komme ja schon!“
Oben, in ihrer Stube, stand Rieke vor dem Spiegel, in matter Verzweiflung. „Hak’ mir mal hinten zu, ich krieg’s nicht alleine, die Arme werden mir schlaff!“
„Det Rosane?“ fragte Minna erstaunt. „Det is ja doch ville zu eng, det krieg ick och nich mehr zu, ick hätte mir bei det scheene Wetter wat Bequemeres anjezogen, die Puste muß Sie ja da drinne bei wegbleiben, Fräulein!“
„Hak zu, ich mach’ mir dünne!“
Endlich saß der Rock, nun kam noch die Quälerei mit der zu engen Bluse.
„So“ – Minna seufzte tief auf, als auch die letzte Öse endlich eingehakt war. „Wenn Sie man atmen können, Fräulein! Ach, und den Florentiner wollen Sie aufsetzen?“ Sie sah nach dem Bett, wo der große, weiche Strohhut lag. „Fräulein will sich woll mit Herrn Albert in die Stadt wo treffen, jeht’s bei Habeln?“
Doch Rieke antwortete nicht, starrte selbstvergessen ihr Spiegelbild an. „Ja – so ist das nu“ – sagte sie dann, „das Kleid ist da, die Sonne scheint auch so, wie damals, jetzt brauchte das andere bloß zu sein, dann wäre alles in schönster Ordnung!“
„Ist anjespannt?“ schrie sie dann ungeduldig.
„Jochen ist schon bei, der Wagen is ooch schon aus die Remise“, berichtete Minna vom Fenster her.
„Na, dann kann ich ja schon immer runterjehen und mir reinsetzen.“
Als sie in die Kalesche stieg, fragte Jochen: „Na, und wo soll’s denn nu hin?“
„Fahr’ mal erst nach’n Nollendorfplatz, dann werde ich nachher schon weitersagen!“
Der Wagen rollte den Kurfürstendamm hinunter, bog dann in die sandige Straße nach dem Nollendorfplatz ein und kam endlich an eine rote Ziegelsteinvilla, die sich wie ein Märchenschlößchen in der wüsten Umgebung ausnahm.
„Nu die Bülowstraße runter, bis wo das Omnibusdepot ist, aber hier auf diese selbe Seite bleiben!“
In der Bülowstraße waren Menschen, sie sahen der auffälligen Kalesche nach. Und einer sagte zum andern: „Das war doch Eisrieke, natürlich war sie’s!“ Und die andern sagten dann: „Die sucht, wo sie noch ’ne Eisbahn mit’n Leutnant findet!“
Schon setzten sich einige Straßenjungen, die auf der Promenade „Käseball“ gespielt hatten, in Bewegung, gaben dem Wagen das Geleit.
„Eis–rieke! Hoho, Eisrieke!“
Jochen schlug mit der Peitsche nach ihnen, erreichte aber nur, daß sie der Kalesche nicht mehr so nahe kamen, wie bisher.
„Brr!“ Die Pferde hielten, denn drüben, auf der anderen Straßenseite, war der Plankenzaun des Omnibusdepots. Jochens pfiffige Augen blinzelten nach dem Tor des nächsten Hauses. Ja, dort stand Herr Albert Sandbohm. Na, denn hatte die Sache also bis jetzt geklappt, alles war so, wie man’s verabredet.
Rieke zog, bestaunt von den sich ansammelnden Straßenjungen, ihre Handschuhe an, einen schwarzen und einen weißen. Nun nahm sie die Schleppe hoch und stieg aus. „Ich hab’ hier einen Besuch zu machen, es kann also ein Weilchen dauern!“
Durch das Spalier der Neugierigen schritt sie dem Haustor zu, sah noch einmal nach der Nummer über dem Eingang, und zog dann die dicke Messingklingel. Die Tür sprang auf, aber im Flur öffnete sich ein Fensterchen, und der Portier rief: „Wohin denn? Halt, bei wem wollen Sie denn?“
Als der Portier auch jetzt keine Antwort erhielt, kam er aus der Kellerwohnung gestürmt. „Sie – heda! Warten Sie mal – so jeht det nich – bei wen wollen Se eijentlich?“ Doch ganz betroffen wich er zurück, als er die Gestalt nun sah. „Sie haben sich verloofen – da oben is keene Eisbahn nich – kommen Se mal jleich wieder ’runter, aber ’n bißken dalli!“
Rieke sah ihn majestätisch von oben bis unten an, und dann sagte sie hochmütig: „Gehen Sie an Ihre Arbeit, ich finde schon allein zu meiner Schwägerin Frau Hauptmann von Eschwege. Sorgen Sie lieber dafür, daß die Bengels da vor der Haustür wegkommen!“
Sie ließ den Verblüfften stehen und stieg, nun ungehindert, würdevoll weiter die Treppen hinauf. Atemlos stand sie dann im dritten Stock und suchte ruhiger zu werden. Auf ihr Klingeln öffnete die schwarzhaarige Portiertochter, starrte fassungslos die Fremde an.
„Hier, meine Visitenkarte, melden Sie mich der Frau Hauptmann, sagen Sie, daß ich sie dringend sprechen muß. Nicht die Tür zumachen – was fällt Ihnen ein, dumme Gake – wo ist der Salon?“
Und verdutzt, wie eben ihr Vater, ließ es Marie geschehen, daß Rieke in den Korridor trat, mit sicherem Instinkt auf die Flügeltür mit den Milchglasscheiben zuging, aufklinkte und sich in dem Zimmer auf einen Sessel niederließ.
In der Stube nebenan vernahm man erregtes, gedämpftes Sprechen, dann wurde die Tür plötzlich geöffnet, ganz verstört trat Frau von Eschwege ein.
Rieke hatte sich erhoben, neigte würdevoll grüßend den Kopf.
Die Frau Hauptmann nickte nur, sie zitterte vor innerer Erregung. „Was verschafft mir die Ehre?“
„Ihr Sohn!“
„Er ist nicht zu Hause!“
„Um so besser, er soll auch gar nicht hören, was ich Ihnen zu sagen habe ...“
Unwillkürlich machte die Frau Hauptmann eine einladende Bewegung nach dem Sessel, sank, jetzt ganz schwach geworden, in den andern.
„Sie wissen wohl, daß Ihr Sohn bei mir war?“
„Ich weiß es, aber, bitte, was wünschen Sie jetzt?“
„Haben Sie keine Bange vor mir, so verrückt, wie Sie jlauben, bin ich nu doch nicht!“
Frau von Eschweges Blicke hafteten an dem schwarzen und dem weißen Handschuh.
„Wenn Ihnen die stören, will ich sie ausziehen – aber so weiß, wie der Handschuh hier, ist unser unschuldiges Herz, und so schwarz wie der hier kann es werden, wenn es Schuld auf sich jeladen hat!“
„Ja, ja!“ sagte die Frau Hauptmann nach der Tür schielend, hinter der Marie horchend stand, um bei der geringsten Gefahr sofort zu Hilfe zu eilen.
„Ich habe einen jekannt, der Schuld auf sich jeladen hat, indem er ein argloses Mädel um sein Lebensjlück jebracht hat. Bis jetzt hab’ ich immer jejlaubt, das könnte noch mal wieder jut jemacht werden, aber es ist nicht mehr möglich, denn er ist tot. Aber da ist nu jradezu ein Wunder jeschehen. Es jiebt einen, der, weil er jenau so is, die Schuld von dem Toten an einem andern Mädchen wieder jut machen muß ...“
Frau von Eschwege erhob sich. „Ja ja“, sagte sie, „aber, entschuldigen Sie mich, ich war gerade dabei ...“
„Setzen Sie sich man wieder hin, ich bin noch nicht fertig. Wenn Sie mich jetzt nicht anhören, werden Sie es mal später bitter bereuen, denn es handelt sich um das Lebensjlück Ihres Sohnes!“
Es schien der Frau Hauptmann das Beste,