Der Staatsanwalt. Artur Brausewetter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Artur Brausewetter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711448250
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wenn ich sie sah, fest überzeugt war, dass diese Person in meinem Leben noch einmal eine Rolle spielen würde,“ sagte er endlich.

      „Ah — Sie sind abergläubisch! Sehen Sie, das hätte ich von Ihnen nicht gedacht,“ lachte sie jetzt in ungebundener Fröhlichkeit.

      Aber er blieb ernst.

      „Es ist es fast jeder in seiner Art, — und diese Begegnungen waren zu seltsam.“ — —

      „Haben Sie ihn gesehen, mein gnädigstes Fräulein?“ Der Amtsrichter war noch atemlos. „Das war er, der junge Freiherr von Türck!“

      „Und das junge Mädchen, das ihn begleitete?“

      „Das ist seine Wärterin, oder wie Sie sie nennen wollen — die geheimnisvolle Persönlichkeit, von der ich den Damen vorhin erzählte, und dort, sehen Sie — nein, da auf der Promenade die etwas auffallend gekleidete Dame, die sich von dem schwarzen Husaren an ihrer Seite den Hof machen lässt, — das ist die junge Witwe, die nächstens wieder heiraten wird.“

      „Die Mutter von dem Jungen?“

      „Ganz richtig, seine Stiefmutter! Passen Sie nur auf — da! Jetzt kommt die Wärterin mit dem Jungen vorbei, der will ihr die Hand geben — aber sehen Sie nur, wie schnell sie sich wegwendet, als kennte sie ihn nicht. Und den Wink, den die Wärterin dabei bekommt! Sie will ihn eben verleugnen, er ist ihr peinlich, besonders jetzt!“

      „Der arme Junge!“

      Ein tiefes Mitleid zitterte durch Gerdas Stimme.

      Bolkow sprach kein Wort. Sein graues Auge, dem man auf den ersten Blick die scharfe Beobachtungsgabe ansah, folgte unverwandt der Erscheinung der Wärterin und ihres Begleiters, bis beide ihm hinter dem Vorbau des Kurhauses entschwanden.

      Sie waren langsamen Schrittes, den schönen Abend voll geniessend, der Pension Falke zugeschritten. Frau Niebert, der Abneigung ihres Gatten eingedenk, sah einen schon öfter schüchtern angestellten Versuch, ihre Tochter von dem Staatsanwalt zu trennen, endlich von Erfolg gekrönt und nahm diesen für sich in Beschlag, fand ihn aber schweigsam und verschlossen.

      Als sich die Herren vor dem Eingange der Pension von den Damen verabschiedet hatten, blickte Bolkow unwillkürlich an dem stattlichen Hause empor, und siehe, an die Brüstung eines offenstehenden Fensters des ersten Stockes gelehnt stand die wunderbare Frauengestalt, die er eben am Strande gesehen. Und neben ihr, kränker und elender erscheinend als vorhin im rosigen Hauche der Abendröte, kauerte auf einem Stuhle die armselige Gestalt des Kleinen, mit der dürren Hand die ihre streichelnd, den hilfesuchenden Blick zärtlich auf ihre Augen gerichtet.

      Diese Augen aber irrten über die Bäume des gegenüberliegenden Parkes hinweg zum fernen Horizont, wo eben aus wallendem Wolkenschleier der Mond hervortrat und über den dunklen Meeresspiegel eine goldene Brücke baute, die planlos nun über die schweigende Tiefe dahinflimmerte.

      Grosse Aufregung herrscht in der Pension Falke.

      Die Freifrau von Türck hat sich verlobt, endlich wirklich verlobt — natürlich mit dem blonden Rittmeister der Husaren.

      Einigen näheren Bekannten war die freudige Nachricht schon in der Frühe des Morgens mitgeteilt, die anderen sollten sie bei der gemeinsamen Tafel erfahren — als Ueberraschung.

      Pünktlicher als sonst ist alles versammelt, gespannte Erwartung liegt auf den Gesichtern, jeder Platz ist besetzt, nur ein Stuhl ist noch leer: der für die Freifrau von Türck.

      Der Wirt, der in das Geheimnis eingeweiht ist und schon mehrere Flaschen Sekt auf Eis gelegt hat, lässt rücksichtsvoll mit dem Auftun der Suppe warten — fünf Minuten — zehn Minuten — eine Viertelstunde. Die Unterhaltung wird einsilbiger, nur Fragen werden hier und da laut, welch einen Grund wohl das lange Ausbleiben der jungen Braut haben könne.

      Die Suppe ist aufgetan, man beginnt zu essen. Der zweite Gang wird gereicht — noch immer ist der eine Stuhl leer.

      Der Wirt weiss ganz genau, dass die gnädige Frau bereits seit zwei Stunden auf ihrem Zimmer ist, auch die bedienenden Mädchen haben sie gesehen. Er will eben eine von ihnen hinaufschicken, da tritt sie ein.

      Auf den Lippen liegt das gewohnte Lächeln, aber nicht in jener herausfordernden Gefallsucht wie sonst, ein gezwungener, fast verzerrter Zug lagert sich um die zuckenden Mundwinkel, die schönen blonden Haare sind sorgsam frisiert wie immer, auf der Brust liegt sogar ein leicht gebundener Strauss üppiger dunkler Rosen. Aber das Antlitz über diesem Strauss ist so bleich und regungslos, so ernst blicken die sonst stets lachenden Augen, und alle Kunstaufwendung, sie zur gewohnten Fröhlichkeit zu zwingen, ist vergeblich.

      Was ist geschehen?

      Keiner fragt es. Stille herrscht im Saal, unterbrochen nur vom Klappern der Teller, die die Mädchen wechseln, saumseliger als gewöhnlich.

      Die junge Frau hat sich gesetzt. Sie gibt sich den Anschein, als ob sie eifrig esse, aber sie berührt die Speisen kaum. Sie beginnt eine lebhafte Unterhaltung, aber sie spricht ziemlich allein; es hat auch nicht viel Sinn und Verstand, was sie sagt.

      Die Tafel ist beendet, der Sekt ist vergeblich kaltgestellt, schneller als sonst erhebt man sich.

      Nach dem Essen pflegt sich eine kleinere Gesellschaft, die sich enger zusammengeschlossen hatte, in einer kleinen Laube im Garten zusammenzufinden und dort gemeinsam Kaffee zu trinken.

      Der Justizrat hat das Verdienst, diese gemütliche Plauderstunde eingeführt zu haben.

      Als wäre nichts geschehen, waltet Frau von Türck ihres Amtes, die Tassen zu füllen. Nur erscheint ihr Antlitz hier in der freien Luft noch bleicher als vorher im Esssaal.

      Der Justizrat hat die Frage gewagt — sie brauche ja nicht zu antworten, wenn sie nicht wolle.

      „Warum nicht?“ erwidert sie nach kurzer Pause. „Ihnen als alten Freunden, und ich nehme keinen aus von allen, die in dieser stillen Laube versammelt sind, will ich gerne Rede stehen.“

      Mit einem schnellen, aber vielsagenden Blick hat sie dabei Gerda und Bolkow gestreift; mit dem Instinkt, der Frauen ihrer Art eigen ist, hat sie längst gefühlt, dass sie beiden von Herzen unangenehm ist.

      „Es ist Ihnen allen kein Geheimnis mehr, dass ich mich gestern abend verlobt habe. Ich danke Ihnen sehr, danke herzlich, mein liebes Fräulein ... Nun, Herr Staatsanwalt, Ihr Glückwunsch kommt zwar so düster heraus wie eine Beileidsbezeigung, gleich als ahnten Sie in Ihrem hellsehenden Geiste, dass die Sache für mich noch ein sehr ernstes Nachspiel haben sollte. Und Sie haben ganz recht — hören Sie nur weiter.“

      Sie hat einen Versuch gemacht, in den leicht tändelnden Ton zu fallen, mit dem sie auch das Ernsteste zu behandeln pflegt, und der Gerda unangenehmer ist als ihre auffallende Erscheinung und ihr gefallsüchtiges Gebaren.

      Doch dieses Mal missglückt der Versuch; schwerfällig und stockend ringen sich die Worte von den müden Lippen.

      „Als mein Bräutigam sich gestern mit mir verlobte, stellte er mir eine Bedingung. Du meine Güte, wer wollte sie ihm verdenken? Er ist noch jung und verkehrt in den ersten Kreisen, wo man sehr peinlich ist und alles Ungewöhnliche und gar Abstossende ... kurz, er verlangt, dass ich den Jungen — Sie kennen ihn ja, den armen Kerl, den einzigen Sohn meines seligen Mannes, der mit einer nahen Verwandten verheiratet war —, dass ich den also ein für allemal aus dem Hause gebe.“

      „Allerdings eine schwere Bedingung für Sie.“

      „Gewiss, sie kam mir zuerst auch hart vor, aber ich liess die Vernunft walten und musste meinem Verlobten recht geben. Der arme Junge! Ihm ist es ja auch ziemlich gleichgültig, wo er ist. Ich entschloss mich also und stimmte ihm zu.“

      Eine Pause. Die mit vielen Ringen geschmückte Hand nestelt nervös an dem Spitzenumhang des grünseidenen Kleides.

      „Nun denken Sie an. Ich lasse Annemarie — Sie wissen, Alfreds Pflegerin — auf mein Zimmer bitten und teile ihr meinen Entschluss mit. Und was geschieht? Sie können sich keinen Begriff machen, was ich erlebte, wie ausser sich die Person gerät,