Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
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      Thomas Flanagan

      Pächter der Zeit

      SAGA Egmont

      Pächter der Zeit

      Aus dem Englischem von Gabriele Haefs nach

      The tenants of time

      Copyright © 1988, 2018 Thomas Flanagan und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711483978

      1. Ebook-Auflage, 2018

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Zur Erinnerung an

      F.W.Dupee

      Mark Schorer

      Kevin Sullivan

Erster Teil

      1

      [Patrick Prentiss]

      Lange Zeit nach dem Fenier-Aufstand in Kilpeder im Jahre 1867, als Robert Delaney und Ned Nolan bereits tot waren, nachdem Ardmor sich in Italien niedergelassen hatte, als nur noch Hugh MacMahon und der alte Lionel Forrester, die beide einen Teil der Geschichte kannten, noch lebten, entdeckte ein Fremder in Kilpeder, daß er, anfangs ohne sich dessen bewußt zu sein, daran arbeitete, diese Teile zusammenzufügen. Als ihm klarwurde, daß er diese Arbeit vielleicht niemals vollenden würde, und die Teile deshalb zurück in die Truhe der Vergangenheit legte, war er zu der Überzeugung gelangt, daß die Ereignisse in Kilpeder, vom Aufstand 1867 bis zum Sturz Parnells 1891, eine Form, ein Muster, ein Thema hätten, die sich in den Variationen von einem halben Dutzend Leben niederschlügen. Aber dieses Wissen war ihm zu nichts nutze. Er hatte sich in die Vergangenheit verliebt, eine vergebliche Liebe.

      Eines Abends im Juni 1904 kam Patrick Prentiss zum erstenmal nach Kilpeder und nahm sich ein Zimmer in den Arms. Er war ein unaufdringlich gekleideter Mann von Mitte zwanzig, grauer Tweed in Fischgrätmuster, weicher grauer Hut, einen Überzieher über den Arm geworfen. Sein Akzent beeindruckte Gilmartin, den Besitzer der Kilpeder Arms, auf diesem Gebiet ein Fachmann.

      Als er sich ins Gästebuch eintrug, nahm er aus einem Etui aus marokkanischem Leder eine Brille mit dünner goldener Fassung, in der das Licht der grünen Lampenglocke funkelte. Seine Schrift hatte keine Ähnlichkeit mit den Kritzeleien der wohlhabenden Farmer oder dem schroffen Selbstvertrauen der Handelsreisenden, der üblichen Kundschaft der Arms. Patrick Prentiss, Dublin und London.

      Am nächsten Morgen hatte er das kleine, von der Sonne erhellte Eßzimmer für sich, dessen breites, geschwungenes Fenster auf den Marktplatz hinausging. Ein Mädchen mit rotem Gesicht, mit schlanker Taille, aber dicken Fesseln unter dem schwarzen Rock brachte ihm Porridge, gekochte Eier, fettigen, dick geschnittenen Speck, gerösteten Toast, eine Kanne Tee. Beim Essen lag vor ihm auf dem Tisch ein Exemplar von Muirhead’s Guide, und er bemühte sich, die kleinen, enggeschriebenen Buchstaben zu entziffern.

      Gilmartin wartete hinter dem kurzen Tresen aus Schwarzeiche auf ihn. »Werden Sie lange bei uns bleiben, Mr. Prentiss?« fragte er und erwartete zu hören, daß Prentiss am Nachmittag bereits abgereist sein würde.

      »Nicht lange«, antwortete Prentiss. »Vielleicht ein oder zwei Wochen. Macht das Probleme?«

      »Nicht im geringsten«, sagte Gilmartin. »Sehen Sie sich doch um. Donnerstagabend wird es hier im Haus allerdings von Farmern und Viehhändlern wimmeln, die wie ihr Vieh brüllen. Ich kann Ihnen ein ruhiges Zimmer an der Rückseite des Hotels geben, mit Blick auf die Berge. Priester und Anwälte haben sich lobend darüber geäußert.«

      Prentiss sah sich um. Verstaubte, ausgefranste rote Teppiche, unregelmäßig verteilte Sessel mit rissigem schwarzem Leder. An den Wänden hingen hinter Glas Forellen und Flußbarsche, mit schillernder Haut und glotzenden Augen. Ein großes sepiafarbenes Foto zeigte eine Jagdgesellschaft: Reiter, Pferde, Jagdhunde. Ein grelles Ölgemälde: Berge in der Ferne, lila und schiefergrau, tiefblauer Himmel, Wolken wie Wattebäusche.

      »Das sind die Berge«, sagte Gilmartin. »Die Derrynasaggarts. Kennen Sie sich in diesem Landesteil aus?«

      »Ich habe von den Derrynasaggarts gehört«, erwiderte Prentiss. »Dahinter liegt Kerry.«

      »Und die brühmten Seen von Killarney. Im Sommer steigen Reisende auf dem Weg zu den Seen bei mir ab, aus England und Deutschland. Deutsche haben mir gesagt, daß es bei ihnen solche Seen nicht gibt. Ganze Bücher sind über sie geschrieben worden.«

      Prentiss hatte, da er etliche dieser Bücher gelesen hatte, nicht den Wunsch, sie zu besuchen, Pfade, ausgetreten von Generationen von Führern und Sommerfrischlern, Ausflugskarren mit Picknickkörben, Bootsleute voll abgegriffener Versionen sentimentaler Sagen. Kilpeder, diese verschlafene Marktstadt, und die wilden Hügel, die es umgaben, hatten ihn hergelockt.

      Er ging zur offenen Tür und betrachtete den Marktplatz. Keine Menschenseele war so früh unterwegs, und die Läden waren geschlossen, Ihm gegenüber lag eine stattliche Markthalle aus Stein mit den Proportionen eines früheren Jahrhunderts, Quader von grauem, behauenem Stein, ein Ziergiebel. In beiden Richtungen zogen sich daneben Läden und Schenken hin, ein Laden war sehr viel größer als alle anderen; sein Name, D. Tully und Sohn, stand in vergoldeten, komplizierten Schnörkeln auf einem roten Schild. Auf Prentiss’ Seite, am nähergelegenen Ende des Platzes, befanden sich die Tore eines Gutes, Steinvögel mit ausgebreiteten Flügeln hockten auf den Torpfosten. Schräg gegenüber den Pfosten lag einee saubere protestantische Kirche mit einem Kirchturm, ihre Türen aus Eichenholz waren geschlossen. Zu seiner Rechten erstreckten sich Läden bis hin zur Polizeikaserne, und dahinter lagen in unregelmäßigen Abständen die Hütten der Landarbeiter an der Straße nach Macroom, an der die schweren Türme und sinnlosen, ornamentalen Zierpfeiler der katholischen Kirche aufragten. Ein Mann trat aus einer der Hütten und ging langsam, schwerfällig, auf den Marktplatz zu. Aus der Entfernung hatte seine formlose Jacke die Farbe des Regens.

      »Ich habe einen Brief für den Schulmeister«, sagte Prentiss.

      »Ah«, erwiderte Gilmartin. »Wenn’s weiter nichts ist.« Er trat neben Prentiss in die Tür. »Christy Mannion. Die Schule liegt die Straße hinunter in der Chapel Street, hinter der Kirche, und Mannions Haus ist gleich daneben.«

      »Nicht Mannion«, erklärte Prentiss. »Hugh MacMahon.«

      Gilmartin lächelte. »Der ehemalige Schulmeister. Er ist schon lange im Ruhestand. Hughie lebt jetzt weit außerhalb der Stadt, an der Straße nach Killetin. Sie brauchen ein Pferd oder einen Einspänner, und ich habe beides nicht. Aber die Mietstallung kann Ihnen da leicht behilflich sein und Ihnen die richtige Straße zeigen.«

      Jetzt trat aus der Wache ein Constable ins blasse Sonnenlicht, sein Uniformrock war nicht zugeknöpft.

      »Er hat mich unterrichtet«, sagte Gilmartin. »Ein anständiger alter Bursche. Ein gelehrter Mann. Christy Mannion kann ihm nicht das Wasser reichen, der ist so ein junger Spund aus Dublin, der alles auswendig gelernt hat. Heute besteht der ganze Unterricht nur noch aus Examen und Zeugnissen. Ein kluger Mann. Er hat mit Gelehrten korrespondiert.«

      Der Constable grüßte den Landarbeiter leichthin mit einem Winken, und der Mann berührte seine Mütze.

      »Jetzt ist es hier friedlicher«, sagte Prentiss, »als anno 67.«

      Überrascht starrte Gilmartin ihn an, dann grinste er wieder, ein goldfunkelndes Grinsen. »Unsere Stunde des Ruhms, bei Gott. Die Schlacht von Clonbrony. Vor ein paar Jahren war die Rede davon, auf dem Marktplatz eine Statue aufzustellen, aber sie konnten sich nicht über ihr Aussehen oder die Inschrift einigen. Das ist auch besser so, wenn man sich die Denkmäler in einigen Orten