Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Wer das blinkende Licht der Sturmwarnung am Seeufer sieht, weiß, dass die Wettervorhersage (die noch nie so treffsicher war wie heute) eine stürmische Zukunft voraussagt. Wenn man daraufhin mit seinem Segelboot den sicheren Hafen aufsucht, nimmt man enormen Einfluss auf seine Zukunft. Spätestens seit der neolithischen Revolution hat der Wetterblick in die Zukunft eine ganz besondere Bedeutung für den Homo sapiens als Ackerbauer. Wenn man bei einem Gesundheitscheck (auch diese Checks waren noch nie so aussagekräftig wie heute) von einem erhöhten Risiko, in Zukunft an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung oder an Diabetes zu erkranken, erfährt, kann man durch eine entsprechende Adaptierung seiner Lebensgewohnheiten betreffend Rauchen, Alkohol, Ernährung, Fitness oder Stress seine Zukunft gestalten. Und unternehmerische Entscheidungen sind stets von vielen Parametern und Daten (die noch nie in einem solchen Ausmaß zur Verfügung standen und berechnet wurden wie heute) abhängig, anhand derer man versucht, dem Mysterium Zukunft etwas auf die Schliche zu kommen. Das ist quasi das tägliche Geschäft erfolgreichen Unternehmertums. Wer sich in der Gegenwart auf die Zukunft vorbereitet, gestaltet also die Zukunft auch. Es ist nachvollziehbar, ja sogar einzumahnen, dass man sich in der Gegenwart für die Zukunft, die man schon kennt, mit gerichteten, bewährten Strategien rüstet. Und wenn bewährte Konzepte dafür noch nicht existieren, macht es natürlich Sinn, solche ergebnisorientierten Strategien dafür zu entwickeln. Man kann sich aber nicht auf alles vorbereiten, und man kann sich nicht für alles rüsten. Außerdem kann es sein, dass man Abwägungen treffen muss, indem man sich auf das Wahrscheinlichste vorbereitet und dadurch das Unwahrscheinlichere jetzt einmal nicht mitberücksichtigen kann. Aber selbst wenn es nicht so wahrscheinlich ist, absichern will man sich gegen alles, was man schon weiß und was eintreten könnte. Man will sich versichern. Und jene, die uns versichern, wollen ihr Risiko dann auch noch einmal versichern – Rückversicherungen versichern Versicherungen. Wir würden uns am liebsten gegen alles Mögliche absichern. Das alles betrifft den reaktiven Anteil des Sich-Rüstens für die Zukunft. Reaktiv deshalb, weil wir uns in all diesen Fällen auf etwas einstellen, für etwas ab- und versichern und unsere Entscheidungen auf etwas abstimmen, was so oder so ähnlich schon einmal da gewesen ist. Die dabei gemachten Erfahrungen, das in diesem Zusammenhang bestehende Wissen, ermöglicht es uns, die Gegenwart entsprechend darauf abzustimmen und damit die Zukunft mitzugestalten. Und bei vielen Entscheidungen, von denen der Mensch täglich Tausende trifft, spielt Intuition auf der Basis von Erfahrungen eine große Rolle. Wir könnten gar nicht so unzählige, oft auch kleine Entscheidungen in so kurzer Zeit fällen, würden wir in jedem Fall in Ruhe darüber nachdenken müssen.
Es braucht viele neue Ideen, um Lösungen für Fragestellungen entwickeln zu können, von denen man schon weiß, dass sie kommen werden. Aber was, wenn die Zukunft so gut wie nicht beziehungsweise gar nicht bekannt ist? Was, wenn keinerlei Erfahrungen dafür zur Verfügung stehen? Und schon sieht man wieder schwarze Schwäne vor den Augen. John Casti hat in diesem Zusammenhang zum Beispiel den Begriff »X-Event« geprägt. Ein X-Event ist demnach ein von Menschen verursachtes Ereignis, das nicht genau vorhersagbar ist. Die Strategien sind natürlich ganz andere als bei gut vorhersehbaren Ereignissen, aber auch gegen X-Events kann man sich absichern (Casti: Der plötzliche Kollaps von allem, 2012). Eines der wesentlichsten Gestaltungselemente der Gegenwart ist es, etwas Neues, noch nie Dagewesenes zu schaffen, mit dem man einerseits vielleicht einmal Fragen beantworten kann, die man heute noch gar nicht kennt, weil sie erst morgen kommen. Andererseits aber sind Entdeckungen, Erkenntnisse, neues Wissen und innovative Technologien, die in der Gegenwart entwickelt werden, in der Lage, eine Zukunft entstehen zu lassen, die ohne sie nie gekommen wäre.