Eine andere Unterteilung hat wiederum mehr den Entstehungsprozess und die Auswirkungen von Innovationen im Fokus. Auch hier herrschen viele Unschärfen, und die Frage, welche Attribute einer Innovation zuzuschreiben sind, ist nicht selten Auslegungssache. Letzteres gilt gerade für die Unterscheidung zwischen inkrementellen Innovationen, die Weiterentwicklungen von bereits Bestehendem (Evolution) sind, und sogenannten radikalen Innovationen, deren Neuheits- und Veränderungsgrad höher eingestuft wird (Revolution). Allerdings werden vor allem auch in der digitalen Welt Begriffe wie »radikal« oder »Revolution« mittlerweile nahezu inflationär verwendet. Aber das absolute Lieblingswort und Must-have einer vom Silicon Valley inspirierten Innovationswelle ist »disruptiv« (zerstörerisch). Wagniskapitalgeber überzeugen zu wollen, ohne eine disruptive Innovation im Angebot zu haben, scheint immer mehr ein Ding der Unmöglichkeit zu werden. Der Ursprung dafür liegt in dem Konzept der »Schöpferischen Zerstörung« – ein Begriff, der schon früher entstand, aber erst durch die Arbeiten Joseph Schumpeters zur Basis dessen werden konnte, was später »disruptive Innovation« genannt wurde. Dieser Begriff wurde von Clayton M. Christensen, Professor an der Harvard Business School, geprägt. Wohingegen etablierte Unternehmen sehr oft auf erhaltende inkrementelle Innovationen (Sustaining Innovations) setzen, beginnen neue kleinere Unternehmen (Start-ups) mit disruptiven Innovationen soweit am Markt zu wachsen, bis sie die etablierte Konkurrenz, die sie übersieht, verdrängen (Christensen: The Innovator’s Dilemma, 1997). Der im Jahr 2020 verstorbene Wirtschaftswissenschaftler musste sich auch mit Kritik an seiner Theorie auseinandersetzen. So manche argumentieren schon seit Jahren, dass sich aber eben oft auch solche Unternehmen durchsetzen, die erfolgreich step by step innovieren, ohne jemals disruptive Konzepte auf den Markt zu bringen. Dennoch steht fest, dass das Wort »disruptiv« gerade in Zeiten der digitalen Revolution zu einem Leitbegriff des Wandels geworden ist.
Der Begriff Closed Innovation beschreibt einen Prozess, bei dem Forschung, Entwicklung und Umsetzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit vom »Labor« bis zum Patent und dann erst zur Anwendung am Markt betrieben werden. Demgegenüber gibt es aktuell einen Trend hin zur Open Innovation, die sich nicht innerhalb der Grenzen der Institution beziehungsweise des Unternehmens bewegt. Demand Pull Innovations oder Market Pull Innovations werden durch Wünsche vom Markt initiiert. Professor Eric von Hippel vom Massachusetts Institute of Technology hat schon vor geraumer Zeit das Konzept der User Innovation geprägt, bei dem das Feedback der Kunden das Unternehmen dazu bringt, einen entsprechenden Innovations-prozess in Gang zu bringen. Der Autor und Silicon Valley-Entrepreneur Eric Ries hat das Konzept der Lean-Start-ups entworfen, bei dem mit wenig Kapital Unternehmen gegründet werden, die mit einem reduzierten Produktzyklus möglichst schnell Prototypen auf den Markt bringen und dann anhand des Feedbacks der Kunden weiterentwickeln. Technology Push Innovations nennt man solche, bei denen für neue Technologien entsprechende Anwendungsansätze gesucht beziehungsweise entwickelt werden. Cross Innovations kommen dann zustande, wenn übergreifend über Branchen und Disziplinen gedacht und entwickelt wird. Auf einem Kongress habe ich einmal den Speaker und Cross-Industry-Innovationsexperten Ramon Vullings kennengelernt (www.ramonvullings.com). Vullings hat im April 2020 eine E-Mail versendet, in der er aufgezeigt hat, wie viele Cross Innovations im Zuge der COVID-19-Pandemie entstehen. Aus was alles man zum Beispiel Mund-Nasen-Schutzmasken herstellen kann und welche Unternehmen aus ganz anderen Branchen sich da eingebracht haben, ist wahrlich beeindruckend. Im österreichischen Rat für Forschung und Technologieentwicklung haben wir uns auch mit der Thematik der frugalen Innovationen beschäftigt. Frugale Innovationen sind vereinfachte, anwendungsorientierte, in der Regel günstige Entwicklungen auf dem Technologieniveau, das beim Kunden den gewünschten Nutzen erzeugt.
Auf der Ebene des Individuums wird Kreativität, die schöpferischen Kraft eines Menschen, als alternativloser Ausgangspunkt für Innovationsfähigkeit gesehen. Dr. Frederik G. Pferdt ist Googles Chief Innovation Evangelist (Head of Innovation & Creativity Programs) und unterrichtet an der d.school der Stanford University kreatives Denken. Die d.school – offiziell The Hasso Plattner Institute of Design – wurde im Jahr 2005 dank der Finanzierung des SAP-Gründers Hasso Plattner mit dem Ziel ins Leben gerufen, den Studenten Kreativität und Innovationskraft mittels Design Thinking zu lehren (»The d.school helps people develop their creative abilities.«). Frederik G. Pferdts Aufgabe ist es, den Mitarbeitern von Google auf der ganzen Welt dabei zu helfen, kreativ und innovativ zu sein: »Um innovativ zu sein, braucht der Mensch Vertrauen in die eigenen Ideen. Und das entwickelt sich am besten in einem Umfeld, das auf Neues positiv und im wahrsten Sinne neugierig reagiert.« (Pferdt: »Ja – und?«, 2016).
»Es besteht kein Zweifel, dass Innovationskraft auf der Ebene des individuellen Menschen sowohl ausgeprägten Mut, Neuland zu betreten, als auch eine hohe Kreativität voraussetzt. Die Thesen dieses Buches beziehen sich nicht auf Innovation im rein wirtschaftswissenschaftlichen Sinn, sondern vielmehr auf Inspirationen, Entdeckungen, vernetztes Denken, Querdenken, Kreativität und Ideenreichtum.«
Damit sich eine Innovation im ökonomischen Sinn durchsetzt, damit sie sich am Markt gewinnbringend verwerten lässt, damit man am Ende des Tages daraus ein Geschäftsmodell entwickeln kann, damit man die Konkurrenz in Schach halten kann und damit sich nachhaltig Gewinne erwirtschaften lassen, bedarf es noch vieler zusätzlicher Komponenten: entsprechende Finanzierungsstrategien, eventuell Produktionsstrategien, sicher immer Kosten-Nutzen-Kalkulationen, Marktanalysen, Vermarktungskonzepte, Werbung, Vertriebskonzepte, Kundenbeziehungsnetzwerke, die entsprechenden rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und vieles mehr. Andererseits muss betont werden, dass auch viele dieser Umsetzungsprozesse vom Ideenreichtum und der Kreativität des individuellen Menschen abhängig sind und dementsprechend dadurch auch nachhaltig positiv beeinflussbar sind.
Nicht jede Idee ist erfolgreich umsetzbar, weil dafür noch viele andere Komponenten notwendig sind und viele zusätzliche Schritte entworfen und gegangen werden müssen. Umgekehrt ist aber doch der Ursprung der meisten Innovationen eine neue Idee, unabhängig, ob sie zum Beispiel neue Produkte oder Leistungen betrifft oder dazu führt, bereits bestehende Innovationen erfolgreich auf neuen Märkten einzusetzen. Zusätzlich ist der Umsetzungsprozess von Ideen immer zweifelsfrei auch von der individuellen Kreativität des Menschen geprägt. Vielleicht noch mehr Kraft entwickelt Kreativität unter dem Gesichtspunkt einer heutigen breiten Anwendung des Begriffes »Innovation« wie zum Beispiel im Zusammenhang mit künstlerischen Innovationen, sozialen Innovationen, Bildungsinnovationen oder Umweltinnovationen.
Sich für das Vorhersehbare und für das Unvorhersehbare rüsten
»Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorauszusagen, sondern darauf, auf die Zukunft vorbereitet zu sein.« (Perikles, 5. Jahrhundert vor Christus)
Im Zusammenhang mit der von dem SARS-CoV-2-Virus ausgelösten COVID-19-Pandemie wurden immer wieder Fragen diskutiert wie »War das nicht vorhersehbar?« oder »Konnte man sich auf das nicht besser vorbereiten?«. Immer wieder tauchte dabei der Begriff »Schwarzer Schwan« auf, der für ein Ereignis steht, das selten und höchst unwahrscheinlich ist, unerwartet eintritt, enorme Konsequenzen hat und im Nachhinein oft einfach zu erklären ist. Nassim Nicholas Taleb, auf den dieser Begriff zurückgeht (Taleb: Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse, 2008), hat aber darauf hingewiesen, dass er selbst globale Pandemien als weiße Schwäne bezeichnet hat. Ein weißer Schwan ist ein Ereignis, das mit Gewissheit irgendwann eintritt. Dementsprechend ist es auch nicht entschuldbar, darauf nicht vorbereitet zu sein (Taleb, Spitznagel: »Die Corona-Pandemie ist kein schwarzer Schwan«, 2020). Damit reiht er sich in die lange Liste all jener ein, die das Risiko von Pandemien immer mit kalkuliert haben. Weltweit entsprechend auffällig kommuniziert wurde, dass der Microsoft-Gründer Bill Gates bereits 2015 vor einer solchen gewarnt hat. Aus verschiedensten Gründen wurde Gates in Corona-Zeiten das Ziel von wüsten Verschwörungstheorien und Fake News, inklusive Behauptungen, er