„Wir haben den endgültigen rechtsmedizinischen Bericht noch nicht vorliegen. Aber Natalie meint, dass sie heute Nachmittag damit fertig ist. Die Leiche ist gut erhalten, da sie die ganze Zeit gekühlt war; daher glaubt Natalie, dass die Chancen nicht schlecht stehen, Spuren zu finden.“
„Ja, wenn das Wasser sie nicht zerstört hat“, warf Bjarke ein.
Roland nickte und trank von dem Kaffee. Er war nicht so gut wie der, den er aus der Polizeibehörde gewohnt war, und er versuchte eine Grimasse zu unterdrücken.
„Aber, was sie sagen kann, ist, dass Iris an Händen und Füßen gefesselt war und grob misshandelt wurde.“
„Vergewaltigt?“, fragte Isabella. Die Abscheu leuchtete deutlich in den Augen. Roland erinnerte sich plötzlich an eine der letzten Bemerkungen von Mikkel Jensen ihm gegenüber, bevor er festgenommen worden war, nämlich, dass Isabella von jemandem vergewaltigt worden war, der frei herumlief, ihr drohte und andere Frauen vergewaltigte. Er hatte gesagt, dass sie ihren Namen hatte ändern und umziehen müssen, um dem Vergewaltiger zu entkommen. Aber hatte Mikkel Jensen das damals nur gesagt, um seine eigenen Taten zu rechtfertigen?
„Das konnte Natalie vor der Obduktion auch noch nicht sagen, aber Iris war nackt, daher müssen wir das Schlimmste befürchten“, antwortete er.
Eine Weile herrschte Schweigen.
„Iris war eine aktive junge Frau. Sie hatte gerade ihren eigenen Rekord als Freitaucherin unter dem Eis gebrochen, bevor sie verschwand“, fuhr Roland fort.
„Und dann wird sie tot unter dem Eis in einem Ruderboot gefunden. Ob darin wohl eine Symbolik liegt?“, fragte Liam und fasste damit Rolands Gedanken in Worte.
„Wir werden selbstverständlich mit ihrem Bekanntenkreis im Tauchklub reden“, antwortete er.
„Die wurden doch bestimmt schon befragt, als das Mädchen im November verschwunden ist“, meinte Niels.
„Das ist klar, aber jetzt muss ein Mörder gefunden werden, daher sprechen wir noch mal mit allen.“
„Was ist mit dem Taxifahrer? Wurde der nicht ausfindig gemacht?“
„Nein, er hat sich nie gemeldet, daher haben wir auch hier eine Aufgabe. Ich kann dem Bericht entnehmen, dass geschlussfolgert wurde, dass es sich um ein Schwarztaxi gehandelt hat.“
„Was bedeuten die Blumen?“, fragte Isabella und betrachtete das Foto des Bootes an der Pinnwand.
„Das sind Iris. Frische, daher deutet einiges darauf hin, dass sie gerade erst hingelegt wurden“, erläuterte Roland und schaute ebenfalls einen Augenblick auf die Pinnwand. Die starrenden, hübschen blauen Augen, die er unter dem Eis gesehen hatte, erschienen immer noch vor seinem inneren Auge.
„Blaue Iris? Ob das wohl eine Anspielung auf ihren Namen ist?“ Emily lehnte sich auf dem Stuhl zurück.
„Oder auf ihre Augen. Die sind ungewöhnlich hübsch und blau“, meinte Isabella und sah fast neidisch auf das Foto von Iris, das ihnen von den Eltern ausgehändigt worden war, als sie gesucht wurde. Iris lächelte und das lange, strohblonde Haar glänzte in der Sonne und umrahmte ihr hübsches, ovales Gesicht. Das gleiche Foto hatte Iris für ihr Facebook-Profil verwendet. Isabella hatte recht. Roland hatte noch nie so unglaublich schöne blaue Augen gesehen, wenn sie denn echt und keine farbigen Kontaktlinsen waren. Heutzutage wusste man ja nie.
„Aber es kann ja eigentlich fast nur der Mörder gewesen sein, der die Blumen dorthin gelegt hat“, schätzte Niels und Roland hatte das Gefühl, dass sie sich alle langsam in dem Fall engagierten.
„Jedenfalls jemand, der wusste, dass sie in diesem Boot lag. Warum sollte er sie sonst hinlegen?“, meinte er.
„Aber man legt doch wohl nur Blumen für jemanden hin, den man mag“, murmelte Isabella fast zu sich selbst und schaute immer noch nur auf die Pinnwand und die Tafel, nicht zu Roland.
„Vielleicht hat die Frau, die tot aufgefunden wurde, sie hingelegt“, überlegte Liam. „Wissen wir, wer sie ist?“
„Ja, Martha Bæk. Frisch verwitwet. Sieht so aus, als ob sie gerade mit dem Hund Gassi war.“ Roland deutete auf das Foto des toten Hundes. „Aber natürlich werden wir überprüfen, ob sie Iris kannte. Einiges deutet darauf hin, dass der Hund, bevor er erstochen wurde, den mutmaßlichen Täter angegriffen hat. Die Kriminaltechniker haben Fasern zwischen seinen Zähnen gefunden. Sieht nach blauem Jeansstoff aus, daher können wir davon ausgehen, dass er – oder sie – eine Jeans trug.“
„Hurra. Alle laufen in Jeans rum“, bemerkte Kim trocken.
„Martha Bæk starb an Blutverlust aufgrund von fünf Messerstichen in die Brust“, fuhr Roland fort. „Eine Sehne in dem einen Knie war gerissen, sodass sie sich nicht auf das Bein stützen konnte. Die Spur im Schnee zeigt, dass sie ausgerutscht ist, und da die Verletzung frisch erscheint, meint Natalie, dass sie bei dem Sturz passiert sei. Sie konnte sich also nicht von der Stelle bewegen.“
„Wann wurde der Hund getötet?“, fragte Niels, der lange in die Luft gestarrt hatte.
„Kurz vor seiner Besitzerin“, antwortete Roland, nachdem er den Bericht des Tierarztes zu Rate gezogen hatte.
„Was hat sie überhaupt auf diesem Feld gemacht? Ist das nicht in Privatbesitz? Ich dachte, man darf nicht einfach so auf dem Eigentum anderer herumlaufen“, sagte Liam.
„Vielleicht kannte sie den Hofbesitzer“, schlug Bjarke vor.
Roland erhob sich vom Tisch und ging zu der Pinnwand. „Ich habe gestern Abend mit den Hofbesitzern in der Umgebung gesprochen, aber die kannten sie nicht.“
„Dann war sie also ziemlich auf sich gestellt. Insgesamt ist der Norsminde Fjord ja nicht besonders stark besucht“, sagte Isabella.
Bjarke schüttelte den Kopf. „Nein, und dafür sind die Naturschutzbehörde und der Dänische Naturschutzverband sicher dankbar. Der Norsminde Fjord ist ein Wildreservat, das viele Zugvögel als Rastplatz nutzen. Es ist nicht so leicht, an den Fjord zu kommen. Man muss beim Norsminder Hafen parken, einem Pfad auf dem Deich in Richtung der Aarhuser Bucht folgen, am alten Pumphaus vorbei und ins Reservat, das Das Herrenlose heißt. Das dauert circa drei Stunden“, informierte Bjarke.
Emily zog das Haargummi um den blonden Pferdeschwanz fest. „Kein Wunder, dass dann jemand eine Abkürzung über die Felder nimmt.“
„Der Fjord ist nicht besonders tief“, erläuterte Bjarke weiter. „Ich glaube, die Maximaltiefe beträgt nicht mehr als ein paar Meter.“
„Dann ist es wohl auch nicht normal, dort Boot zu fahren?“ Isabella runzelte die Stirn.
„Es gibt strenge Regeln für Schifffahrten auf dem Fjord. Ich weiß, dass Regatten mit Ruder- oder Segelbooten auf jeden Fall verboten sind.“
Bjarke segelte selbst viel und hatte ein kleines Boot in der Marselisborg Marina liegen, sicher hatte er daher das Wissen.
„Ist es nicht merkwürdig, dass sie so lange in diesem Boot gelegen hat, ohne entdeckt zu werden? Wem es wohl gehört?“
„Das finden wir heraus, Isabella“, versprach Roland.
„Haben