Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11. Inger Gammelgaard Madsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inger Gammelgaard Madsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726094862
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Vater kannte er Vorurteile vermutlich nur zu gut und nahm sicher von so etwas Abstand.

      „Sieht aus, als ob Fußspuren auf dem Eis sind, also wohl nicht vomBesitzer?“, meinte er.

      „Ob der Täter wohl darüber gelaufen ist? War er beim Boot?“

      „Scheint so. Da liegt irgendwas drin“, antwortete Roland und trat prüfend auf das Eis. Es wirkte fest genug. Er versuchte einen weiteren Schritt, dann noch einen. Das Eis knackte, aber dann war er fast am Ruderboot. Die beiden Ruder steckten in den Rudergabeln. Sie sahen ziemlich neu aus, und irgendwie wirkte das Boot nicht ausrangiert, obwohl es alt war. Als er dort angekommen war, blieb er verwundert stehen.

      „Was ist los, Benito? Was kannst du sehen?“, rief Hafid neugierig vom Ufer. Offenbar ging er davon aus, dass das Eis nicht zwei Personen tragen konnte.

      „Das Boot ist voller Wasser, es ist komplett zugefroren, aber es liegen blaue Blumen auf dem Eis. Iris, glaube ich.“

      „Blumen? Warum liegen die da?“

      „Gute Frage“, murmelte Roland und beugte sich über den Steven. Das Boot war unerschütterlich im Eis festgefroren. Unter den Blumen und dem dicken Eis, das mit frisch gefallenem Schnee gepudert war, erahnte er eine Gestalt. Mit der Hand fegte er vorsichtig den Puderschnee weg, ohne die Blumen zu bewegen. Dann zuckte er mit einem lautlosen Keuchen unwillkürlich zurück. In der Tiefe kam ein Gesicht zum Vorschein. Die aufgerissenen Augen waren so blau, dass sie selbst durch das dicke Eis deutlich zu sehen waren.

      Sie waren genauso blau wie die Iris-Blumen.

      Kapitel 2

      Das Büro war anders eingerichtet als in den vielen Jahren, in denen er es innehatte und die Zustände bloß normal und nie besser geworden waren. Das Büro hatte der nun ausgeschiedene Vizepolizeidirektor Anker Dahl mit seiner Übernahme geändert. Es war ein kleiner Konferenztisch in die eine Ecke gekommen und ein Whiteboard, sodass sie für ihre Briefings nicht in den Konferenzraum gehen mussten. Warum war er da nicht draufgekommen? Aber da hatte ja der große Kasten von einem Drucker gestanden, fiel ihm ein. Der war nun durch ein kleineres Tischmodell ersetzt worden.

      Roland nickte zufrieden. Er hatte darauf bestanden, sein altes Büro zu bekommen, obwohl der Polizeipräsident ihm ein größeres angeboten hatte, jetzt, da er zum Hauptkommissar ernannt worden war. „Es wird mehr Papierkram“, hatte er gesagt, und Roland hatte betont, dass er dann ja kein großes Büro bräuchte, wenn er nur an seinem Schreibtisch sitzen sollte. Diese Einstellung hatte Birger Gudbergsen nicht, was sich auch deutlich in den Büros der Führungsriege widerspiegelte; je mehr Papierarbeit sie hatten, desto größer das Büro.

      Roland lehnte sich ein paarmal prüfend auf dem Stuhl zurück, sodass das Leder knarzte. Warum hatte er damals nicht auch um einen neuen Stuhl gebeten? Der alte war so abgenutzt, dass die Gaspatrone nicht mehr funktionierte. Selbstverständlich, weil er gar nicht so viel gesessen hatte. Er fühlte sich draußen im Einsatz am wohlsten. Dieser Stuhl war echt bequem. Viel Papierkram? Er hoffte trotzdem, dass er nicht den lieben langen Tag auf seinem Hintern sitzen würde. Er schaute auf die Uhr. Wo blieben die Mitarbeiter? Er hatte alles für die morgendliche Besprechung vorbereitet. Die Fotos von Martha Bæk, dem Hund und dem Mädchen unter dem Eis hingen an der Pinnwand, auf dem Tisch standen Tassen und Thermoskannen.

      Am Abend zuvor war niemand hier gewesen, als er von der Pressekonferenz zurückgekommen war, die er gemeinsam mit dem Vizepolizeidirektor abgehalten hatte. Eine weitere Sache, an die sich Roland wieder gewöhnen musste. Die Presse. Er musste an das Nützliche denken, das die Journalisten trotz allem taten, sie als seinen Schlüssel zur Bevölkerung sehen, wie es der Vizepolizeidirektor ausgedrückt hatte. Glücklicherweise hatte er den Chef überreden können, nicht allzu offen zu sein. Unter anderem hatten sie sich darauf geeinigt, die frischen, blauen Iris-Blumen, die auf dem Eis über der Leiche gelegen hatten, nicht zu erwähnen.

      Natürlich war es spät geworden, bis er zurück in der Abteilung war, aber wie viel hatte sich im Laufe der Jahre im Polizeipräsidium geändert? Seinerzeit war es selten gewesen, dass die Leute einfach nach Hause gingen, wenn sie an einem großen Fall arbeiteten. Sie arbeiteten in der Gruppe, aber vielleicht hatten sie sich an etwas anderes gewöhnt unter Anker Dahl, den die Polizeibehörde nun hinter Gitter gesteckt hatte. Wenn es jemand verdiente, dort zu sitzen, dann er.

      Der Erste, der auftauchte, war Hafid Ahmed. Er wünschte Roland einen guten Morgen und setzte sich auf seinen Platz im Nachbarbüro.

      „Wann kommen die anderen?“, rief Roland ihm zu und sah wieder auf die Uhr.

      „Die müssten eigentlich schon hier sein. Wenn nicht, sind sie bestimmt auf dem Weg“, antwortete Hafid und schaute sich um, als glaubte er, sie versteckten sich alle unter den Tischen.

      Arbeitsniederlegung, war Rolands erster Gedanke. Alle waren so unzufrieden damit, einen Verräter als Chef zu bekommen, dass sie sich weigerten, zur Arbeit zu erscheinen. Vielleicht hatte Viktor Enevoldsen recht damit, dass es nicht leicht für ihn werden würde.

      Glücklicherweise trudelten sie nach und nach ein. Zuerst kam einer der Neuen, Liam Eklund, den er auch ein wenig kannte aus alten Zeiten, als Liam bei der Spezialeinheit gearbeitet hatte und anschließend, nach einer Schussverletzung, durch die er nicht mehr für ebendie härteste Einheit der Polizei arbeiten konnte, in die Abteilung für organisierte und Wirtschaftskriminalität versetzt worden war. Sie hatten letzten Sommer zusammen an dem großen Terrorfall in Aarhus gearbeitet, wo Roland erneut involviert war, obwohl er für die Polizeibehörde gearbeitet hatte. Als nächstes setzte sich Bjarke Svane auf seinen Platz. Svane war ein ehemaliger Angestellter des PET, hatte sich aber entschieden, den Job zu wechseln und im Polizeipräsidium anzufangen, als die Abteilung des PET in Aarhus 2013 schloss und die Mitarbeiter nach Søborg ziehen sollten. Dann tauchten Isabella, Niels Nyborg und Kim Ansager auf, seine drei alten, langjährigen Kollegen, die einzigen Alten, die noch da waren. Zum Schluss kam die neue Beamtin, Emily Strand, von deren schulmädchenhaftem Aussehen man sich nicht täuschen lassen durfte. Sie hatte vorher in der Spezialeinheit der Bereitschaft gearbeitet. Ihr Job bestand hauptsächlich darin, Schulen und Volksschulen abzuklappern und in das raue Nachtleben zu Diskotheken und Nachtclubs zu fahren, wo Drogen im Umlauf waren, um zynische Dealer zu verhaften. Anker Dahl hatte Liam, Bjarke und Emily in Verbindung mit dem Terroranschlag in die Abteilung gebracht und anschließend hatten sie selbst den Wunsch geäußert zu bleiben.

      Falls diese nachlässige Eintreffen am Arbeitsplatz Usus war, musste sich das wieder ändern, aber darum würde er sich nach und nach kümmern.

      Roland stand auf und ging zu ihnen ins Nachbarbüro. Wenn der Berg nicht zum Propheten kam …

      „Hmm, guten Morgen zusammen. Wir haben drei Mordfälle, würdet ihr daher mit in mein Büro kommen? Ich habe Brötchen besorgt.“

      Er hatte beim Bäcker überlegt, ob es vielleicht wie Bestechung wirkte, aber falls er seine Mitarbeiter mit Brötchen und Gebäck dazu bringen konnte, ihm freundlich gesonnen zu sein, war er noch billig davongekommen.

      „Sind es nicht nur zwei Morde?“, fragte Emily.

      „Ja, zwei Menschen – und ein Hund“, antwortete Roland. An dem Tisch war geradeso Platz für die sieben Beamten. Roland setzte sich auf den Rand seines Schreibtisches. Zu seiner Freude nahmen alle die Bestechung an und schenkten sich Kaffee ein. Jedoch schweigend und ohne ihn anzusehen. Er räusperte sich. Die Routine bei Morgenbesprechungen musste auch wieder aufgefrischt werden. Er umklammerte seinen Kaffeebecher fester als notwendig.

      „Das Ruderboot wurde gestern Abend in die Rechtsmedizin gebracht. Das Eis sollte von allein auftauen, sodass eventuelle Spuren nicht zerstört werden. Das hat natürlich eine Weile gedauert“, legte er dar. „Aber jetzt ist das Mädchen unter dem Eis identifiziert. Es handelt sich um Iris Bøgh Lykkegaard, die seit dem 5. November verschwunden war – also gut und gerne zwei Monate. Die Eltern haben sie identifiziert.“

      Nun sahen ihn alle aufmerksam an. Der Fall des verschwundenen Mädchens aus Malling war in allen Medien gewesen, seit sie nach einem Abend mit ihren Freundinnen in Aarhus, wo sie ihren 16. Geburtstag feierte, verschwunden