Die Menschen hetzen hierhin und dahin, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich gehen. Sie wissen nur eins: Es muss immer schneller und schneller gehen. Sie fragen sich nie: Wohin rennen wir eigentlich? Vielleicht laufen wir ja im Kreis. Genau das ist es, was geschieht: Die Menschen laufen im Kreis herum.
Der Westen ist sonnenorientiert. Der Osten ist mondorientiert. Der Osten ist zu passiv, zu fatalistisch geworden. „Es gibt doch gar nichts zu tun – wartet einfach! Gott wird schon für alles sorgen.“ Das ist eine andere Art von Narrheit und Dummheit.
Der Osten ist arm, faul, lausig, und den Menschen ist alles egal. All das Elend um sie herum, die Armut, die Bettler, die Krankheiten – niemanden kümmert das, alles wird hingenommen. „Was kann man da schon machen. Es ist Gottes Wille. Wir müssen es hinnehmen. Wir müssen einfach nur warten. Wenn es zu viel wird, wird Gott schon kommen. Was sonst könnten wir tun?“ Das ist die weibliche Einstellung. Das Geheimnis der Goldenen Blüte besagt, dass man genau in der Mitte sein muss – weder männlich noch weiblich, sich keinem Extrem zuneigend – dann herrscht Gleichgewicht. Dann ist man aktiv und bleibt tief im Innern dennoch inaktiv; dann ist man inaktiv und bleibt dennoch im Äußeren aktiv. Seid an der Oberfläche sonnenorientiert und im Innern mondorientiert. Lasst Sonne und Mond sich in euch begegnen und seid selber einfach genau in der Mitte. In der Mitte liegt die Transzendenz.
Die Arbeit am Kreislauf des Lichtes beruht ganz auf
der rückläufigen Bewegung, sodass die Gedanken
eingesammelt werden.
Der Mensch ist ein Zentrum und auch eine Oberfläche. Wenn du dich der Oberfläche näherst, wirst du viele Gedanken haben. Die Oberfläche besteht aus dem Vielen, das Zentrum ist eins. Wenn du dich dem Zentrum näherst, beginnen die Gedanken aufzuhören. Ganz im Mittelpunkt verschwinden alle Gedanken, ist nur noch Bewusstheit da. Das ist es, was diese geheime Abhandlung sagt:
… sodass die Gedanken eingesammelt werden.
Das Licht muss sich nach innen bewegen. Wenn ihr einen Baum anschaut, dann werfen eure Augen ihr Licht auf den Baum – das Licht bewegt sich nach außen. Wenn ihr die Augen schließt, bewegt sich das Licht nach innen – metanoia, Umkehr, Rückkehr. Wenn das Licht auf dein eigenes Sein fällt, kommt es zu Selbsterkenntnis, Selbstwissen. Und dieses Selbstwissen bringt dir Freiheit – Freiheit von allen Verstrickungen, Freiheit von allen Bindungen, Freiheit vom Tod, Freiheit vom Körper. Es erschafft die Seele in dir. Genau das hat Gurdjieff immer zu seinen Schülern gesagt: dass man nicht mit einer Seele geboren wird, sondern dass man sie durch metanoia erschaffen muss.
Das Buch vom Gelben Schloss sagt: „Auf dem zollgroßen Feld des fußgroßen Hauses lässt sich das Leben ordnen.“
In diesem kleinen Tempel deines Körpers kann das Leben geordnet werden.
Inmitten des Geviertzolls wohnt die Herrlichkeit.
Im Purpur-Saal der Stadt von Jade wohnt der Gott der äußersten Leere und Lebendigkeit.
Beachtet den Widerspruch: Leere und Lebendigkeit. Lebendigkeit ist männlich, Leere ist weiblich. Lebendigkeit und Leere – die beiden Aspekte des inneren Gottes. Wenn du das eine dem andern nicht vorgezogen hast, wenn du keine Wahl getroffen hast – du bist einfach nur Beobachter geblieben –, wirst du zu jenem Gott, dessen einer Aspekt Leben und dessen anderer Aspekt Tod ist, dessen einer Aspekt die Vollendung und dessen anderer Aspekt das Nichts ist.
Darum stellen sich, sobald das Licht im Kreis läuft,
die Kräfte des ganzen Körpers vor seinem Thron ein…
Und wenn das Licht nach innen geht und in deinem Dasein zirkuliert, weil es keinen Weg nach außen mehr gibt – nichts anderes: Das ist Meditation.
Das ist es, was Buddha unter dem Bodhibaum macht. Du sitzt still da, du schließt alle Türen und Tore, und das Licht zirkuliert in deinem Innern. Dann nimmst du zum ersten Mal deinen Körper und alles, was der Körper enthält, bewusst wahr – all seine Mysterien. Dieser kleine Körper enthält alle Mysterien des Universums. Er ist ein Kosmos im Kleinen.
Darum stellen sich, sobald das Licht im Kreis läuft, die Kräfte des ganzen Körpers vor seinem Thron ein, ebenso wie, wenn ein heiliger König die Hauptstadt festgesetzt und die Grundordnung geschaffen hat, alle Staaten mit Tributgaben nahen; oder wie wenn der Herr ruhig und klar ist, die Knechte und Mägde von selbst seinen Befehlen gehorchen und jedes seine Arbeit tut.
Und wenn dieses Licht da ist und in deinem Innern kreist, wird der Körper zum Diener, werden die Sinne zu gehorsamen Dienern. Es bedarf keiner Mühe, sie zu kontrollieren – sie folgen dir aus freien Stücken. Das ist das Schöne am Tao: Es zwingt dir nie etwas auf, es will keinen Charakter kultivieren. Es sagt: Werde einfach voller Licht, und alles andere wird folgen.
Darum braucht ihr nur das Licht in Kreislauf zu bringen, das ist das höchste und wunderbarste Geheimnis. Das Licht ist leicht zu bewegen, aber schwer zu fixieren. Wenn man es lange genug zirkulieren macht, dann kristallisiert es sich. Das ist der Zustand, von dem es heißt: „Schweigend fliegst du des Morgens empor.“
Etwas sehr Bedeutsames wird in diesem Sutra gesagt: Das Licht ist zwar leicht zu bewegen, aber schwer zu fixieren. Also versucht gar nicht erst, es zu fixieren. An dieser Stelle versucht Yoga etwas zu tun, was nicht so leicht ist. Daher die Schwierigkeit, die Härte von Yoga – Yoga versucht, das Licht zu fixieren. Es versucht auch, das Licht zwischen den beiden Augen zu fixieren; ganz genau zwischen den beiden Augenbrauen, im Zentrum des Dritten Auges, versucht Yoga es zu fixieren.
Das ist der Unterschied zwischen Tao und Yoga: Yoga will es festnageln: Konzentriere dich auf das Dritte Auge! Das ist in einer Nussschale die ganze Philosophie des Yoga: Wenn du dein gesamtes Bewusstsein auf das Dritte Auge konzentrieren kannst, wirst du transformiert werden, werden deine zwei Augen eins und du wirst voller Licht sein.
Und genau über dem Dritten Auge – das Dritte Auge ist das sechste Zentrum auf dem Yoga-Atlas des Bewusstseins – genau über dem sechsten ist das siebte. Das siebte wird der „Tausendblättrige Lotus“ genannt. Wenn das Licht sich im Dritten Auge konzentriert, wenn es zu stark wird, wird es dem siebten Zentrum einen Schub geben, wird es wie Wasser in einem Stausee ansteigen. Und der Schub zum siebten Zentrum hin wird die Knospe öffnen – die Knospe, die jahrhundertelang geschlossen, die Millionen von Leben lang Knospe geblieben war.
Tao nimmt da einen ganz anderen Weg. Tao sagt: Das Licht zu fixieren ist sehr schwierig. Gib dich gar nicht erst damit ab, das zu versuchen. Die leichte Methode ist, es zirkulieren zu lassen. Dem Verstand leuchtet ein Kreislauf immer ein: Bewegung ist die Natur des Verstandes. Der Verstand findet es immer schwierig, sich zu konzentrieren. Warum also nicht die natürliche Kapazität des Verstandes ausnutzen? Warum nicht der Strömung folgen?
Tao ist eine spontane Wissenschaft. Kultiviere nichts, zwinge dich zu nichts, bereite dir keine unnötigen Schwierigkeiten; nutze die natürliche Fähigkeit des Verstandes – dass er sich bewegt, dass er Bewegung liebt, dass er ein Wanderer ist. Mache es dir zunutze, lasse das Licht kreisen! Später werden wir erfahren, wie es gemacht werden muss – wie man Wege findet und es in Umlauf bringt. Wir werden die eigentliche Methode, wie man das Licht in Kreislauf bringt, noch kennenlernen. Hier geht es vorerst um den Hintergrund, sodass ihr den Ansatz der Taoisten genau versteht. Sie sagen, dass das Licht, wenn ihr es kreisen lasst und es immer weiter kreisen lasst, sich dann an einem bestimmten Punkt ganz von selbst kristallisiert, ohne dass ihr euch Gedanken darüber zu machen hättet, wie ihr es fixieren sollt. Lasst es zirkulieren, zirkulieren, zirkulieren, und irgendwann – plötzlich – seht ihr, wie alles stillsteht, und dass alles, worum Yoga sich so sehr bemüht, geschehen ist. Im Tao ist es ein Geschehenlassen, im Yoga ist es ein langer harter Treck der Anstrengung. Yoga orientiert sich am Männlichen.
Tao orientiert sich nicht allein am Weiblichen, Tao ist beides – eine Synthese. Zirkulieren ist männliche Energie, Fixieren ist weibliche Energie. Gelange zum Nichthandeln, gelange zum Passiven durch Handeln; gelange durch Mühe zur Mühelosigkeit.
Bei der Durchführung dieses Grundsatzes braucht ihr nach keinen anderen Methoden zu suchen, sondern