Ein Sannyasin zu sein, ein echter Sucher zu sein, bedeutet, hierjetzt zu leben – und es gibt kein anderes Leben. Aber dafür werdet ihr euch de-automatisieren müssen, müsst ihr Mensch werden und keine Maschine. Und ihr müsst ein wenig bewusster werden. Ihr seid nicht bewusst.
Ich saß einmal an der Seite eines Sterbenden – er war an der gleichen Universität Professor wie ich. Er war auf der Höhe seiner erfolgreichen Karriere, da kam der Herzinfarkt – er kommt immer auf dem Höhepunkt der Karriere. Dem Erfolg folgt immer der Herzinfarkt. Was erwartet ihr sonst danach? Er hatte also einen Herzinfarkt und lag im Sterben. Ich ging zu ihm. Er war tieftraurig – wer will schon sterben? – und er war voller Qual und Verzweiflung. Ich sagte zu ihm: „Keine Angst, du wirst nicht sterben!“
Er sagte: „Was redest du da? Die Ärzte … alle Ärzte sagen, dass keine Aussichten mehr bestehen. Wie kommst du also darauf, dass ich nicht sterben werde?“
Ich sagte: „Zunächst einmal kannst du nicht sterben, weil du gar nicht gelebt hast. Du hast die Grundvoraussetzung zum Sterben nicht erfüllt. Diese fünfundfünfzig Jahre bist du geschlafwandelt, hast du geträumt, hast du nicht gelebt. Ich habe dich jahrelang beobachtet.“
Er war geschockt – er wurde ärgerlich, so ärgerlich, dass er einen Moment lang den Tod ganz vergaß. In seinen Augen flackerte der Ärger und er sagte: „Behandelt man so einen Sterbenden? Kannst du nicht ein wenig höflich sein? Warum gehst du so hart mit mir ins Gericht? Ich liege im Sterben, und du hältst mir philosophische Vorträge – ‚Du hast nicht gelebt‘! Ist dies der Augenblick, solche Dinge zu sagen?“
Ich hörte ihm schweigend zu. Ich wurde einfach total still. Da verschwand seine Wut, und Tränen traten ihm in die Augen und er begann zu weinen. Er hielt meine Hand voller Liebe in seiner, und schließlich sagte er: „Vielleicht hast du recht. Ich habe nie gelebt. Vielleicht bist du ja gar nicht grob, sondern einfach nur ehrlich. Ich kenne niemanden anders, der mir das gesagt hätte.“
Und plötzlich große Dankbarkeit! Und einen Moment lang war er so bewusst, dass man das Licht auf seinem Gesicht hätte leuchten sehen können – es war da, er war ganz Aura. Und er dankte mir. In dieser Nacht starb er. Ich blieb bis zum letzten Augenblick bei ihm.
Und er sagte: „Wenn du nicht bei mir gewesen wärest, hätte ich auch meinen Tod verpasst, so wie ich mein Leben verpasst habe. Aber ich sterbe bewusst. Wenigstens über eins bin ich glücklich – ich sterbe nicht unbewusst!“ Und sein Tod war schön. Er starb ganz ohne Bedauern, er starb entspannt. Er starb fast mit einem Willkommen im Herzen, er starb voller Dankbarkeit. Er starb voller Andacht. Sein nächstes Leben wird von einer anderen Qualität sein. Wenn der Tod so schön ist, bringt er dir ein neues Leben. Aber man muss jeden einzelnen Augenblick leben, ganz gleich, ob er von Leben, Liebe, Ärger oder Tod geprägt ist. Ganz gleich, wie er ist, man muss jeden Augenblick so bewusst wie möglich leben.
Der zerstreute Professor ging zum Friseur, um sich die Haare schneiden zu lassen. Er setzte sich in den Frisierstuhl, behielt aber seinen Hut auf.
„Könnten Sie wohl Ihren Hut abnehmen?“, sagte der Friseur.
„Oh, Entschuldigung, ich hatte gar nicht bemerkt, dass Damen anwesend sind.“
Beobachte deine eigene Zerstreutheit! Wenn du sie beobachtest, erzeugt das Aufmerksamkeit in dir. Beobachte, was in dir geschieht: Gedanken ziehen vorbei, Erinnerungen tauchen auf, eine Wolke von Ärger, eine dunkle Nacht voller Traurigkeit oder ein wunderschöner Morgen voller Freude. Beobachte alles, was in dir geschieht. Werde immer aufmerksamer. Langsam und allmählich wirst du zu einer einzigen Wachsamkeit. Und die Methode, die von dem Geheimnis der Goldenen Blüte gelehrt wird, ist genau dies: Wie du eins wirst mit deinem inneren Licht.
Aber bevor wir auf die Verse eingehen, hier kurz die Geschichte dieses Buches. Das Buch entstand in einem esoterischen Kreis in China. Der Begründer des Kreises soll der bekannte taoistische Weise Lu Yen gewesen sein. Wo erhielt Lu Yen seine geheime Schulung? Er selber schreibt die geheime Lehre dem Meister Kuan Yiu-hsi zu, für den Laotse gemäß der Überlieferung sein Tao Te King niederschrieb.
Laotse schrieb sein Leben lang nie eine Zeile. Er lebte sehr lange, aber als er den Tod nahen fühlte, verließ er China auf einem Wasserbüffel. Warum auf einem Wasserbüffel? Seine ganze Lehre war es, wie der Lauf des Wassers zu werden.
Er sagte, man solle wie Wasser sein – strömend, fließend, frisch, sich immer auf den Ozean zubewegend. Man solle wie Wasser sein – sanft, feminin, empfänglich, liebevoll, gewaltlos. Man solle nicht wie ein Felsbrocken sein. Der Felsen scheint sehr stark zu sein, ist es aber nicht; und das Wasser scheint sehr schwach zu sein, ist es aber nicht. Lass dich niemals von äußeren Erscheinungen täuschen. Am Ende siegt das Wasser über den Felsen, wird der Felsen zerstört, wird er zu Sand und ins Meer gespült. Letztendlich vergeht der Felsen – im Gegensatz zum sanften Wasser.
Der Felsen ist maskulin, er ist der männliche Verstand, der aggressive Verstand. Das Wasser ist feminin, sanft, liebevoll, ganz und gar nicht aggressiv. Aber das Nichtaggressive gewinnt. Das Wasser ist immer bereit sich anzupassen, aber durch diese Anpassung erobert es – das ist die Methode der Frau. Die Frau passt sich immer an und erobert dadurch. Und der Mann will erobern, aber schließlich und endlich muss er doch nur die Waffen strecken, sonst nichts. Daher wählte Laotse einen Wasserbüffel, als er das Land verließ. Wohin ging er? Er ging in den Himalaja, um sterbend in dessen ewige Schönheit einzugehen.
Der echte Mensch versteht zu leben und versteht zu sterben. Der echte Mensch lebt total und stirbt total. Der echte Mensch lebt in Segen und stirbt in Segen.
Laotse wollte in das absolute Alleinsein des Himalaja gehen. Aber an der Grenze wurde er abgefangen.
Der Mann, der ihn am letzten Wachtposten der chinesischen Grenze erwischte, war Meister Kuan Yiu-hsi, der Wächter des letzten Grenzpostens. Und Kuan Yiu-hsi überredete Laotse: „Du wirst bald sterben. Jetzt verlässt du das Land für immer, und bald wirst du deinen Körper verlassen. Bitte, schreib nur ein paar Worte auf, sonst erlaube ich dir nicht, das Land zu verlassen. Diesen Preis musst du zahlen.“ Drei Tage musste Laotse in Kuan Yiu-hsis Hütte sitzen, und dort schrieb er das Tao Te King.
Die Überlieferung vom Geheimnis der Goldenen Blüte soll auf Lu Yen zurückgehen. Lu Yen selbst schreibt sie dem Meister Kuan Yiu-hsi zu, für den Laotse sein Tao Te King geschrieben haben soll. Auf diese Weise also ist die Überlieferung von der Goldenen Blüte mit Laotse verbunden.
Dieses Buch vom Geheimnis der Goldenen Blüte ist eine der ewigen Quellen, durch die man wieder lebendig werden kann, durch die man wieder die Pforte zum Ewigen finden kann.
Meister Lu Tsu sagt:
Das durch sich selbst Seiende nennt man das Tao.
Das Wort Tao bedeutet im Grunde „der Weg“. Über das Ziel kann nichts gesagt werden. Das Ziel bleibt ungreifbar, unsagbar, unaussprechbar. Aber über den Weg lässt sich etwas sagen. Daher haben die Taoisten niemals Worte wie „Gott“, „die Wahrheit“, „Nirvana“ benutzt; ihr Wort ist einfach „der Weg“. Buddha sagt: „Die Buddhas können euch nur den Weg weisen. Wenn ihr dem Weg folgt, werdet ihr zur Wahrheit gelangen.“
Die Wahrheit muss deine eigene Erfahrung sein. Niemand kann die Wahrheit definieren, aber den Weg kann man definieren, der Weg dahin kann erhellt werden. Der Meister kann dir die Wahrheit nicht geben, aber der Meister kann dir den Weg zeigen. Und wenn der Weg einmal da ist, dann brauchst du ihn nur noch zu gehen. Das hat vom Schüler aus zu geschehen. Ich kann nicht für euch gehen und ich kann nicht für euch essen. Ich kann nicht für euch leben und ich kann nicht für euch sterben. Das alles muss man schon selber tun.