Jedem das Seine - Band II. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711448212
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Adel hat lange genug für das Vaterland geblutet und Hab und Gut im Militärdienst zugesetzt! Es ist die höchste Zeit, dass unsere Söhne einmal wieder lernen, zu erwerben und zu verdienen! — Der Kaufmann allein hat dazu die Möglichkeit in Händen! Von einem Hauptmannsgehalt legt man keine Millionen zurück und von einer Majorspension erst recht nicht! Wo soll es enden, wenn das noch eine Reihe von Jahren so weiter geht? — Sehr richtig und vernünftig von Marken, wenn er eine vielversprechende kaufmännische Laufbahn einer aussichtslosen militärischen vorzieht! Was aber mag ihn dazu bewogen haben, diesen schnellen Entschluss zu fassen? —

      Où est la femme?! —

      Steckt auch diesmal ein Weib dahinter, das einen armen, verblendeten Jüngling aus Stellung und Gesellschaft herausreisst, um ihn der Ungewissheit in die Arme zu treiben?

      Niemand vermochte darüber eine Auskunft zu geben.

      Selbst die Kameraden, die sonst über alle Schwächen und Leidenschaften ihrer Waffenbrüder genau unterrichtet sind, konnten nur die Tatsache feststellen, dass Marken stets äusserst solide und „unheimlich“ vernünftig gelebt hatte.

      An Gräfin Iris dachte niemand.

      Sie hatte zu viele Verehrer, als dass einer besonders aufgefallen wäre! Auch schienen die beiden jungen Leute so grundverschieden, dass niemand an eine ernste Werbung gedacht hatte.

      Da gab es nur eine Tatsache, die den seltsamen Schritt des jungen Offiziers erklärte: Er war ein Marken! und die hielt es alle nicht daheim! Mit seiner Reise nach Konstantinopel hatte es angefangen, — wird es in Indien enden? — Wer weiss es?! —

      Mortimer war abgereist und in der Residenz hatte man ihn vergessen.

      Selbst in dem Hause des Grafen Waldstetten, in dem anfänglich grosse Erregung über den so völlig unerwarteten Entschluss des jungen Offiziers geherrscht hatte, war es ruhiger geworden. Der Graf hatte sich achselzuckend der „Schrulle“ des jungen Schwärmers gefügt, Tante Bergk grollte und klagte nicht mehr so nervös wie in der ersten Zeit, und Gräfin Iris schien völlig teilnahmlos zu sein. Sie war die einzige, die Markens Entschluss, „nach Indien zu gehn“ nicht nur begreiflich, sondern sogar sehr nachahmungswert fand.

      Sie hatte sich in letzter Zeit mehr denn je in ihre philosophischen Studien vertieft, der Buddhismus dünkte ihr eines der interessantesten Wunderwerke tiefsinniger Offenbarung, und Sanskrit zu studieren die höchste und vollkommenste Lebensaufgabe.

      Schopenhauer, Nietzsche und Feuerbach gingen dabei Hand in Hand; der Graf schüttelte mit der Zeit doch ärgerlich den Kopf, und sagte: „Wäre meine Tochter nicht von Natur so äusserst vernünftig und starkgeistig beanlagt, so wäre sie über all dies Teufelszeug längst verrückt geworden! — Ein Segen ist es, dass ihr religiöses Gefühl immer noch stärker ist, wie das Gift dieser Antichristen, dass sie viel zu rein und edel denkt, um sich nach den Irrlehren dieser Verführer zu richten! Ich hoffe, dass ihre ganze Fortschrittlerei nur Eitelkeit ist, wie bei den meisten philosophierenden Frauen, die sich aus Eitelkeit um jeden Preis interessant machen wollen und gar nicht ahnen, wie widerwärtig sie dies bisschen mühsam aufgepfropfte Männerwissen macht.“

      Dennoch hatte er sich endlich bereit erklärt, dem Wunsch der jungen Gräfin, ihr Examen machen zu dürfen, nicht mehr im Wege zu stehen.

      „Wenn sie glaubt, dadurch völlig unabhängig zu werden und eines männlichen Schutzes nicht mehr zu bedürfen — gut, so mag sie ihren Willen haben! Wer weiss! Das Leben bringt oft allerlei Überraschungen mit sich, die vielleicht einmal recht viel Selbständigkeit von ihr verlangen.“

      So vergingen Wochen, Monate, Jahre. — — — —

      Der Name Marken wäre wohl längst im Hause des Grafen Waldstetten vergessen worden, wenn nicht zwei rosige Lippen ihn immer und immer wieder voll seltener Treue geflüstert hätten.

      In Bärbels Kinderzimmer auf dem eleganten kleinen Schreibtisch, an dem das heranwachsende Backfischchen seine französischen und englischen Übersetzungen schrieb, stand die Photographie des Freiherrn von der Marken, die er ihr einst auf dringendes Bitten geschenkt hatte.

      Da lachte er das immer lieblicher erblühende Mädchen mit seinen strahlenden Augen an, und so oft Bärbels Blick das Bildchen traf, ward er trüb und sehnsuchtsvoll, die kleine Hand strich kosend darüber hin und sie seufzte: „Ach Onkel Mortimer, warum schreibst du mir niemals einen Brief! Warum lässt du mich nicht wissen, ob du noch lebst? Ich habe dich so gern gehabt, so gern! und ganz gewiss, ich werde dich nie vergessen, wie ich es dir einstmals versprochen habe! — Onkel Mortimer, wann kommst du wieder?“

      Einmal war Iris zufällig Zeugin eines solchen trübseligen Herzensergusses geworden.

      Wie ein tiefer Schatten flog es über ihr schönes, regungsloses Gesicht.

      Sie hob das betrübte Gesichtchen des Backfischchens empor und blickte forschend in die grossen Veilchenaugen.

      „Du denkst noch immer an Herrn von der Marken, Bärbel?“

      Tränen glänzten an den Wimpern des Kindes.

      „Ich möchte nur wissen, ob er noch lebt, Iris!“

      Die Gräfin nickte, es war, als ob die Hand, die erst so ruhig über die goldenen Locken der Schwester strich, ein klein wenig bebte.

      „O ja! Das möchte ich wohl auch wissen,“ sagte sie leise. „Er nannte sich immer deinen guten Freund, es wäre wohl richtig gewesen, wenn er dir einmal geschrieben hätte! Aber siehst du, Bärbel, so schnell vergessen die Männer! Wenn man sich auf sie verlässt, ist man verlassen!“

      Ein herbes Lächeln zuckte um die Lippen der Sprechenden, Barbara aber blickte mit süssem Vertrauen empor und schüttelte eifrig das Köpfchen.

      „Nein, Iris! es ist gewiss nicht Gleichgültigkeit oder Vergesslichkeit von ihm, das weiss ich gewiss! Er wagt es wohl nicht, oder glaubt, dass ich gar keinen Wert darauf lege, und gewiss schriebe er, wenn er nur ahnte, wie gut ich ihm noch bin!“

      Iris neigte sich tiefer, wie in stummer Frage schaute sie die Kleine an, Komtesse Bärbel aber schlang jählings die Arme um die Schwester und fuhr erregt fort: „Briefe hat er ja nie versprochen, Iris, aber dass er einmal wiederkommen und nach mir fragen würde, das hat er zugesagt und das hält er auch ganz gewiss!“

      „Möchtest du diesen frommen Glauben nie verlieren, Kleine! Dein weiches, zärtliches Herzchen würde eine Enttäuschung schwer verwinden. Ach und wie gern möchte ich dir begreiflich machen, dass nur die Menschen glücklich und zufrieden sind, die von den Menschen und der Welt kein Glück erwarten.“

      Iris warf noch einen schnellen, flüchtigen Blick über das Bildchen auf dem Schreibtisch, den lachenden Männerkopf mit dem Kindergesicht, und wandte sich kurz ab.

      Nichts verlangen und nichts fordern!

      Nein, sie hatte weder Liebe noch Treue von Mortimer verlangt, im Gegenteil, beides weit von sich gewiesen, und doch brannte etwas in ihrem Herzen: eine winzig kleine Wunde, ein Nadelstich, der nicht heilen will. Er ging so schnell, — er reiste so eilig ab, er vergass so bald. —

      Er war kein Asra, der starb, weil er liebte.

      Ist das nicht gut so? — ein Glück für ihn und sie?

      Iris hatte sich schon so manche Frage beantwortet, — diese noch nicht.

      Sie ging hinab in die Stallungen, sie sattelte sich selber ihren Goldfuchs und ritt hinaus in den Park, allein, ohne Diener. — Sie brauchte und wollte keine Männerhilfe.

      Was sollte ihr auch geschehen?

      In der ganzen Stadt kannte man die stolze, eigenwillige junge Gräfin und berücksichtigte ihre Absonderlichkeit, wie man einer schönen Frau gern alles verzeiht, was eigenartig ist und ihr gut zu Gesicht steht.

      Es ritten so viele Herren zu jeder Stunde im Park, die voll Entzücken den Spuren der reizenden Amazone folgten; sie waren entzückt, eines flüchtigen Grusses gewürdigt zu werden, und bereit, als Helfer und Retter zu erscheinen, wenn der wagemutigen Reiterin wirklich einmal