Jedem das Seine - Band II. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711448212
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klang leise, herb und weh.

      Mortimer neigte sich rasch, hob das zarte Figürchen der Kleinen mit starkem Arm empor und küsste die weinenden Augen.

      „Wir wollen nicht mehr traurig sein, Bärbel, sondern fröhlich ‚Auf Wiedersehen‘ sagen! — Komm, begleite mich noch bis zur Treppe — es ist so schön, wenn man beim Scheiden in treue Augen sieht!“

      Die Schritte verklangen, und Iris legte schützend die Hand über die Augen, als tue ihnen ein allzu greller Schein weh.

      Aber sie weinte nicht.

      Ein Marmorbild hat keine Tränen! sagte er nicht so?

      Warum auch weinen wie Bärbel, das törichte kleine Kind?

      Weil er Abschied nahm?

      Ob früher oder später, diese Stunde wäre doch gekommen.

      Wo will er hin?

      Urlaub nehmen? sich versetzen lassen?

      Wohl möglich.

      Warum sprach er das unsinnige Wort? warum warb er um sie?

      Er kannte ja ihre Ansichten.

      Nun ist es zu Ende mit dem heiteren, anregenden Verkehr, und das ist schade.

      Jetzt, wo Iris weiss, was für eine starke Seele in diesem schwärmerischen Knaben wohnt, hat sie mehr Interesse für ihn, wie zuvor.

      Vorbei, vorbei. —

      Wie glücklich sind Kinder, dass sie weinen können!

      Ein Marmorbild hat keine Tränen. —

      — — Wenige Augenblicke später trat der Graf ein.

      Sein Blick flog voll Überraschung und Entzücken über die märchenhafte Erscheinung seiner Tochter.

      „Alle Wetter, Iris! — Das nenne ich ein Modell! Du hast dich heut an Reiz und Schönheit selber übertroffen! Wehe dem armen Sterblichen, der heute deine Wege kreuzt, er lernt die Macht der wunderschönen Sultanstochter kennen, und stirbt als Asra zu ihren Füssen!“

      „Wirklich? — vielleicht irrst du, Papa! Jene Asra gibt es nur im fernen Süden, wo das Weib zwar in Ketten gelegt, aber dennoch bis zu Tod und Wahnsinn geliebt wird. Im Abendlande fliesst das Blut kühler durch die Adern, und Stolz und Eigenwille sind stärker wie die Liebe!“

      Das klang wunderlich, fast bitter.

      „Wie sympathisch muss dir das sein!“ scherzte der Graf harmlos. „Wenn man selber so kaltblütig geartet ist, kann man orientalisches Empfinden nicht verstehen, und unbegehrte Neigungen zu erwecken muss fataler sein, als in der Lotterie verlieren!“

      Iris antwortete nicht, sondern nahm schweigend ihre Stellung ein.

      Es lag ein Schatten auf ihrer Stirn, welchen der Graf noch nicht kannte.

      „Dieser Blick ist vorzüglich,“ lobte er, „gerade so nachdenklich soll meine wunderschöne Sultanstochter auf den armen Asra schauen! Halb Mitleid — Sehnsucht — rätselhaftes Leid! — Es ist erstaunlich, wie gut du dich in die Situation findest, Iris, — wenn du während der nächsten Sitzungen diesen Ausdruck im Gesicht festhältst, wird das Bild ein Meisterwerk!“

      Wieder keine Antwort, — der Graf aber griff hastig zu Pinsel und Palette und begann mit grösstem Eifer das reizende Antlitz seiner Tochter, das bereits skizziert war, auszuführen.

      „Das Kostüm hat Zeit!“ sagte er, „wer weiss, ob du morgen in derselben Stimmung bist wie heute! Bislang kannte ich deine Augen nur stolz und blitzend, — heute aber dünkt es mir, als ob die herrliche Sultanin um den armen Asra und um sich selber und ihr einsames Herz weinen könnte!“

      Da schüttelte Iris trotzig das Haupt und die weisse Hand zerdrückte den glitzernden Schleier.

      „Wie schmählich wäre das!“ stiess sie zornig hervor, und ein spottendes Lächeln huschte schnell um die Lippen, „Marmorbilder haben keine Tränen, und die stolze Sultanstochter hat wohl nie die Liebe eines sentimentalen Burschen begehrt!“

      „Weh mir, was tat ich, dass ich an dem scheuen Stolz des Zukunftsweibes rührte!“ rief Waldstetten voll drolligen Schrecks, „ich sage es ja — alle Milde und Weichheit wie fortgewischt! Nun, dann sollst du nicht umsonst Toilette gemacht haben, und anstatt einer zürnenden Amazone will ich lieber Schleier, Goldmünzen und glänzende Seide auf die Leinwand bannen!“ — Er malte; Iris lehnte an der Marmorbrüstung des Springbrunnens und starrte in das plätschernde Wasser ...

      Anfänglich glühten ihre Wangen noch in heftiger Erregung und die dunklen Augen blitzten finster unter den langen Wimpern hervor, — dann war es, als sänke ein feiner, bleicher Hauch über das schöne Angesicht, die Augen öffneten sich gross und weit und schauten mit wundersam sinnendem Blick ins Leere ...

      Mehr und mehr, — und dem reizenden Modell selber unbewusst, trat der unverkennbare Ausdruck träumerischer Nachdenklichkeit wieder auf dem Antlitz hervor, und stillschweigend, mit rastlosem Eifer führte der Graf den Pinsel, um das Antlitz auf die Leinewand zu bannen.

      Die Zeit verging.

      „Wirst du nicht müde, Iris?“ —

      Da schrak sie empor.

      „Ja, ich bin müde.“ —

      „So lass uns für heute aufhören. Ich möchte noch einen Augenblick in die frische Luft gehen, mir Appetit für das Mittagessen zu holen, zu welchem wohl Freund Marken rechtzeitig eintreffen wird.“

      Iris strich mechanisch die dunklen Haare aus der Stirn.

      „Das glaube ich nicht, — Herr von der Marken beabsichtigt zu verreisen und wird sich wohl schriftlich empfehlen!“

      Ihre Stimme klang sehr ruhig, aber es lag etwas Hartes, Schmerzliches darin.

      „Wie?! was? — verreisen? wohin?! —“

      Iris zuckte schweigend die schönen Schultern, nahm die goldgewirkten Schleier über den Arm und schritt hastig durch die Tür.

      Sprachlos sah ihr Waldstetten nach.

      Ein leise pfeifender Ton stahl sich über seine Lippen.

      „Armer Asra!“ murmelte er vor sich hin, „um diesen tut es mir leid!“ —

      XV.

      Mortimer kam nach Hause.

      Still und dämmerig lag sein kleines Zimmer. Die Sonne, die noch vor wenigen Stunden so strahlend hell hineingeschienen, war untergegangen. Die Sonne seines Glückes.

      Mechanisch stellte er den Helm zur Seite und sank müde auf den Ledersessel vor seinem Schreibtisch nieder.

      Vorbei, — alles vorbei.

      Die goldenen Träume von Glück und Liebe in nichts zerronnen.

      Gelogen und getrogen hatten die funkelnden Sterne, die von grossem, unendlichem Glück geweissagt hatten.

      Nacht und Wolken hatten sie verschlungen und was zurückblieb, war die trostlose Öde eines Lebens, dem die Liebe genommen war. Die Liebe!

      Ach, jetzt erst, nachdem er sie verloren, fühlte Mortimer, wie vollständig sie sein Herz erfüllte.

      Er hatte dem Schicksal der Marken, das sich in Konstantinopel erfüllen musste, vertraut. Wie ein harmloser, schwärmerischer Knabe hatte er an Glückszeichen geglaubt, die ihn genarrt hatten. Voll jubelnder Zuversicht hatte er die Arme nach der schönsten aller Frauen ausgestreckt, um sie sieghaft an sich zu reissen.

      Hatte er sie doch auf den schimmernden Fluten des Bosporus, verhüllt von dem türkischen Schleier, gefunden, die süsse Geheimnisvolle, die sein Schicksal werden musste.

      Kein seliges, wonnevolles Geschick, wie der blinde Träumer gewähnt, hatte er gefunden, sondern ein herbes Weib, wahrlich eine eiserne Jungfrau, deren erbarmungslose Worte sein Herz wie Dolchmesser